„Die Harmonie findet man nicht allein!“ Das war – neben anderen Erkenntnissen über universelle Liebe und Diversität (in der Musik) – der wichtigste Gedanke in der Musical-Animations-Extravaganza „Trolls World Tour“ (2020). Als Poppy mit diesen Worten ihren Freund Branch in die Arme schließt und damit zugleich die ganze Musikwelt (der Trolle) eint, glaubte man, dass es keinen besseren Abschluss für die Geschichte um die kleinen Knuddelmonster auf ihrem Weg zur globalen Eintracht geben könne. Jede Musik und jeder (Troll) hat seine/ihre Berechtigung auf der Welt, auch wenn alle für sich weiter davon ausgehen, dass nur sie die coolsten und einzigartigsten Wesen innerhalb des Universums sind.
Doch leider haben die Filmgötter bestimmt, dass nicht Schluss sein darf, wenn es am schönsten ist. Deshalb folgt nach „Trolls“ (2016) und „Trolls World Tour“ (2020) jetzt „Trolls – Gemeinsam Stark“, da es im windigen Musikgeschäft (der Trolls) ja noch so viel aufzuarbeiten gilt. Etwa die Frage, wie es sich mit all den Boybands verhält.
Einer schert immer aus
Apropos „Harmonie findet man nicht allein“. Das Erste, das man im Prolog zu sehen und zu hören bekommt, ist, dass es immer einen gibt, der Misstöne im Kopf und in der Kehle hat. Etwa John Dory, der nicht mehr bei BroZone mitmachen, sondern eine Solokarriere starten will. Die kometenhafte Erfolgsgeschichte der Boyband ist in der filmischen Gegenwart hingegen längst Geschichte, und so verliert der damalige Trollsäugling Branch den Kontakt zu seinen Brüdern Clay, Spruce, John Dory und Floyd.
Wie? Es gab eine Boyband und Branch war darin quasi der „Michael Jackson“? Oh ja! Und es gibt noch viel mehr, was Poppy über ihren neuen Freund Branch erst herausfinden muss. Aber auch einiges, was Poppy über ihre eigene Familie erfahren wird. Auch die Zuschauer wissen durch den Prolog lediglich, dass sich die Brüder nach dem Ende von BroZone aus den Augen verloren haben. Branch wuchs quasi als Einzelkind auf, bis John Dory wie „Kai aus der Kiste“ vor ihm steht und Alarm schlägt.
Denn Floyd braucht Hilfe. Er scheint entführt worden zu sein und schwebt in Lebensgefahr. Wie bei den Gefährten in der „Herr der Ringe“-Trilogie müssen sich also erst einmal jene zusammenfinden, die auf eine wundersame und nicht ungefährliche Reise gehen sollen, um Floyd zu retten.
Zusammen im Gürteltiermobil
Poppy, Branch, John Dory und der eine oder andere Sidekick machen sich also zusammen im Gürteltiermobil auf die Suche nach Clay und Spruce. Floyd haben sie damit aber noch lang nicht gefunden, der beim Pop-Duo Velvet und Veneer in einem Diamanten-Flakon eingeschlossen ist, um den beiden mittelmäßigen Gesangsgeschwistern peu à peu mit seinem „Odeur musikalische Genialität“ auszuhelfen. Doch je mehr die Pop-Blender von Floyds Geistesblitzen profitieren, desto mehr löst sich der Troll auf. Mittels eines fingierten Hilferufs sollen deshalb Floyds Brüder angelockt werden, um „Nachschub“ für eine noch wirksamere Betörung der Massen zu erhalten, die nach dem Verschwinden der letzten großen Boyband nach anderen Stars lechzt.
Allerdings hat niemand mit Poppy und Branch und ihrer Liebe gerechnet, die Berge versetzen kann. Doch zum finalen Sieg bräuchten sie jenen perfekten Harmonieklang, der selbst diamantene Flakons zum Bersten bringt, wenn er denn von der vereinten Brüderschar gesungen wird. Am schönsten singt es sich eben doch in der Familie. Das ist zwar nicht gerade eine zwingend originelle Erkenntnis, als Triebfeder für ein musikalisches Road Movie aber allemal genug.
Das Phänomen „Trolls“
„Trolls“ bleibt ein Phänomen. Seit dem ersten Teil beweist die Filmreihe ein ums andere Mal, dass quietschbunt-verkitschte Animation nicht zwangsläufig zur Kinderverdummung beitragen muss, sondern gleichsam erhebend und auch für Erwachsene goutierbar sein kann. Wenn man genauer hinsieht und hinhört, ist die Trilogie ohnehin für die Eltern der größere Spaß als für ihre Kinder. Während der Nachwuchs eher durch das Tempo, die gespielten Witze, den Farbenrausch, die Atemlosigkeit und die Eingängigkeit der Melodien sowie durchs knuddelige Charakter-Design der illustren Fantasy-Figuren unterhalten wird, verfangen bei den Erwachsenen eher der Subtext, die Anspielungen auf die Musikgeschichte, das Timing der Situationskomik und natürlich auch das knuddelige Charakter-Design.
Ähnlich wie bei den ästhetischen Neuschöpfungen des Spider-Verse und der Ninja Turtles werden die Figuren des Trolls-Universums hier auf höchst kreative Art zum Leben erweckt. Das gipfelt in fast schon LSD-geschwängerten Animationssequenzen wie jener, als die „Gefährten“ im Gürteltiertaxi die Turbogeschwindigkeitstaste drücken und zu einem mitreißenden Neuarrangement von Van McCoys Disco-Kracher „The Hustle“ ihre Körperlichkeit verlieren, während sie von der stereoskopischen 3D-Animation in die zweite Dimension zurückschmelzen; fast so, als würden die Cartoonisten des Beatles-Animationsklassikers „Yellow Submarine“ die Regie übernehmen.
„Trolls – Gemeinsam Stark“ ist nicht nur durch die atemberaubend guten Song-Arrangements ein Erlebnis, sondern auch durch die ausgefeilte Animationstextur, die zwischen Haarplüsch und Baumwollzopfästhetik wechselt, je nachdem, in welchem Kreaturennebel die abenteuerliche Reise gerade Zwischenstation macht.
Dass in diesem audiovisuellen Konvolut die deutsch synchronisierten neuen Songs von Justin Timberlake etwas verblassen und das große Floyd-Befreiungsfinale eher eine eigentümliche Anti-Klimax darstellt, ist verzeihlich, weil es danach noch nicht nur zur neuerlichen Zusammenkunft von BroZone kommt. Denn im Abspann dürfen nach 21 Jahren Abstinenz noch fünf andere Jungs auftreten und einen neuen Song präsentieren. Justin Timberlake, der im englischen Original Branch die Stimme leiht, bekommt hier also seine erste animierte Doppelrolle spendiert. Das reißt den Film nochmal zurück über die Wasserlinie zu einem versöhnlichen und hoffentlich finalen Abschluss. Auch wenn es aus der Musikgeschichte sicher noch einiges anderes zu „ver-trollen“ gäbe.