„Auf die Barrikaden, für die anarchistische Revolution“, singen die Klimaaktivisten in Anlehnung an einen Protestsong aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Zu diesem Zeitpunkt ist die Polizei bereits massiv angerückt und hat die sehr ausgeklügelten Konstruktionen aus Baumhäusern, Seilstrukturen, Flaschenzügen und Aufenthaltshütten, in denen die Protestierenden ausgeharrt haben, mit Äxten und schwerem Gerät zerstört. Ein Jahr lang, seit Oktober 2019, haben zumeist junge Leute aus Deutschland und anderen Ländern den Dannenröder Forst besetzt gehalten, um gegen den Bau der A 49 zu protestieren, die durch den jahrhundertealten Mischwald in Hessen führen wird.
Die Umweltschützer haben in um die 20 Meter hohen Holzbauten zwischen den Bäumen durchgehalten, sich mit Gesprächen, Musik, dem Zubereiten von Essen und der Beseitigung ihres eigenen Mülls die Zeit vertrieben. Die alternativ gesinnten und meist fröhlich auftretenden Aktivisten sind realistisch genug, die Chancen auf die Durchsetzung ihrer Ziele als niedrig einzuschätzen. Und so fallen im Dezember 2020 schließlich die letzten Baumhäuser und damit auch die Bäume. Mit unerbitterlicher Konsequenz baggern sich die Planierraupen durch ein einst fruchtbares Gelände, das nun gleich der innerdeutschen Grenze im Kalten Krieg eine Landschaft zerspaltet.
Gefilmt aus einer Innensicht heraus
Mehrere Monate lang hat der Dokumentarfilmer David Klammer, von Hause aus eigentlich Fotograf, die Aktivisten hautnah begleitet. Er filmt sie von innen heraus, auf der Höhe der Baumhäuser oder wieder auf dem Waldboden, dokumentiert ihre Gespräche unter sich, lässt sie in die Kamera sprechen, bringt sich selbst als Akteur aber nicht ein. Dass die Protagonisten sich furchtlos und unzensiert in seinem Film äußern, hängt ganz offenbar mit dem Vertrauen zusammen, das sie dem Filmemacher entgegenbringen und das er sich bei ihnen bereits bei der Besetzung des Hambacher Forsts verdient hat. So gelingt es ihm, das Ambiente im Wald sehr authentisch einzufangen.
Wie eine Gruppe moderner Robin Hoods erscheinen die jungen Menschen mit ihren Kapuzenpullis und ihrer Einstellung zur Gesellschaft. Man könnte sie allerdings auch für Bergsteiger halten. Gurte, Seile und viele Sicherheitsvorkehrungen sorgen dafür, dass sie das Leben und Balancieren in der Höhe meistern. Die meisten sind eloquent und gebildet, stammen wahrscheinlich aus bürgerlichem Elternhaus und verfügen neben dem nötigen Idealismus über die physische Fitness, sich diese Tour de force des Lebens abseits der Zivilisation anzutun. Vor dem Einschreiten der Polizei erklärt eine junge Frau Pressevertretern, wie gekocht wird, wo die Toiletten sind und wer welche Putz- und Aufräumarbeiten vornimmt.
Manchmal muss man sich umarmen
Die Umweltschützer wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, es gibt Pärchen oder solche, die es bestimmt einmal werden. Neuankömmlinge sollen mit offenen Armen empfangen und in das Leben im Wald eingeführt werden. Es wird gekocht, musiziert, einander Mut zugesprochen oder philosophiert, und manchmal muss man sich einfach mal umarmen oder trösten. Womöglich sind die Entbehrungen oder Konflikte, die sich zwangsläufig aus so einer Gemeinschaft ergeben, in dem Film unterrepräsentiert, wirkt der Zusammenhalt ein wenig zu schön, um wahr zu sein. Denn wie lange kann man so leben? Nahrung und Geräte müssen herangeschafft werden, Toiletten in der Höhe sind schwer zu installieren, und nicht jede/r bleibt bei Wind, Schnee und Kälte ewig gesund.
Trotz allen Idealismus und guter Vorsätze können sich auch die Aktivisten der Gesellschaft als solcher nicht komplett entziehen. So produzieren sie etwa auch Müll, der nicht kompostierbar ist, und müssen ihn wieder in die bestehende Infrastruktur einspeisen, damit er beseitigt werden kann. Solcherlei sehr grundsätzliche oder konkrete Probleme spricht der Film allerdings selten an.
Angst als treibende Kraft
Dennoch beeindrucken die Entschlossenheit und die Beharrlichkeit der jungen Menschen, die auch von älteren Semestern unterstützt werden. Die Angst vor der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage – mit einem symbolischen Wald als schützender Macht vor der Erderwärmung und all ihren Folgen – fungiert als treibende Kraft der Klimaschützer, die ihre Zukunft berechtigterweise bedroht sehen und ihren Kampf für den Planeten vorerst einem Studium oder einer Ausbildung voranstellen. Ihnen gilt eindeutig die Sympathie des Regisseurs.
Doch betreibt er keine Propaganda, dämonisiert die Polizei nicht, lässt einige Ordnungshüter in ihren Gesprächen mit den Besetzern durchaus sympathisch erscheinen. Doch er zeigt auch Szenen polizeilicher Gewalt und Zerstörung, in denen die Aktivisten drangsaliert werden oder wie sie sich verbal gegen konservative Gaffer zur Wehr setzen müssen.
Nicht zuletzt besticht der Dokumentarfilm durch seine visuelle Kraft. In zum Teil sehr schönen und sorgfältig komponierten Bildern illustriert er das Zusammenleben der Aktivisten, besticht aber auch durch atemberaubende, mit Drohnen aufgenommene Panoramaaufnahmen des Biotops, das es zu schützen gilt: den Wald. Wenn morgens die Sonne aufgeht und ihre Strahlen durch das mit Tau und Nebel verhangene Geäst der Bäume strahlen lässt, versteht man, worum es den jungen klimabewegten Protestierenden geht.