Goodbye Julia
Drama | Sudan/Schweden/Deutschland/Saudi-Arabien/Frankreich/Ägypten 2023 | 125 Minuten
Regie: Mohamed Kordofani
Filmdaten
- Originaltitel
- WADAEAN JULIA
- Produktionsland
- Sudan/Schweden/Deutschland/Saudi-Arabien/Frankreich/Ägypten
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Station Films
- Regie
- Mohamed Kordofani
- Buch
- Mohamed Kordofani
- Kamera
- Pierre de Villiers
- Musik
- Mazen Hamid
- Schnitt
- Heba Othman
- Darsteller
- Eiman Yousif (Mona) · Siran Riak (Julia) · Nazar Goma (Akram) · Ger Duany (Ager) · Issraa El-Kogali (Mona)
- Länge
- 125 Minuten
- Kinostart
- 15.08.2024
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Ein Drama über eine muslimische Sudanesin, die zur Zeit der ethnischen Unruhen 2005 den Tod eines Mannes verursacht und dessen Witwe und Sohn bei sich aufnimmt.
Khartum, die Hauptstadt des Sudans, hat in den letzten Jahrzehnten schon viele Konflikte überstanden. Als im Jahr 2005 John Garang de Mabior, der Führer der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, brechen erneut heftige Unruhen aus. Sie dauern bis 2011 an, bis sich der Südsudan vom Norden abspaltet und künftig als eigenständiger Staat bestehen will. Einen dauerhaften Frieden hat das aber nicht gebracht. Im Frühjahr 2023 wurde Khartum bei erneuten Auseinandersetzungen weitgehend zerstört.
Diese Wendung kommt in „Goodbye Julia“ von Mohamed Kordofani nicht mehr vor. Der Film beginnt vielmehr am Tag, als die Unruhen im Jahr 2005 ausbrechen. Schauplatz ist zunächst ein gutbürgerliches Viertel der Innenstadt. Hier leben in einem solide gesicherten Haus die Sängerin Mona (Eiman Yousif) und ihr Gatte Akram (Nazar Goma). Die beiden sind Nordsudanesen und Muslime. Auf Geheiß ihres strenggläubigen Gatten tritt Mona seit ihrer Hochzeit nicht mehr öffentlich auf. Ab und an schleicht sie sich allerdings aus dem Haus und besucht mit langem Mantel und Niqab heimlich ein Konzert in einem Musik-Café. Aus Angst, dass ihre Stimme erkannt werden könnte, tritt sie aber auch verhüllt nicht auf die Bühne. Die Musik und der Gesang aber sind ihre Passion; am Steuer ihres Autos singt sie manchmal vor sich hin.
Ein kurzer Blick aufs Handy lenkt ab
Parallel zu Monas Geschichte erzählt der Film diejenige von Julia (Siran Riak). Sie und ihr Mann Santino stammen aus dem Süden des Landes. Sie sind Christen und haben einen fünfjährigen Sohn namens Daniel. Vor einigen Jahren haben sie sich in Khartum niedergelassen. Doch nach Ausbruch der Unruhen werden sie von ihrem Vermieter aus ihrer Wohnung vertrieben. Vorerst finden sie bei Santinos Schwester Unterschlupf, die mit ihrer Familie in einer bescheidenen Baracke in einem Lager lebt.
Hierher verschlägt es Mona, als sie auf ihrem Heimweg von einem kurzfristig abgesagten Konzert in eine Straßensperre gerät und einen Umweg fahren muss. Ein kurzer Blick aufs Handy lenkt sie ab, sodass sie den auf der Straße spielenden Daniel anfährt. Ohne sich um den verletzten Jungen zu kümmern, fährt Mona davon. Santino hat den Unfall beobachtet. Er schwingt sich auf sein Motorrad und folgt Mona. Dass diese ihrem Mann während der Weiterfahrt per Handy panikartig mitteilt, dass sie von einem „wütenden Südsudanesen“ verfolgt wird, kostet Santino Minuten später das Leben. Der tödliche Schuss stammt von Akram, aus einem erst kürzlich erstandenen Gewehr.
Hätte Mona in diesem Moment den Mut zur Ehrlichkeit, käme es anders. Doch Aufrichtigkeit ist im Arrangement ihrer Ehe nur bedingt vorgesehen. So verschweigt sie Akram das Geschehene, und Santino wird als unbekannter Mann, der durch den Schuss eines gleichfalls nicht bekannten Schützen während der Unruhen ums Leben gekommen ist, bei einer Massenbestattung unter die Erde gebracht. Ein Verfahren, das aufgrund der Routine Usus zu sein scheint.
