Diplomatische Beziehungen
Drama | Großbritannien/USA 2023 | 400 (8 Folgen) Staffel 1 293 (6 Folgen) Staffel 2
Regie: Andrew Bernstein
Filmdaten
- Originaltitel
- THE DIPLOMAT
- Produktionsland
- Großbritannien/USA
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Netflix
- Regie
- Andrew Bernstein · Simon Cellan Jones · Alex Graves · Liza Johnson
- Buch
- Debora Cahn · Mia Chung · Anna Hagen · Peter Noah · Amanda Johnson-Zetterström
- Kamera
- Julian Court
- Musik
- Nathan Barr · Dimitri Smith
- Schnitt
- Agnes Grandits · Gary Levy
- Darsteller
- Keri Russell (Botschafterin Kate Wyler) · Rufus Sewell (Hal Wyler) · David Gyasi (Außenminister Austin Dennison) · Rory Kinnear (Premierminister Nicol Towbridge) · Ali Ahn (Eidra Park)
- Länge
- 400 (8 Folgen) Staffel 1 293 (6 Folgen) Staffel 2
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Politthriller | Serie
Polit-Serie um eine frisch berufene US-Botschafterin in Großbritannien, die sogleich in einen gefährlichen politischen Konflikt verwickelt wird.
Als Polit-Serie hat die zweite Staffel von „Diplomatische Beziehungen“, in der es um eine US-Botschafterin in Großbritannien geht, ein Problem. Das liegt an der Erwartungshaltung des Publikums. Denn die neue Staffel startet im November 2024, dem Monat der US-Präsidentschaftswahl, also gegen Ende eines Jahres, das von einem erbitterten Wahlkampf geprägt war. Davon ist in der Serie aber nichts zu spüren: Der große orange Elefant im Raum wird ignoriert. Ob dies eine vernünftige Entscheidung ist oder ein sträfliches Versäumnis, liegt im Auge des Betrachters.
Statt die aktuellen Geschehnisse der US-Innenpolitik kritisch zu kommentieren, reiht sich „Diplomatische Beziehungen“ eher in die längerfristige Blüte des Politdrama-Genres ein, das in den letzten beiden Jahrzehnten konstant Konjunktur erlebt hat. Und zwar nicht nur in Form rasch getakteter, actionreicher Suspense-Formate wie „24“, sondern auch mit theoretischen Strategiespielen und parlamentarisches Fachwissen voraussetzenden Projekten wie „Borgen“ oder „House of Cards“. Was den intellektuellen Anspruch betrifft und die serielle Macht, fügt sich „Diplomatische Beziehungen“ in letztere Linie würdig ein. Dabei sind es eher die leiseren, hintergründigen Motive dieses „garstigen Liedes“, als das die politische Sphäre nach Goethes Mephisto zu beurteilen ist, die hierbei ausgelotet werden und in der Darstellung zunehmendes Gewicht erhalten.
Eine US-Amerikanerin in London
Knall, Feuer und Rauch werden nur wohldosiert zum Einsatz gebracht. Etwa zu Beginn von Staffel 1 mit einem effektvollen Auftakt. Ein britisches Kriegsschiff wird darin auf offener See attackiert, schlägt leck und reißt etliche Seeleute mit in den Tod. Zur gleichen Zeit tritt die Hauptfigur Kate Wyler (Keri Russell), eine toughe Angehörige des US-amerikanischen diplomatischen Corps und bei Konflikten eher eine Verfechterin der unverblümten Aktion, das Amt der US-Botschafterin im Vereinigten Königreich an. Bald schon eskalieren die Ereignisse außer- und innerhalb des hermetischen Botschaftsgebäudes; fremde Mächte und ein britischer Ministerpräsident mit einem eklatanten Autoritätsdefizit (Rory Kinnear) versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen.
Zwischen einer drohenden Weltkrise größeren Ausmaßes, interkulturellen Anpassungsschwierigkeiten und ihrer Suche nach verlässlichen Allianzen im eigenen Haus wie auch in Washington versucht Botschafterin Wyler auch noch, ihre kriselnde Ehe mit dem Diplomaten Hal (Rufus Sewell) zumindest in ein labiles Gleichgewicht zu bringen. Der scheinbar stets hyperrelaxte Gatte, der sich über seine neue Rolle als „Trophy Wife“ (seine Worte!) insgeheim ziemlich ärgert, ist mit seinen gut gemeinten Ratschlägen für die Newcomerin aber auch nicht immer eine Hilfe. Rufus Sewell spielt diesen Zwiespalt gekonnt und mit Gusto aus. Bald wünscht sich Wyler, dass sie doch lieber den Job in Afghanistan angenommen hätte.
