Er rast mit einem schicken Jaguar durch die dunklen Gassen von Clerville, dicht verfolgt von der Polizei. Der pfeifenrauchende Inspektor Ginko ist einmal mehr hinter dem Juwelendieb Diabolik her. Der eiskalte Gangster setzt sogar Giftgas ein, um sich der Polizisten zu entledigen.
So beginnt die sehr schicke Neuverfilmung des italienischen Comic-Klassikers, die in Italien schon an Weihnachten 2021 in die Kinos kam. Dort sind die schwarz-weißen „Diabolik“-Comics Kult. Die ersten Bände der beiden Schwestern Angela und Luciana Giussani erschienen 1962; die Reihe verkaufte seitdem über 150 Millionen Exemplare und ist bis heute an allen Zeitungskiosken erhältlich. Die maskierte Hauptfigur ist ein brillanter Schurke, der mit seiner Partnerin Eva Kant vor allem Juwelen raubt oder Reiche bestiehlt. In Deutschland konnten sich die „Diabolik“-Comics nie durchsetzen; lediglich 2002/2003 erschienen sie kurz auf Deutsch.
Eine erste Verfilmung, „Gefahr: Diabolik“, datiert ins Jahr 1968, inszeniert von Mario Bava, mit Michel Piccoli als Inspektor Ginko und der damals weltberühmten Österreicherin Marisa Mell als Eva Kant. Der trashige Kultfilm lebt vom Pop-Charme der Kostüme und Dekors und der Musik von Ennio Morricone. In der englischen Synchronfassung wirkt der Film allerdings seltsam steif; selbst Hauptdarsteller John Phillip Law agiert hölzern und eindimensional.
Ein charismatischer Dieb: Luca Marinelli
Sehr viel charismatischer, aber auch bedrohlicher legt ihn nun Luca Marinelli an, der Diabolik in der imposanten Neuverfilmung verkörpert. Sein Antiheld handelt höchst amoralisch und tötet bedenkenlos auch Unschuldige; seine Beute teilt er nicht wie Robin Hood mit den Armen, sondern wirkt eher wie ein italienischer Bruder im Geiste von „Fantomas“. Ganz ähnlich wie die „James Bond“-Reihe setzt „Diabolik“ auf die Schauwerte von Gadgets und schnellen Autos.
Was „Diabolik“ jedoch sehr viel sehenswerter macht als etwa den empathielosen Genrefilm „Der Killer“ von David Fincher, ist der Einfall der Regisseure Antonio und Marco Manetti, die der zunächst nur amoralischen Gangsterfigur eine Entwicklung gönnen. Die macht der Dieb wegen Eva Kant durch. Die weibliche Hauptfigur ist eine reiche Witwe, die nach Jahren in Südafrika ins fiktive Städtchen Clerville zurückkehrt. Dort wartet sie auf die Lieferung eines besonders teuren Diamanten, auf den es auch der Meisterdieb abgesehen hat. Als sich die beiden zum ersten Mal begegnen, weiß der gefühlskalte Diabolik nicht, ob er sie umbringen soll oder zum ersten Mal seine Maske lüften kann, weil er ihr instinktiv vertraut. Gespielt wird Eva Kant von Miriam Leone, die gleichermaßen elegant, lässig, souverän und sexy sein kann. Die Furchtlosigkeit ihrer Figur beeindruckt (nicht nur) Diabolik.
Den Beginn der Beziehung zwischen Diabolik und Eva Kant zu zeigen, also die „Origin Story“ des berühmt-berüchtigten Duos, ist eine der vielen guten Ideen der Manetti-Brüder, die in Italien bekannte Genrefilmer sind und sich auch mit über 100 Videoclips einen Namen gemacht haben. Außerdem verstehen es die beiden, der Adaption einen verführerisch-coolen Mid-Century-Look zu verleihen. Gedreht wurde vor allem in den italienischen Alpen und in Mailand. Hinter aller Eleganz der Reichen und Schönen lauern allerdings Abgründe, Intrigen und Verlogenheit.
Treue zum Original & moderne Elemente
Auf diese Weise bleiben die Manettis dem Geist der Comics treu und belassen die Geschichte zeitlich in den 1960er-Jahren. Trotz reichlich charmanter Nostalgie peppen sie die Story aber auch mit modernen Plot-Elementen auf. Gerade die Figur der Eva Kant, die in der Verkörperung von Marisa Mell nur ein hübscher Sidekick war, wird in der Neuverfilmung stark aufgewertet. Sie wird von einem reichen, einflussreichen Politiker erpresst, der sie zur Heirat zwingen will. Das macht sie verletzlich, und die Figur ambivalenter. Als Diabolik einen Fehler begeht und von der Polizei geschnappt wird, kann nur noch Eva Kant ihn retten.
Der erste von drei geplanten „Diabolik“-Filmen bietet beste Unterhaltung, punktet durch Stilsicherheit und überzeugt vor allem durch die Hauptdarsteller Luca Marinelli und Miriam Leone – und bleibt bei aller Eleganz dennoch kantig und vielschichtig.
Besonders lohnenswert ist die „Special Edition“ des Films, die nicht nur mit einem 47-minütigen Feature rund um den Film aufwartet, sondern der auch der erstmals auf Deutsch erschienene 120-seitige Comic „Die Verhaftung von Diabolik“ beiliegt. In Italien kam die Fortsetzung „Diabolik wird gejagt“ 2021 ins Kino, allerdings nicht mehr mit Luca Marinelli, aber immer noch mit Miriam Leone; der Film wird demnächst auch in Deutschland erscheinen.