„Schließlich, morgen ist auch noch ein Tag!“ So lautet einer der berühmtesten Sätze der Filmgeschichte. Es sind die Schlussworte von Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“, mit denen sie ihre Hoffnung ausdrückt, den abtrünnigen Ehemann Rhett Butler zurückzuerobern – der sie, kein unwesentliches Detail, vergewaltigt hat; anders lässt sich die vieldiskutierte „Treppenszene“ kaum lesen, schon gar nicht aus heutiger Sicht.
Die italienische Filmemacherin Paola Cortellesi hat ihr spektakuläres Regiedebüt über das Patriarchat und dessen alles Zwischenmenschliche zerstörende Implikationen mit nahezu demselben Satz betitelt, interpretiert diesen allerdings feministisch um. Auch in ihrem Drama, das in Rom im Jahr 1946 spielt, steht der Satz für die Hoffnung der weiblichen Hauptfigur auf Veränderung und auf Zukunft. Die Hoffnung liegt hier allerdings nicht im Streben nach dem individuellen Glück und erst recht nicht darauf, dieses durch die amouröse Eroberung eines Mannes zu erlangen. Der Blick des Films richtet sich vielmehr auf die tief verinnerlichten patriarchalen Strukturen als kollektive, soziale und politische Frage. Nicht umsonst läuft die von Paola Cortellesi selbst gespielte Hauptfigur immer wieder an einer Mauer entlang, auf die „Es lebe die Republik!“ gepinselt wurde – 1946 war das Jahr, in dem in Italien die Republik ausgerufen wurde.
Mit Gesang gegen patriarchale Gewalt
„Morgen ist auch noch ein Tag“ erzählt von der mit Mann, drei Kindern und Schwiegervater in armen Verhältnissen lebenden Delia (Paola Cortellesi). Ihre Ehe lieblos zu nennen, wäre untertrieben. Ivano hält Delia klein, wo er nur kann. Er verprügelt sie brutal, nimmt ihr das selbstverdiente Geld ab und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, ihr seine auch gesetzlich festgeschriebene Vorrangstellung verbal wie körperlich um die Ohren zu hauen. Delia erträgt ihren Leidensweg stoisch. Sie ist tüchtig und warmherzig und in den schmalen Möglichkeiten ihres unterdrückten Daseins durchaus findig.
Diese Lebensgeschichte hätte leicht in melodramatisches Pathos abgleiten können, wenn Cortellesi den Stoff nicht so ungewöhnlich angepackt hätte: mit Humor, Gesang und Tanz. Das mag angesichts dessen, was die weibliche Hauptfigur durchmacht, vielleicht zynisch klingen, besticht in der Umsetzung aber durch Feinfühligkeit, jedenfalls fast immer. Wenn etwa eine brutale Prügelszene zu einer Tanzszene mutiert, dann geht es dabei nicht darum, die Gewalt zu verharmlosen, sondern darum, auch die Vergangenheit mitlaufen zu lassen, das, was Delia und ihren Mann einst verband. Diese Sequenz mag als einzige des Films in ihrem allzu extremen Changieren zwischen zwei Polen nicht ganz aufgehen, zeigt aber plastisch, wie mutig die Regisseurin mit ihren filmischen Mittel umgeht.
Trotz aller Wut bloß nicht aufgeben
Cortellesi spielt geschickt mit unterschiedlichsten Erzählelementen und -strategien. Deutlich ist etwa der Einfluss der Dramen des italienischen Neorealismus zu sehen, etwa in der Gestaltung von Kostümen, in Farbgebung und Settings, aber auch in der inhaltlichen Orientierung hin zu Alltagsgeschichten, dem Kampf ums tägliche Überleben und zum Milieu der „kleinen Leute“. Dann gibt es eine fast wie auf einer Theaterbühne gestaltete Szene: die kammerspielartige Darstellung eines Essens, das an den Nerven zerrt. Eine andere Sequenz, bei der eine Todesnachricht überbracht werden soll, arbeitet in bester Spannungsmanier mit alternierendem Schnitt. Und es gibt eine kitschig-klamaukhaft überhöhte Musikszene, die Delia und ihre Jugendliebe Nino, von der Kamera mit spöttischem Pathos umkreist, von einer zweiten Chance träumen lässt.
Der inszenatorische Einfallsreichtum ist enorm. Die Wut über die Verhältnisse aber auch. Diesen Verhältnissen setzt der Film Zuversicht in Gestalt von Gemein- und Bürgersinn entgegen und zeichnet rund um Delia das feste Netz einer Nachkriegsgesellschaft, die in einem System aus Geben und Nehmen, teils aber auch in echter Solidarität verbunden ist. Klar wird dabei auch, dass die Klassengrenzen mit deutlichem Strich gezogen sind. Noch unüberwindlicher sind allerdings jene zwischen den Geschlechtern.
Der Film sorgte in Italien für Furore
Die Debatte, die „Morgen ist auch noch ein Tag“ adressiert, ist auch bald 80 Jahre nach der zeitlichen Verortung des Films keineswegs abgeschlossen. Das zeigt diese gewagte Mischung aus neorealistischem Drama, Musical, Krimi und Anklängen an die Commedia all’italiana sehr deutlich. Der in allen Parts hervorragend gespielte und mit einem mitreißenden Soundtrack versehene Film sorgte in Italien für Furore. Seit dem Kinostart im Oktober 2023 mauserte er sich zum Publikumshit, der an Schulen und im Senat vorgeführt wurde und Paola Cortellesi schon viele Preise eingebracht hat. Bei Demonstrationen, in denen Gewalt gegen Frauen angeprangert wird, recken die Menschen Schilder mit Filmzitaten aus „Morgen ist auch noch ein Tag“ in die Höhe. Die anhaltende Aktualität des Films wurde durch den Fall der von ihrem Ex-Freund ermordeten Studentin Giulia Cecchettin unterstrichen. Zur traurigen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die junge Frau nur einer von mehr als hundert Femiziden 2023 in Italien ist. Auch in Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau nur deshalb auf gewaltsame Weise, weil sie eine Frau ist.
Gerade die sich über Generationen fortsetzende Geschichte der patriarchalen Unterdrückung macht „Morgen ist auch noch ein Tag“ so herzzerreißend. Anhand der Beziehung zwischen Delia und ihrer jugendlichen Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) wird präzise erzählt, wie sie sich gegenseitig Spiegelbild, aber auch Motivation sind. Die zwischenzeitliche Aussicht, dass es für Marcella einen besseren Lebensentwurf geben könnte als den, der fügsame „Besitz“ eines Mannes zu sein, zerschlägt sich zwar fürs Erste. Doch das heißt nicht, dass es keine Hoffnung gäbe: Denn schließlich ist morgen auch noch ein Tag.