„Und waun die Schiachn schena wean / Und die Stummen faungan aun zum Plean / Se die Freind in die Goschn haun / Is die Baggasch wieder zaum“, singt Voodoo Jürgens in seinem Song „Wien bei Nacht“. Keine Frage: Klaus Lemke hätte „Vienna Calling“ gefeiert. Denn der Film von Philipp Jedicke baut seinen Protagonisten eine große Bühne, die es ihnen erlaubt, heller zu leuchten. So wie Lemke als subjektive Projektionen München, Hamburg und Berlin zum Sprechen brachte, so nutzt Jedicke den Wiener Schmäh, um eine Subkultur von Szenegrößen, eben die „Baggasch“, zu inszenieren. Zwar haben die ganz großen Namen wie Bilderbuch und Wanda im Vorfeld abgesagt, aber zumindest einige von Jedickes „Helden“ wie eben Voodoo Jürgens und Der Nino aus Wien sind regelmäßig auch auf bundesdeutschen Bühnen zu erleben.
Falco war hier Kunde
In „Vienna Calling“ kann man sie bei einem Auftritt in einer Peepshow-Kabine oder beim Friseur erleben. Der Friseur, den Nino aufsucht, ist selbst eine lokale Größe. Schon Falco, dessen gleichnamiger Hit dem Film den Titel gab, war hier Kunde. Damit ist der Film schon bei der hippen Trias von Wien gelandet: Mozart, Falco, Schubert – allesamt jung gestorben, wenngleich es der „Club 27“ in Wien etwas leger angeht.
„Vienna Calling“ versammelt Wiener Bohemiens und Projektemacher:innen, die allesamt etwas mit Medien, Musik, Events oder Szene-Kneipen zu tun haben und sich gemeinsam mit einer erstaunlichen Mischung aus lässiger Selbstironie, Understatement und Größenwahn am überlebensgroßen Mythos von Wien abarbeiten. Der Film schaut augenzwinkernd Selbstdarsteller:innen, schrägen Vögeln und Posern, zu denen auch Lydia Haider, Gutlauninger, Samu Casata, Kerosin 95 oder das Geschwisterpaar EsRap gehören, beim Zeitvertreib über die Schulter. Dabei wartet er geduldig auf die nächste Pointe oder den nächsten Einfall: ein Schlagzeug-Solo, der Kauf eines Brautkleides, ein Besuch bei den Eltern, das Nachdenken über berufliche Perspektiven in Italien.
Natürlich darf auch Stefanie Sargnagel mit einem kurzen Auftritt rechnen. Und auch die mittlerweile erwartbaren Drohnen-Flugaufnahme können nicht fehlen. Aber es spricht für „Vienna Calling“ und vielleicht auch für Wien, dass das Fluggerät abstürzt. Statt eines Überblicks also ein Absturz.
Das geheime Zentrum
Geheimes Zentrum des Films sind die Szenekneipe „Schmauswaberl“ und das Café Weidinger. Wie ein roter Faden zieht sich die Gefahr der Gentrifizierung, das Verschwinden kreativer Freiräume, durch diese leicht romantische Feier des grindigen Wiens, wo Projekte gemacht werden, die nicht auf den Mainstream oder das große Geld zielen. Wenn Samu Casata ein Event in den Kanälen von Wien vorbereitet, oder wenn die Kamera Voodoo Jürgens auf den Zentralfriedhof begleitet, wo er einst als Friedhofsgärtner arbeitete, dann entpuppt sich „Vienna Calling“ als „Missing Link“ zwischen „Der dritte Mann“ und tiefster Praterseligkeit.
Es wird viel geraucht und viel getrunken und für die körperliche Fitness werden Klimmzüge simuliert oder Kniebeugen fantasiert. „Vienna Calling“ wirkt ein wenig wie eine sehr konservative Vorstellung von einer in die Jahre gekommenen Subkultur, die man vielleicht etwas hinbiegen muss, um sie dokumentieren zu können. Gerade deshalb passt es ins Bild, wenn am Ende der Wanda-Manager Stefan Redelsteiner das Gesehene in Frage stellt. „Vienna Calling“ als eine Art „Rock’n’Roll-Swindle“, in Szene gesetzt von und für Deutsche, die sich den Wiener Underground genau so wünschen. Als Sehnsuchtsort eines popkulturellen Biotops, der zuverlässig interessantere Musik hervorbringt als München, Berlin und Hamburg zusammen.