Gesicht der Erinnerung
Drama | Deutschland 2022 | 89 Minuten
Regie: Dominik Graf
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Lailaps Films
- Regie
- Dominik Graf
- Buch
- Norbert Baumgarten
- Kamera
- Hendrik A. Kley
- Musik
- Sven Rossenbach · Florian van Volxem
- Schnitt
- Claudia Wolscht
- Darsteller
- Verena Altenberger (Christina) · Alessandro Schuster (Patrick) · Florian Stetter (Jacob) · Judith Altenberger (Junge Christina) · Julia Stammler (Eva)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Ein Liebesdrama um eine Frau, die 20 Jahre nach dem Tod ihres Geliebten einen jungen Mann trifft, dessen Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen eine Beziehung unter ambivalenten Vorzeichen auslöst.
Christina trauert um ihren toten Geliebten. Nach 20 Jahren kann sie Jacob, der mit dem Auto gegen einen Baum fuhr, immer noch nicht loslassen. Und sie kommt aus der Krise nicht heraus: Ein Bild jagt das andere in der Introduktion von „Gesicht der Erinnerung“. Wie Christinas Lust- und Leiderfahrungen quälend und auch Hoffnungen befeuernd die Jetztzeit prägen, vermittelt Dominik Graf mit ausgefeilter, zunächst auch verwirrender Montage. Beruhigend statisch wirken die Einsprengsel ihrer Psychotherapiesitzungen. Über der Couch, auf der die Patientin sitzt, hängt das Gemälde einer Landschaft, in der eine schwarze Schlucht klafft: Der Graben, den der Tod eines geliebten Menschen hinterlässt, kann nur die Erinnerung überbrücken – so ungefähr argumentiert der Psychologe. Filme aber verwischen den Unterschied zwischen erinnerten und „aktuellen“ Bildern. Im Film ist immer „jetzt“, auch in der Rückblende.
So koexistieren zwei Christinas, die kurzgeschorene Mittdreißigerin der späteren Filmzeit (intensiv: Verena Altenberger) und die gelockte, jüngere Christina (Judith Altenberger, die Schwester der Hauptdarstellerin) der Flashbacks. Und weil die kinematografische Erfahrung eine gelockerte Auffassung von Zeit und Raum mit sich bringt, glauben wir Zuschauer mit Christina, dass es „mehr gibt zwischen Himmel und Erde“ – dass die Toten womöglich leibhaftig ins Leben zurückkehren.
Doppelte Liebesgeschichte
Dominik Graf hat ein gutes Händchen für Liebesgeschichten, wie er zuletzt im Kino mit „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ bewies, wo der Regisseur die im Kästner-Roman nachgeordnete Lovestory sinnfällig ausbaute. Im Fernsehfilm „Gesicht der Erinnerung“ erzählt Graf eine doppelte Liebesgeschichte. Die etwa 35-jährige Christina wird bei einem Gewitter von dem jungen Patrick (eindrucksvoll: Alessandro Schuster) aufgegabelt. Patrick wirbt um sie, sie werden ein Paar. Was die Physiotherapeutin an dem jungen Musiker, Mitte 20, fasziniert und zugleich irritiert, sind gewisse Ähnlichkeiten mit dem toten Jacob. Der Reiz der Erzählung geht von der Frage aus, ob sich Christina hier nur in einen Wahn hineinsteigert oder tatsächlich eine wundersame Wiedergeburt stattgefunden hat. Immerhin wurde Patrick kurz nach Jacobs Tod geboren, wenige Kilometer vom Unfallort entfernt.
Graf inszeniert das streckenweise wie einen Thriller, wobei einige Parallelen zu Alfred Hitchcocks „Vertigo“ beabsichtigt sein dürften – von der psychischen Disposition der (hier weiblichen) Hauptfigur über die kluge Einbindung der Stadtlandschaft (dort San Francisco, hier Salzburg) in die Erzählung bis zu der Doppelfigur des Liebesobjekts. Wie Judy in „Vertigo“ sträubt sich Patrick dagegen, sich von Christina wie Jacob (Madeleine) einkleiden zu lassen, zwängt sich dann aber doch in den Anzug des Toten. Christinas Aussage „Jacob hatte dunklere Haare“ ist ebenfalls ein leicht abgewandeltes Zitat aus dem Hitchcock-Klassiker, dessen Schema im komplexen Drehbuch von Norbert Baumgarten indes immer wieder unterlaufen wird.
Fortexistenz der Seele
Anders als in „Vertigo“, wo Kim Novak in einer Doppelrolle agierte, ist der Gegenpart bei Graf mit zwei Schauspielern besetzt, den Jacob der Rückblenden spielt Florian Stetter, der in Grafs „Die geliebten Schwestern“ Friedrich Schiller verkörperte. Mit dem deutschen Dichter scheint der Film an die Fortexistenz der Seele zu glauben. Schillers Gedicht „An die Parzen“ schließt mit den Worten: „Laß ins Unendliche den Faden wallen, / Er wallet durch ein Paradies, / Dann, Göttin, laß die böse Schere fallen! / O laß sie fallen, Lachesis!“ Die Schicksalsgöttinnen der griechisch-römischen Mythologie, von denen eine den Lebensfaden flicht, die zweite ihn misst, die dritte (Lachesis oder Morta) den Faden abschneidet, werden in „Gesicht der Erinnerung“ im wiederkehrenden Bild der Spinne im Netz aufgerufen, und der Spinne, die Christina auf ihrer Hand herumkrabbeln lässt.
Wie weit haben wir unser Schicksal in der Hand? Und falls wir den Faden verlieren, gibt es ein Paradies, in das wir zurückkehren können? Es ist eine überzeitlich-spirituelle Thematik, die Dominik Graf in die Form eines ambitionierten, spannungsreichen Liebesfilms überführt.