IF: Imaginäre Freunde

Animation | USA 2024 | 104 Minuten

Regie: John Krasinski

Ein junges, durch familiäre Schicksalsschläge traumatisiertes Mädchen besitzt wie sein spleeniger Nachbar die Gabe, all die „Imaginären Freunde“, kurz IFs, zu sehen, die sich Kinder als Spielkameraden herbeifantasieren. Die beiden freunden sich an und lernen dabei viel von den Nöten derer kennen, die sich allzu unüberlegt von ihren IFs getrennt haben. Ebenso fantasievolle wie nostalgisch-sentimentale Mischung aus Real- und Animationsfilm, die sich von einem Familiendrama zum Fantasy-Spektakel wandelt, ohne dabei der Vielfalt der Geschichten gerecht zu werden. Junge Zuschauer bleiben dabei auf der Strecke; ein älteres Publikum könnte mit ungeahnten Verweisen auf die eigene Kindheit überrascht werden. - Ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
IF
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Sunday Night/Maximum Effort
Regie
John Krasinski
Buch
John Krasinski
Kamera
Janusz Kaminski
Musik
Randy Newman
Schnitt
Christopher Rouse · Andy Canny
Darsteller
Cailey Fleming (Bea) · Ryan Reynolds (Cal) · John Krasinski (Beas Vater) · Fiona Shaw (Großmutter) · Bobby Moynihan (Jeremy)
Länge
104 Minuten
Kinostart
16.05.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Animation | Familienfilm | Fantasy | Komödie
Externe Links
IMDb

Überbordend-nostalgischer Fantasy-Film um ein vom Schicksal gebeuteltes Mädchen, das über die Gabe verfügt, imaginäre Wesen zu sehen, die sich Kinder als Spielkameraden herbeifantasieren.

Diskussion

Wann ist man erwachsen? Ist das ein schleichender Prozess? Etwas Biologisches? Oder ein ganz bestimmtes Ereignis? „Großmutter, ich bin zwölf, ich mache so etwas nicht mehr!“, sagt Bea (Cailey Fleming) vorwurfsvoll. Ein wenig überrascht und verschämt versucht die alte Frau (Fiona Shaw) ihren Fehler zu kaschieren und packt den Karton mit den Malstiften und den alten Kinderzeichnungen wieder zu den anderen Spielsachen in den Wandschrank. Die Zeiten, als Bea sich in der einst so riesig erscheinenden Mietswohnung wohlgefühlt und eine unbeschwerte Kindheit verbracht hatte, sind längst vorbei. Doch in der Etage des ehrwürdigen Stadthauses scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Hier wirkt alles aufgeräumt, sauber und zugleich auf eine gemütliche Art überfrachtet, mit alten Fotos, Kissen, Teetassen, dunklen Holzmöbeln und gemütlichen Lehnsesseln.

Omas Reich hat für Bea immer mal wieder als Zuhause gedient. Damals, als ihre Mutter starb, und auch jetzt, als ihr Dad (John Krasinski) im Krankenhaus liegt, um an seinem „zerbrochenen Herzen“ operiert zu werden. Manchmal ist es das Leben, das einen Erwachsen macht!

Fantasie ist Trumpf

Schaut man sich Bea an, erkennt man ein schlankes, für sein Alter hochgewachsenes, intelligentes, aber auch verspieltes Wesen. Sie wirkt aufgeräumt und eigentümlich vernünftig, so als gebiete es ihre (Lebens-)Erfahrung, niemals zu aufgedreht und immer für den nächsten Schicksalsschlag gewappnet zu sein. Das verlangt Bea jetzt auch von ihrem Vater, obwohl der selbst noch im Krankenzimmer keine Sekunde verstreichen lässt, um nicht den Pausenclown zu mimen. Dennoch ist Bea insgeheim immer ein wenig erleichtert, wenn er sich im Krankenhausschrank versteckt und die miteinander verknoteten Handtücher so aus dem Fenster hängt, als sei er aus dem zehnten Stock der Klinik „ausgebrochen“.

„IF: Imaginäre Freunde“ beginnt wie ein tragikomischer Hollywood-Film, der im Vorspann noch eine heile Welt vorspielt, ehe der darauffolgende Alltag in eine tiefe Melancholie gleitet. Doch in „IF: Imaginäre Freunde“ tritt John Krasinski als Produzent, Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller von Beas Daddy an, um den „Alltag“ in hohem Bogen über Bord zu kicken. Und so mischt sich in den Realfilm ein wenig Animation und zwei Etagen über Großmutters Wohnung das Wesen Blossom. „Sie hat mich gesehen? Das ist doch nicht möglich!“ Auch wenn Bea zuerst nur ihr ungelenkes Poltern hört, hat Blossom recht: Bea besitzt die Gabe! Sie kann nicht nur das wie aus einem Trickfilm gestolperte, gut ein Meter große Schmetterlingsmensch-Wesen erblicken, sondern auch dessen tumben, eher zweieinhalb Meter hohen Zottel-Freund Blue und all die anderen „Freunde“, die sich ansonsten nur kleine Kinder herbeifantasieren, um einen Kumpel zum Spielen zu haben. Bea sieht sie alle.

