Herrhausen - Der Herr des Geldes

Biopic | Deutschland 2022 | 210 (zwei bzw. vier Folgen) Minuten

Regie: Pia Strietmann

Mitte der 1980er-Jahre bewegt sich Alfred Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, mit großem Selbstbewusstsein auf dem politischen Parkett. Seine Idee eines Schuldenerlasses für die Länder der Dritten Welt sorgt ebenso für Aufregung wie seine eigenständigen Versuche, den Ost-West-Konflikt zu entschärfen. Mehr und mehr gerät er auch ins Visier der RAF, die ihn 1989 ermordet. Die vierteilige Miniserie zeichnet das komplexe Porträt eines konservativen Revolutionärs, der seiner Zeit in vielem voraus war und tragisch die Anzahl seiner Feinde verkannte. Mit hoher formaler und darstellerischer Qualität integriert die Serie gekonnt die mannigfaltigen Ebenen und Facetten der geschichtlichen Materie und besitzt nur in einer leichten Dialoglastigkeit eine kleine Schwäche. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Sperl Film + Fernsehproduktion/Avriofilms/Beside Prod./X-Filme Creative Pool
Regie
Pia Strietmann
Buch
Thomas Wendrich
Kamera
Florian Emmerich
Musik
Martina Eisenreich
Schnitt
Sebastian Thümler · Anja Siemens
Darsteller
Oliver Masucci (Alfred Herrhausen) · David Schütter (Thomas Wasner) · Julia Koschitz (Traudl Herrhausen) · Ursula Strauss (Frau Pinckert) · Bettina Stucky (Schneider-Lenné)
Länge
210 (zwei bzw. vier Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Serie
Externe Links
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Biografische Miniserie über den Bankier Alfred Herrhausen, der in den 1980er-Jahren mit visionären Ideen auffiel und ins Visier von Geheimdiensten und Terroristen geriet.

Diskussion

Er ist der Kennedy des deutschen Bankwesens: Alfred Herrhausen (1930-1989). Ein Manager, der jünger, smarter, schneller und besser aussieht als die meisten aus der alten Garde seines Business. Dazu selbstbewusst (manche meinen: arrogant), ein bisschen eitel und stets ungeduldig – intellektuell wie lebenspraktisch: „Stillstand ist der Tod.“

Herrhausen stammte aus einem Milieu und politischen Verhältnissen, die mit absolutem Führungsanspruch kein grundsätzliches Problem hatten: „Führung muss man auch wollen.“ Er kam und blickte als junger Manager der Energiewirtschaft bis zum Schluss quasi von außen auf die abstrakte Finanzwelt der Banken und ihre vermeintlichen Dos and Donts. Heute würde man ihn einen hochbegabten Quereinsteiger nennen. Beste Voraussetzungen also, um die konservative Deutsche Bank, in der er bald hohe und höchste Ämter bekleidet, fundamental zu verändern, ja eine ganze Branche disruptiv umzuwälzen.

Dabei macht die klug und kompakt in vier Teilen erzählte Miniserie „Herrhausen – der Herr des Geldes“ von Regisseurin Pia Strietmann und Drehbuchautor Thomas Wendrich dem Protagonisten zu Anfang eher klein. Ewig begleitet ihn ein unscheinbarer Aktenkoffer, hinter dem Herrhausen (Oliver Masucci) manches Mal geradezu Schutz zu suchen scheint; vielleicht ein Symbol des althergebrachten, konventionellen Bankgeschäfts, das er zu seinem Einstieg in das Frankfurter Bankhaus 1970 dort vorfand. Die Deutsche Bank war damals noch stark im Privatkundengeschäft engagiert und vor allem durch Industriebeteiligungen reich und mächtig geworden.