Lügen haben kurze Beine
Julia aber sucht Santino und befürchtet nach einigen Tagen das Schlimmste. Mona will zuerst weiterzuleben wie bisher, wird aber zunehmend vom schlechten Gewissen geplagt. Es gelingt ihr, Daniel und seine Mutter ausfindig zu machen. Sie gibt sich ihnen gegenüber nicht als Unfallverursacherin zu erkennen, bietet Mona aber eine Stelle als Haushaltshilfe an. Die freie Kost und Logis gelten auch für Daniel.
Akram ist davon nicht begeistert. Doch der Vorfall hat das Verhältnis zwischen den Eheleuten verändert; sein Widerstand fällt gering aus. Als Daniel eingeschult wird, sorgt Mona dafür, dass er eine Schule im Quartier besuchen kann, und übernimmt das Schulgeld.
Im Laufe des über Monate und Jahre geteilten Alltags entsteht zwischen Mona und Julia ein tiefes Vertrauensverhältnis, sogar eine Art Freundschaft. Auch Akram und Daniel kommen miteinander zurecht. Doch Lügen haben auch im Sudan kurze Beine. Davon handelt der zweite, im Jahr 2010 einsetzende Teil von „Goodbye Julia“, auch im Sudan kurze Beine.
Wie in einem Krimi
Die Geschichte von „Goodbye Julia“ baut sich wie in einem Krimi um ein (vertuschtes) Verbrechen und dessen Klärung auf. Die Anliegen, die Regisseur Mohamed Kordofani umtreiben, sind aber andere: das soziale Gefälle innerhalb der sudanesischen Bevölkerung, der darauf basierende Rassismus und der gesellschaftliche Umgang damit. Kordofani ist selbst in Khartum aufgewachsen und kannte außer den Hausangestellten lange Zeit niemanden aus dem Süden des Landes. Er definiert diesen Umstand als gelebte „soziale Apartheid“ und versteht „Goodbye Julia“ als einen Beitrag zur Erhaltung des kollektiven Gedächtnisses von sudanesischem und südsudanesischem Volk.
Für ein westliches Publikum ist „Goodbye Julia“ eine Art Geschichtslektion, die auf den tragisch miteinander verknüpften Schicksalen der beiden Protagonistinnen aufbaut. Obwohl der Film in einer politisch bewegten Zeit spielt, und die Handlung damit verknüpft ist, werden historische Ereignisse kaum erläutert. Das macht die Rezeption für Menschen, die mit der politischen Geschichte der Region wenig vertraut sind, nicht einfach.
Was Kordofani hingegen sehr eindrücklich vermittelt, sind Einblicke in eine muslimische Ehe, die getrennten und sich zugleich überschneidenden Lebensräume von Frauen und Männern sowie die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Befindlichkeiten von Christen und Muslimen. Die über alle gesellschaftlichen und konfessionellen Grenzen und Gräben hinweg entstehende Freundschaft zwischen den zwei Protagonistinnen entpuppt sich allerdings sowohl aus persönlichen wie auch aus politischen Gründen als höchst fragil.
„Goodbye Julia“ ist präzise inszeniert; die verschiedenen (Lebens-)Räume sind sorgfältig gestaltet. Obwohl es zwischendurch hektische Momente inklusive einer Verfolgungsjagd gibt und der Krimi-Plot Spannung erzeugt, erzählt Kordofani ausnehmend ruhig und gelassen. Er gibt den Schauspielern, vor allem den beiden Hauptdarstellerinnen Eiman Yousif (Mona) und Siran Riak (Julia), viel Zeit und Raum für die emotionale Entwicklung ihrer Figuren.
Zeichen für Humanität und Versöhnung
Ähnlich beiläufig, wie das politische Geschehen geschildert wird, beleuchtet der Film die Unterdrückung der Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft. Es sind bedrückende, manchmal auch empörende Szenen. Etwa wenn Akram rüde Monas Handy einfordert und misstrauisch die Anrufliste überprüft, oder wenn Mona aus Angst, von Akram verstoßen zu werden, verschweigt, dass sie keine Kinder bekommen kann.
In der ineinandergreifenden Erzählung von Politischem und Privatem ist „Goodbye Julia“ anspruchsvoll und zugleich auch sehr glaubwürdig. Der Film ist ein gelungenes Regiedebüt, das vor dem Hintergrund wachsender politischer Spannungen und kriegerischer Auseinandersetzungen ein Zeichen für Humanität und Versöhnung setzt.