Einer von tausend Hügeln
Dokumentarfilm | Belgien 2023 | 80 Minuten
Regie: Bernard Bellefroid
Filmdaten
- Originaltitel
- UNE DES MILLE COLLINES
- Produktionsland
- Belgien
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- La Compagnie Cinématographique/Panache Prod./Les Prod. du Souffle/Tchin Tchin Prod./RTBF/arte/WIP
- Regie
- Bernard Bellefroid
- Buch
- Bernard Bellefroid
- Kamera
- Gil Decamp
- Musik
- Claire Goldfarb
- Schnitt
- Matyas Veress · Virginie Messiaen · Cédric Zoenen · Marie Calvas
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Schockierende Doku über die Rolle des Rundfunksenders „Radio der tausend Hügel“ beim Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994 und wie die Taten aufgearbeitet werden sollen.
Im Sommer 2024 jährt sich der Völkermord in Ruanda zum dreißigsten Mal. Hunderttausende Angehörige der Tutsi-Minderheit (manche sprechen sogar von einer Million) wurden im Sommer 1994 von Angehörigen der Mehrheit der Hutu ermordet. Auch mit den Tutsi solidarische Hutu wurden nicht verschont. Die Massaker endeten erst, als die Tutsi-Miliz RPF unter dem heutigen Präsidenten Paul Kagame die Macht im Land eroberte.
Der schockierende Dokumentarfilm „Einer von tausend Hügeln“ von Bernard Bellefroid spielt zunächst auf eine gängige Bezeichnung des Landes Ruanda an sich an. Die tausend Hügel verweisen aber auch auf den berüchtigten Propagandasender „Radio-Télévision Libre des Mille Collines“. Die Moderatoren dieses inzwischen auch als „Hate Radio“ (so der Titel eines beklemmenden Theaterstücks von Milo Rau) bekannten Senders riefen zur Ermordung der „Schlangen“ und des „Ungeziefers“ auf – womit sie alle Angehörigen der Tutsi meinten. Am Anfang des Films ist ein Ausschnitt einer Sendung vom 19. Juni 1994 zu hören. Darin herrscht ein Plauderton vor; die Moderatoren singen ihre Mordaufrufe förmlich heraus. Wie auch bei anderen Völkermorden galt es für die Täter zunächst, ihre Opfer zu entmenschlichen, um das Töten zu erleichtern.
Opfer ohne Grab
Am Beispiel eines Ortes versucht Bellefroid behutsam deutlich zu machen, wie die Aufarbeitung des Völkermords teilweise gelang, was dabei aber auch schieflief. Die Opfer, von denen der Film erzählt, hießen Olivier, Fidéline und Fiacre. Alle drei waren noch Kinder; das jüngste war gerade vier Jahre alt. Sie wurden auf einem der Hügel von Nyanza, ihrer Heimat, ermordet. Ein Grab haben sie nie erhalten.
Bellefroid filmte schon vor zwanzig Jahren einige der sogenannten Gacaca-Tribunale – auf jahrhundertealten Traditionen beruhende lokale Gerichte, welche ab 2005 die ein Jahrzehnt zuvor begangenen Verbrechen aufzuklären versuchten. Diese Methode zwingt den Angehörigen der Opfer Unermessliches auf. Die mutmaßlichen Täter sind durch keine physischen Barrieren von ihnen getrennt. Die Beschuldigten heißen Asiel, Rekeraho oder Felix. Sie wurden schon wegen des Völkermords verurteilt. Aber haben sie auch die Morde an den Kindern begangen?
Alle schildern das Geschehen unterschiedlich. Immer wieder hört man von den Beschuldigten generalisierende Verharmlosungen: „Alle Ruander sind schuldig.“ Das soll zugleich bedeuten, dass man die Taten niemandem vorwerfen kann. Der Film dokumentiert Versöhnungsgesten, aber auch die Verweigerung der Versöhnung durch die Angehörigen. Diese wollen wissen, was damals genau geschah, so weh es auch tut.
Fern aller voyeuristischer Tendenzen
Es sind wahre Kriminalfälle, die hier beschrieben werden. Bellefroid und sein Kameramann Gil Decamp erzählen von ihnen dezent und fern aller voyeuristischer Tendenzen des True-Crime-Formats. „Einer von tausend Hügeln“ ist ein Film, der keine Antworten geben will. Sondern der Fragen aufwirft. Wie erträgt es eine Mutter und wie ein Vater, neben dem Mörder der eigenen Kinder zu stehen? Wie klingt es in ihren Ohren, dass ein Mordkommando sich beim Nachbarn eine Hacke ausgeliehen hat, um die Kinder niederzumetzeln? Dass die Kinder mit Erde bedeckt wurden, obwohl sie noch gar nicht tot waren? Dass Hunde sie ausbuddelten und töteten?
Das alles bewegt sich jenseits aller Vorstellungen, und doch haben diese Grausamkeiten zu Hunderttausenden stattgefunden, am Fuße dieses und tausender anderer Hügel im grünen Land Ruanda. Die Morde werden hier zwar nicht nachgestellt, doch allein, wenn man die Macheten in der Hand der Mörder sieht, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. „Einer von tausend Hügeln“ ist allein schon auf der Tonebene eine absolute Zumutung. Aber eine lohnenswerte Zumutung.