Mit seinen Erfahrungen aus dem rheinisch-westfälischen Revier war Herrhausen also der richtige Mann zur richtigen Stunde. Die Serie setzt ihren Fokus aber geschickt auf den Beginn einer anderen Ära in Wirtschaft und Gesellschaft: auf die Anfänge der Digitalisierung, die zwei Dekaden der weltweiten Dominanz des Investmentbankings und den Wind des Wandels durch Glasnost und Perestroika, der letztlich zur Bankrotterklärung des real existierenden Sozialismus und zur deutschen Wiedervereinigung führte.

Im Visier von allen

1987, zu Beginn der Serie, fühlte sich Herrhausen als zweiter Vorstandssprecher der Deutschen Bank so weit etabliert, dass er eine seiner hochgradig innovativen Ideen auf internationalem Parkett lancierte: bedingungsloser Schuldenerlass für die ärmsten Länder. Ein unerhörtes Novum! Sehr zum Unmut des scheidenden Bankchefs Christians (August Zirner) und ohne Absprache mit dem Kollegium. Seine Kommunikation erscheint absolutistisch. Später differenziert er seine Aussage, doch die Idee ist in der Welt.

Damals geriet Herrhausen ins Visier aller jener, die sich die Befreiung der Arbeiterklasse aus der Zinsknechtschaft auf ihre Flaggen geheftet hatten, namentlich die Staatssicherheit der DDR und die westdeutsche RAF, denn natürlich hörten im Kalten Krieg alle alle ab.

Zu dieser Zeit ist Herrhausen viel auf Reisen, als hoher Finanzdiplomat und quasi deutscher Schatten-Wirtschafts- und Außenminister. Noch bevor sein Duzfreund und Intimus Helmut Kohl (ungeheuer nahe am Original: Sascha Nathan) ihn offiziell beauftragen kann, prescht Herrhausen erneut vor und sondiert 1988 in einem noch ganz kafkaesken Moskau auf eigene Faust die Bedingungen eines Milliardenkredits an die bröckelnde Sowjetunion.

Jetzt sind es der westdeutsche Verfassungsschutz und die CIA, die sich durch solche Eigenmächtigkeiten provoziert fühlen. Herrhausen macht sich immer mehr Feinde. Es fällt (nicht zum letzten Mal) das zynische Wort: „Wo bleibt die RAF, wenn man sie mal braucht?“

Schillernd gestaltet sich Herrhausens Verhältnis zum Bundeskanzler. Hier, in der Nähe der absoluten Macht, kann Herrhausen seine intellektuelle Ungeduld kurz bezwingen. Er lernt sogar, dass auch in der Ruhe Kraft liegen kann. Dennoch hat er fundamental andere Vorstellungen vom Verlauf der wirtschaftlichen Revolution im Ostblock. Der Kanzler hingegen bedient sich seines „weißen Ritters“ gerne für Hintergrundgespräche über die knifflige Finanzmaterie und fürs medienwirksame Händeschütteln. Er benutzt ihn aber auch für eindrucksvolle politische Bilanzkosmetik und schließt ihn dann von wirklicher Entscheidungsgewalt aus („Lass gut sein, Alfred …“). Die einander widerstreitenden Systemanforderungen von Politik und (Finanz-)Wirtschaft im Kapitalismus kreuzen sich schmerzhaft in Herrhausens Brust.

Der politische Banker neuen Zuschnitts

„Helfende Kapitalisten“ wollen die Deutschbanker mit Blick auf UdSSR und DDR sein. Doch sind sie in Wahrheit nicht bloß die Steigbügelhalter für Kohl, Genscher, Teltschik & Co.? Wer dies alles aufmerksam und kenntnisreich aus der Ferne beobachtet, ist Henry Kissinger (Dov Glickman). Er hegt stille Sympathien für Herrhausen, versucht ihn aber auch im Auftrag der US-Regierung einzuhegen und zu bremsen. Für den „Herrn des Geldes“, der sich wohl selbst als politischer Banker neuen Zuschnitts versteht, tut sich hier eine gefährliche zusätzliche Frontlinie auf.