Pas de deux auf diplomatischem Parkett
Die Wylers leben in einer Welt der Privilegien, erfahren aber auch die Einschnürung persönlicher Selbstbestimmung durch eine antiquierte diplomatische Etikette. Von ihrem Selbstverständnis her fühlen sie sich berufen, die freiheitlichen Einstellungen des „American Way of Life“ zu repräsentieren; doch immer wieder müssen sie erkennen, dass ihr Leben fortan von Anpassungen und existenziellen Zwängen geprägt sein wird.
Insbesondere der Botschafterin fällt es schwer, ihren natürlichen Instinkt als politischer Mensch mit den Anforderungen eines institutionalisierten Politikbetriebs und der der Diplomatie mitunter inhärenten Heuchelei zusammenzuhalten. In ihren Verhandlungen mit Washington wird sie zwar von ihrem Stellvertreter Stuart Hayford (Ato Essandoh) sowie der CIA-Verbindungsoffizierin Eidra Graham (Ali Ahn) unterstützt, weiß aber lange nicht, ob die beiden wirklich vertrauenswürdig sind oder doch ihre eigene Agenda verfolgen. In ihren Beziehungen zu den Briten ist sie weitgehend auf sich gestellt und auf ihre Fähigkeit, Menschen schnell „lesen“ zu können. Wie gut, dass ihr und ihrer Einschätzung der Problemlage bald ein ebenso fähiger wie menschlich integrer Alliierter zur Seite steht: in der schmucken Gestalt des britischen Außenministers Austin Dennison (David Gyasi). Gyasi verkörpert diese komplexe, geradezu zerrissene Figur außerordentlich fokussiert und mit im besten Sinne sparsamen darstellerischen Mitteln, aber auch mit viel Gespür für Nuancen und die nötigen Zwischentöne.
In ihren komplizierten Pas de deux auf dem diplomatischen Parkett (und abseits) gestaltet die Serie überzeugend und gleichsam zwischen den Zeilen eine kleine Geschichte der britisch-amerikanischen Beziehungen seit dem Unabhängigkeitstag – den die beiden einmal beinahe einträchtig begehen.
Neue Karriereaussichten
„Diplomatische Beziehungen“ ist zugleich auch ein Drama der weiblichen Emanzipation und Selbstermächtigung. In dem modern-diversen Figurenensemble sind es die Frauen, die als starke Persönlichkeiten gezeichnet werden, die führen und häufig zuerst das Wort ergreifen – mitunter bis hin zur Unsitte vieler männlicher Machtmenschen, anderen permanent ins Wort zu fallen. Besonders der Botschafterin fällt es schwer, hier die rechte Balance zu finden. Wird sie Zeit und Gelegenheit haben, in ihr neues Amt hineinzuwachsen, bis alles sitzt wie bei einem gut geschnittenen Anzug? Oder wird von ihr erwartet, dass sie sofort nach Höherem strebt?
Letzteres spielt in Staffel 2 eine zentrale Rolle. Denn die amtierende US-Vizepräsidentin Grace Penn (Allison Janney) sieht in Washington D.C. einem handfesten Skandal entgegen und wird wohl kaum zu halten sein. Wyler, übernehmen Sie? Nach einigen moderaten Plot Twists, die die Spannung in der stark dialogorientierten Serie angemessen hoch halten, kommt Wyler in der finalen Auseinandersetzung mit der Vize-Präsidentin endgültig zu sich selbst, nimmt ihr Amt und die ihm innewohnende internationale Verantwortung an und behauptet sich darin zugleich auf Augenhöhe mit einem neuen toxischen Typus, der „alten weißen Dame“, die den Verdacht bestätigt, dass eine ehrgeizige jüngere Frau im Beruf manches Mal nichts mehr zu fürchten hat als eine erfolgreiche(re) ältere Konkurrentin.
Und was macht derweil der mächtigste Mann der Welt, der US-Präsident Rayburn (Michael McKean)? Er hält sich zumeist jupitergleich bedeckt, umwölkt und fern in Washington D. C. auf, von wo aus er milde und weißhaarig herrscht, wobei er womöglich nicht immer ganz im Bilde ist über das, was gerade der Fall ist. Im entscheidenden Moment stiehlt er sich ins Jenseits davon. Von Weitem naht bereits ein Elefant.