Sie ist aber nicht die einzige „Begabte“, denn in der Dachwohnung wohnt neben Blue und Blossom auch noch Cal (Ryan Reynolds), der eine Art Aufpasser wider Willen oder auch Herbergsvater für die „Imaginären Freunde“ (IFs) zu sein scheint. Er weiß auch, wo sich all die anderen IFs aufhalten, unabhängig davon, ob sie gerade einen kindlichen Freund haben oder auch nicht.

Für den Film fungiert Cal als eine Art Conférencier, der immer dann, wenn Fragen aufkommen könnten, diesen erklärend zuvorkommt. Auch Bea, die nicht wirklich weiß, ob sie ihren Sinnen noch trauen kann, muss Cal erst erklären, wer diese Fantasiewesen um sie herum eigentlich sind und was sie zu bedeuten haben. Bea hatte „ihren IF“ schon lange abgelegt. Das macht man so, wenn man vernünftig und erwachsen wird. Cal aber erklärt sogleich, dass auch Blossom und Blue dieses Schicksal erfahren haben und über kurz oder lang aus der Welt verschwinden müssten. So sei nun mal der Lauf der Dinge.

Ein überschäumendes Spektakel

So realistisch und tragisch-dramatisch der Film zu Beginn ist, so fantastisch und spektakulär-märchenhaft wird er im weiteren Verlauf. Damit aber beginnen die dramaturgischen Holprigkeiten eines Spektakels, das nicht so recht weiß, wen es im Publikum adressieren soll: Kinder oder Erwachsene.

Da ist Beas Familiengeschichte mit der Großmutter, der toten Mutter und dem sterbenskranken Vater. Und Bea selbst, die unter schwierigen Bedingungen ihren Weg geht. Das entspricht eher einem realistischen Jugendfilm, der viele echte Probleme wälzt. Daneben aber gibt es die Fantasy-Geschichte um die flippige Blossom, den tumb-tapsigen Blue und den alten Teddybär Lewis, ein pinkes Einhorn oder einen unsichtbaren Freund. Wobei Carl wohl zu Recht fragt, welches Kind sich wohl einen „unsichtbaren“ Freund imaginiert. Hierbei handelt es sich um klassische Pixar-Versatzstücke: Fantasy-Figuren erleben stellvertretend für ein junges Publikum eine Abenteuergeschichte, in der sie Gefahren überstehen und innerlich reifen. Dieser Teil des Films, in dem sich die IFs neue Menschenfreunde suchen müssten, um nicht überflüssig zu werden, wird aber so wenig zu Ende gedacht wie das Sozialdrama vom Beginn.

Was den Drehbuchautor Krasinski bei all den vielen Volten des Films am meisten zu interessieren scheint, sind die Erwachsenen im Film, die nach dem Ablegen ihrer IFs eigentümlich verloren wirken. Geholfen werden kann ihnen nur, wenn sie lernen, ihren imaginären Freund neu zu erkennen. Das ist bei der Großmutter und ihrem verdrängten Kindheitswunsch nach dem Balletttanzen noch gut in die Geschichte eingebettet. Bei anderen Figuren wie etwa einer Ärztin im Krankenhaus oder dem Arbeitslosen Jeremy (Bobby Moynihan) wirkt das aber wie an den Haaren herbeigezogen.

Das ist doppelt misslich, denn ausgerechnet Jeremys IF ist mit dem heimlichen Herz des Films verbunden, nämlich Blue. Der eigentlich violette Zottel präsentiert sich als herzergreifende Mischung aus dem chaotischen Fozzie Bär der „Muppets“ und dem sensiblen Riesen Sulley aus „Die Monster AG“. Blue ist nicht nur hinreißend in den Realfilm hineinanimiert, sondern berührt nachhaltig, wenn er auf seinen inzwischen erwachsenen Imaginator Jeremy trifft. Doch wie so vieles wird auch diese emotional ergreifende Szene nur kurz angerissen, um sogleich zum nächsten Spektakel weiterzujagen.

Popcorn und Blue als Plüschtier

Mit fortschreitender Handlung schwindet immer mehr die Stringenz und droht mit der Fokusverlagerung Teile des jungen Publikums zu verlieren. Wann ist ein Kinderfilm „zu alt“ für Kinder? Spätestens dann, wenn die Aufmerksamkeit der Eltern parallel zum Desinteresse der Kinder steigt. „IF: Imaginäre Freunde“ stützt sich auf ein erstaunlich erwachsen klingendes Dialogbuch mit Vokabeln, die Sechs- bis Zehnjährige kaum verstehen dürften. Der Film hat einen Soundtrack voller Oldies, in dem Tina Turner aus den 1980er-Jahren noch das mit Abstand Modernste ist. Im Fernseher läuft „Mein Freund Harvey“ (1950) und referiert auf James Stewarts unsichtbaren Hasen-Freund. Zudem gelten die besten Szenen des Films Erwachsenen, die sich an ihre Freunde erinnern.

Für die Kinder bleiben nur der Slapstick, der knuddelige Blue und die temporeich-quietschbunten Animationspassagen des Films. „IF: Imaginäre Freunde“ ist ein ziemlich erwachsener Film, was schön für Eltern ist, die der Film wehmütig an die Kindheit und vielleicht an ihren viel zu schnell abgelegten IF erinnert. Die Kinder aber werden die Achterbahnfahrt eines kunterbunten Spektakels eher aussitzen, zumindest wenn es Popcorn und später Blue als Plüschtier gibt.

Kommentar verfassen

Kommentieren