Schweigen und Vertuschen - Die Todsünden der katholischen Kirche
Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 90 Minuten
Regie: Helmar Büchel
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Eco Media TV
- Regie
- Helmar Büchel
- Buch
- Helmar Büchel
- Kamera
- Egon Braun · Ion Casado · Andreas Krüger · Andrea Rumpler
- Musik
- Ramon Kramer
- Schnitt
- Berndt Burghardt
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Doku über die systematische Vertuschung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche und das Versagen des Rechtsstaates bei deren strafrechtlicher Verfolgung
„Missbrauchstäter sind wie Wölfe in der Herde der Kirche - aber es kann nicht sein, dass die Hirten den Wolf decken und ihre Herde im Stich lassen.“ So bringt der katholische Priester Pierre Vignon das Thema dieser aufwühlenden Dokumentation auf den Punkt. Der Geistliche ist erkennbar wütend und beklagt sich, dass er in die tiefste französische Provinz verbannt worden sei, weil er es gewagt habe, Kardinal Philippe Barbarin öffentlich Vertuschung von Missbrauch vorzuwerfen.
Vignon ist einer von zahlreichen Kronzeugen, die der Dokumentarfilmer Helmar Büchel für seinen Film „Verschweigen und Vertuschen - Die Todsünden der katholischen Kirche“ aufgespürt und vor die Kamera geholt hat. Neben zahlreichen Betroffenen von Missbrauch kommen Historiker, Juristen, Psychologen, Politiker und Kirchenvertreter zu Wort - etwa der Münchner Kardinal Reinhard Marx, Bischof Franz-Josef Overbeck aus Essen und Hans Zollern, der Kinderschutzexperte des Vatikans.
Täter werden versetzt statt bestraft
Fachleuten, die sich schon länger mit Missbrauch in der Kirche befassen, dürften viele der Fälle bekannt sein. Dennoch ist es so beeindruckend wie bedrückend, 90 Minuten lang die geballte Ladung auf sich wirken zu lassen.
Besonders aufrüttelnd schildert Wilfried Fesselmann seine Leidensgeschichte. Die hat mit einem der prominentesten Fälle in Deutschland zu tun. Prominent, weil hier mehreren Bischöfen und Kardinälen bis hin zum späteren Papst Benedikt XVI. schwere Fehler vorgeworfen werden. Fehler, unter denen vor allem Fesselmann und andere Opfer leiden mussten und bis heute leiden. Betroffene, denen es vermutlich herzlich egal ist, ob ihr Fall „prominent“ ist oder nicht. Auf das persönliche Leid hat das eher wenig Einfluss.
Fesselmann berichtet auch davon, dass er nicht einmal seiner streng katholischen Mutter zu erzählen wagte, was der im Ort beliebte Priester ihm immer wieder antat. Das Bistum Essen habe den Täter immer nur versetzt, anstatt seine Taten zu verfolgen. So kam der Mann 1980 auch ins Erzbistum München-Freising, als Joseph Ratzinger Erzbischof war. Dort konnte der Priester noch mehr als 20 Jahre lang sein Unwesen treiben.
Doch alle Versuche, darauf aufmerksam zu machen, um weitere Verbrechen zu verhindern, seien ins Leere gelaufen, berichtet Fesselmann. Damit nicht genug: Ihm selbst sei „Erpressung der Kirche“ vorgeworfen und die Staatsanwaltschaft „auf den Hals gehetzt“ worden.
Ein „ungeheuerlicher Fall, bis heute nicht zu verstehen“, räumt Kardinal Marx ein. „Man hätte natürlich anders handeln müssen“, betonen andere Verantwortliche heute. „Wir haben dazugelernt“, verspricht Bischof Overbeck.
Auch ein Staatsversagen
Doch „Schweigen und Vertuschen“ zeigt nicht nur die Versäumnisse der Kirche auf, sondern auch eine nur schwer zu erklärende Rücksichtnahme durch Politik und Justiz. „Das ist nicht nur ein Kirchenversagen, das ist ein Staatsversagen“, urteilt etwa der Sozialpsychologe Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission des Bundes. Eine bisher noch nicht so häufig gehörte Erklärung für diese „Beißhemmung“ liefern der Opfervertreter Matthias Katsch und der Historiker Hans Günter Hockerts: Weil Kirchenvertreter in der Nazi-Zeit verfolgt wurden, sei man noch lange nach dem Krieg oft übervorsichtig gewesen und habe die Kirche allenfalls mit Samthandschuhen angefasst.
Hockerts berichtet über eine Agitationskampagne in den Jahren 1936/37, in der die katholische Kirche als „Sex-Sumpf“ dargestellt worden sei - mit pädophilen Priestern als „Musterbeispiel“ für die These. Antikirchliche Kundgebungen seien von Hitler autorisiert und von Goebbels inszeniert worden, um einen Keil des Misstrauens zwischen Priester und Gläubige zu treiben und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erschüttern. Nach dem Krieg sei es der Kirche dann gelungen, sich vor allem als Nazi-Opfer zu inszenieren, was mit zu dieser „Beißhemmung“ beigetragen habe.
Systemänderungen sind erforderlich
Das ist eine von vielen interessanten Spuren, denen der Filmemacher Helmar Büchel in seinen Recherchen nachgeht und die die Zuschauer oft ratlos zurücklassen. Zeigen sie doch in geballter Form auf, warum es so schwierig ist, bei der Aufarbeitung von Missbrauch wirklich voranzukommen. In den 90 aufwühlenden Minuten wird aber auch klar: Alle Betroffenen und Experten sind sich einig darin, dass es nicht um die Aufarbeitung bedauerlicher Einzelfälle gehen kann, sondern um grundlegende Änderungen im System Kirche. Denn das hat es über Jahrzehnte nicht nur nicht geschafft, das Leid der Opfer zu verhindern, sondern es überhaupt nur wahrzunehmen