Blutig wird die Geschichte erstmals, als junge RAF-Mitglieder unter Führung eines Berufsrevolutionärs (Yousef Sweid) im Libanon die Neuentwicklung einer panzerbrechenden Richtbombe erprobt. Nach einigem Hin und Her und viel kleinlichem Streit einigt man sich auf Herrhausen als Zielperson Nummer eins und diskutiert bereits die Modalitäten eines Anschlags. Diesen zeigt die Serie – mehrfach abgewandelt als Albtraum, Alarmübung und Ernstfall – vielleicht ein wenig zu oft, was wohl dem Bemühen um Spannungsmomente in einem ansonsten eher diskursiven Handlungsverlauf geschuldet ist.

Zuvor aber kommt Herrhausen ganz oben an, wie die Serie überhaupt virtuos mit der Dynamik von Horizontale – die vielen schnellen Autokolonnen – und Vertikale – die Banktürme in vielen Ansichten, Szenen in gläsernen Aufzügen – spielt. Er beruft die erste Frau in den Bankvorstand (Bettina Stucky als Ellen Schneider-Lenné), er redet sich in einer Marcus-Antonius-mäßigen Ansprache seinen Vorstandsvorsitz selbst herbei, und er setzt sich gegen starken Widerstand bei der strategischen Neuausrichtung der Deutschen Bank als internationaler Investmentbank durch.

Herrhausen erscheint in diesen Szenen als liberaler, vorurteilsfreier Modernist, der die Zeichen der Zeit zu lesen und zu nutzen weiß. Er kooperiert selbstverständlich und unverkrampft mit Frauen, versucht sich an einem „normalen Leben“ mit seiner treuen Frau Traudl (Julia Koschitz). Und lernt endlich auch, die Macht zu teilen, zumindest mit denen, die seiner Meinung nach guten Willens sind, etwa seinem Nachfolger Hilmar Kopper (Shenja Lacher).

Material eines modernen Mythos

Doch wie jeder tragische Held kennt er auch Momente der Schwäche – die er als Mann seiner Generation lange ignoriert und die ihn bis ins Krankenhaus führen. Als der Fall der Mauer zur Tatsache wird, drängen die Politiker wieder in die erste Reihe des Geschehens und der Medien. Was hätte der Visionär Alfred Herrhausen wohl noch beitragen können zur Gestaltung des deutsch-deutschen Annäherungsprozesses auf dem Weg zur Wiedervereinigung? Er sah als Naturfreund die drohende ökologische Katastrophe kommen, er machte sich Gedanken über die Gefahren des russischen Machtverlusts in Europa.

Der Mord an Herrhausen kommt in der Serie dann beinahe beiläufig; die Täter und Hintermänner wurden nie ermittelt. Wie Kennedy fällt er in aller Öffentlichkeit einem Attentat zum Opfer; in seinem brechenden Blick lässt sich allerdings vor allem die Einsamkeit eines konservativen Revolutionärs lesen – Material für einen modernen Mythos.

Oliver Masucci steht im Zentrum des Ensembles. Er meistert die komplexe Rolle mit Bravour und verleiht Herrhausen in Nahaufnahmen intimere Momente und sogar Züge des ewig Jungenhaften, Spitzbübischen. Bis in Nebenrollen der Bankvorstände und dem politischen Personal merkt man der Serie hohe Qualität, Entschlossenheit und ehrlichen Einsatz für diesen historischen Stoff an. Das ausgezeichnete Drehbuch integriert gekonnt die mannigfaltigen Ebenen und Facetten der geschichtlichen Materie, bleibt als biografische Serie jedoch im Rahmen des Konventionellen – womöglich um nicht dem Verdikt des rein Spekulativen zu verfallen. Sie zeigt Alfred Herrhausen als Mann von gestern, der dennoch die heutige Welt maßgeblich prägte.

Diese ist vielfach anders als zu seinen Zeiten. Doch wenn etwas als Vermächtnis seines tragisch unvollendeten Lebens bleibt, dann sicherlich seine Maxime, die am Ort seines Todes in Bad Homburg in Stein gemeißelt steht: „Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein.“

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