Die Wärterin
Drama | Dänemark/Schweden 2024 | 99 Minuten
Regie: Gustav Möller
Filmdaten
- Originaltitel
- VOGTER
- Produktionsland
- Dänemark/Schweden
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Nordisk Film
- Regie
- Gustav Möller
- Buch
- Gustav Möller · Emil Nygaard Albertsen
- Kamera
- Jasper Spanning
- Musik
- Jon Ekstrand
- Schnitt
- Rasmus Stensgaard Madsen
- Darsteller
- Sidse Babett Knudsen (Eva) · Sebastian Bull (Mikkel) · Dar Salim (Rami) · Marina Bouras (Helle) · Jacob Lohmann (Pfarrer)
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- 20.02.2025
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Komplexer Gefängnisthriller um eine Wärterin und einen Mann, der wegen Mordes zu langer Haft verurteilt ist.
Feindseligkeit, Aggressivität, auf beiden Seiten kein Anzeichen von Entgegenkommen. Dabei versucht es die Gefängniswärterin Eva Hansen (Sidse Babett Knudsen) bei ihrem Einstand im Hochsicherheitstrakt noch mit Freundlichkeit und wünscht den Häftlingen einen „guten Morgen“, wenn sie ihnen das Frühstück bringt. Die treten wortlos aus ihren Zellen, nehmen das Tablett und ziehen sich wieder zurück. Evas Begrüßung prallt an ihnen ab. Ihre Kollegen überrascht das nicht; sie erwarten von den als Schwerverbrechern eingestuften Gefangenen nichts anderes als Renitenz. Oder mitunter auch Gewaltausbrüche, bei denen die Reaktion der Wachen genauso gewaltsam ausfällt wie die Angriffe.
„Gefährlich, unzurechnungsfähig, nicht zu resozialisieren“, seien die Häftlinge hier, schärft Abteilungschef Rami (Dar Salim) der Neuen ein. Seine entmenschlichende Sicht wird durch die Anredepraxis der Wachleute noch unterstrichen: Statt mit Namen werden die Gefangenen mit den Nummern ihrer Zellen angesprochen, deren erste Ziffer eine Null ist – ein beredter Kommentar zu ihrem Platz am unteren Ende der Gesellschaft.
Ein frappierender Kontrast
Es ist ein frappierender Kontrast zu der Abteilung, in der Eva zuvor gearbeitet hat und die am Anfang von „Die Wärterin“ zu sehen ist. Dort werden die Zellen am Morgen gesammelt aufgeschlossen, damit die Gefangenen ins Bad können. Dort wird Evas Morgengruß erwidert; sie bewegt sich frei unter den Häftlingen. Zwar gab es auch hier mal eine aggressive Stimmung, doch eine erfahrene Wärterin wie Eva bekam das mit wenigen Gesten und Worten wieder in den Griff; der Umgang untereinander war generell kooperativ.
Neben Meditation gibt es auch Bildungsangebote, bei denen Eva jüngeren Strafgefangenen zum Beispiel mit dem kleinen Einmaleins hilft. Doch mit ihrem konzentrierten, sicheren Auftreten ist es vorbei, als sie die Ankunft mehrerer Verurteilter des schweren Kalibers beobachtet. Ein großer, kantiger Mittzwanziger mit provozierendem Blick sticht heraus und versetzt Eva in Unruhe. Wenige Tage darauf bittet sie den Direktor um ihre Versetzung zu den Schwerverbrechern. Als Grund schiebt sie vage Andeutungen über einen problematischen Kollegen vor.
Als Zuschauer muss man nur kurze Zeit rätseln, warum Eva die pflegeleichte Häftlingsschar gegen die Knasthölle eintauscht. Der in Dänemark arbeitende Regisseur Gustav Möller verrät in seinem zweiten Spielfilm nach „The Guilty“ (2018) recht bald, was hinter dem Versetzungswunsch steckt. Der Häftling Mikkel (Sebastian Bull), der hier „017“ genannt wird, sitzt wegen Mordes an einem Mitgefangenen. Dass sein Opfer Evas eigener, auf die schiefe Bahn geratener Sohn gewesen ist, wird den Zuschauern enthüllt, während es den Figuren verborgen bleibt.
Die Zuschauer werden irritiert
Was man für eine verfrühte Preisgabe eines Drehbuch-Twists halten könnte, nutzt Möller für eine kreative Irritation des Publikums: Entgegen der Einführung von Eva, die zu Identifikation und Mitgefühl einlädt, sucht sie offenkundig die Nähe zum Mörder ihres Sohnes, statt diese zu fliehen. Sie nutzt ihre neue Stellung, um Mikkel Zigaretten und Toilettengänge zu verweigern, ihn demütigenden Durchsuchungen zu unterziehen und ihm Drogen und Waffen unterzuschieben. Das sind gezielte Provokationen, die der hyperaggressive Häftling auch prompt mit Wutattacken beantwortet. Bemerkenswert daran ist, dass die Inszenierung auch das Hinterlistige an Evas Racheplan betont und damit eine interessante Ambivalenz erzeugt. Zwar erweckt der Film keine Sympathien für den brutalen Mikkel, aber immerhin eine Art von Verständnis, dass er sich angesichts der Schikanen unfair behandelt fühlt. Die in anderen Gefängnisfilmen oft vorherrschende Schwarz-weiß-Zeichnung weicht Grautönen und einer Offenheit, wie dieses Kräftemessen am Ende ausgehen wird.
Innerhalb des Genres gelingt Gustav Möller damit ein beachtlich klischeefreier Zugriff: Weder sind die Gefangenen menschliche Monster, noch werden ihre Vergehen verborgen oder kleingeredet, um im Gegenzug das Strafsystem als teuflisch zu charakterisieren. Dazu gehört auch, dass die Selbstwahrnehmung moralischer Überlegenheit bei der Hauptfigur vehement in Frage gestellt wird und ihr allmählich auch selbst die Gewissheit abhandenkommt, dass sie sich „richtig“ verhält.
Möller setzt damit fort, was er bereits in „The Guilty“ eindrucksvoll durchgespielt hat. Die absehbare Eskalation zwischen der Wärterin und dem Gefangenem verlegen er und sein Co-Autor Emil Nygaard Albertsen schon in die Mitte des Films, um im zweiten Teil das Spannungsverhältnis noch einmal neu aufzubauen. Mikkel ist sich nun über Evas Feindseligkeit im Klaren, ohne deren Gründe zu kennen. Er nutzt sein Wissen über ihre Manipulationen aber für Erpressungen. Eva geht aus Angst und Gewissensbissen darauf ein. Er ist auf Vergünstigungen aus, jedoch nicht nur solche der erwartbaren Art wie zusätzliche Minuten im Hof oder Drogen, die Eva ihm beschaffen soll. Die Frage, ob Mikkel nicht auch eine Seite jenseits seiner soziopathischen Fassade hat, schleicht sich ein und prägt den Film, in dem die Titelfigur ihre bisherige Zielstrebigkeit nicht weiterverfolgen kann.
Hoffnung & Fatalismus
Möller knüpft auch in anderen Aspekten an sein Debüt an, wenn er sich erneut auf einen einzigen Handlungsort konzentriert, die Bilder im engen 4:3-Format belässt und die Protagonistin nie in ihrem Dasein außerhalb des Gefängnisses zeigt. Allerdings erstreckt sich „Die Wärterin“ über Monate und besitzt deshalb nicht die atemraubende Wirkung des Echtzeitthrillers „The Guilty“.
Doch Möller bleibt dem Thriller-Ansatz grundsätzlich treu und entwickelt die Spannung noch mehr aus den charakterlichen Nuancen der Figuren heraus. Insbesondere Sidse Babett Knudsen blättert dabei viele Facetten zwischen Empathie, zorniger Entschlossenheit und Hilflosigkeit auf, während Sebastian Bull als Mikkel seinem anfänglich abstoßenden Charakter schrittweise menschlichere Züge verleiht. Aus einer eindeutig erscheinenden Konstellation entsteht so eine Entwicklung, die der Film so urteilsfrei beobachtet wie das Gefängnissystem als Ganzes. Hoffnung und Fatalismus trennt hier nur eine hauchdünne Wand.