Drama | Deutschland/Frankreich/Luxemburg/Tunesien 2021 | 90 Minuten

Regie: Samir Nasr

Ein junger Mann, der im Affekt einen anderen tötete, landet in einem düsteren Gefängnis, wo normale und privilegierte Häftlinge getrennt voneinander untergebracht werden. Als Spitzel für die Gefängnisleitung kommt der junge Mann in den besseren Trakt, muss dafür aber einen Freund verraten. Mit bühnenartig-minimalistischen Settings schildert der episodenhafte Film, wie der naive Protagonist zunehmend unter die Räder eines repressiven Systems gerät. Als eine Art Parabel auf einen diktatorischen Staat will der Film möglichst exemplarisch und universell erzählen, gerät darüber aber recht formelhaft und schafft es nur selten, die menschenunwürdigen Umstände auch emotional und dramatisch zu vermitteln. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
YA 3ALAM
Produktionsland
Deutschland/Frankreich/Luxemburg/Tunesien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Soilfilms Media GmbH/Zoneart Films/teamWerk. Die Filmproduktion/Les Contes Modernes/Wady Films/Neue Mediopolis Filmprod./ZDF/arte
Regie
Samir Nasr
Buch
Samir Nasr · Sonallah Ibrahim
Kamera
Darja Pilz
Musik
Oliver Biehler
Schnitt
Hansjörg Weissbrich
Darsteller
Ahmed Al Munirawi (Sharaf) · Khaled Houissa (Officer Edko) · Fadi Abi Samra (Dr. Ramzy Yacoub) · Salha Nasraoui (Sharafs Mutter) · Jala Hesham (Hoda)
Länge
90 Minuten
Kinostart
26.01.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Gefängnisfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
TMDB

Parabelhaftes Gefängnisdrama um einen naiven Mann arabischer Herkunft, der in der Haft unter die Räder eines diktatorischen Systems gerät.

Diskussion

Sharaf (Ahmed Al Munirawi) sticht im Gefängnis sofort heraus. Er ist jung und hübsch, weshalb er bald mit sexuellen Übergriffen konfrontiert wird. Auch sein sanfter und naiver Charakter steht im krassen Gegensatz zur Abgestumpftheit, die ihn umgibt. Sharaf glaubt fest an seine baldige Entlassung und tröstet als einziger einen weinenden Mitgefangenen. Als der Offizier Edko (Khaled Houissa) einen Kugelschreiber verliert, behält er ihn nicht, sondern trägt ihn seinem Besitzer hinterher. Dass der Zwischenfall mit dem Stift kein Zufall war, sondern eine Prüfung, erfährt der junge Mann erst, als es zu spät ist.

Den Grund für Sharafs Haftstrafe wird in dem Film des deutsch-ägyptischen Regisseurs Samir Nasr nur grob umrissen. Weil ihm ein Ausländer „an die Ehre wollte“, hat er ihn im Affekt getötet. Durch Folter und Erpressung erzwingen die Polizisten ein Geständnis. Einen fairen Prozess wird Sharaf nicht bekommen. Bereits in dieser düsteren Anfangsszene wirkt das Setting minimalistisch und bühnenhaft. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Gefängnis, in dem der restliche Film angesiedelt ist und das seine Kulissenhaftigkeit nie ganz überwindet. Das mag teilweise mit dem geringen Budget zu tun haben, ist aber wohl mehr dem Versuch geschuldet, einen Schauplatz zu schaffen, der möglichst unspezifisch und exemplarisch ist. Ähnlich ist auch die Figur des Protagonisten angelegt, dem vor allem symbolische Bedeutung zukommt: Sharaf verkörpert eine Unschuld, die an einem repressiven System zugrunde geht.

Das Gefängnis als Mikrokosmos

Dieses System ist nur vordergründig das Gefängnis. Die Korruption sowie die Hierarchien und Ungerechtigkeiten, die Sharafs Alltag bestimmen, weisen weit über die Mauern der Haftanstalt hinaus. Gleich zu Beginn werden die Häftlinge in zwei Gruppen eingeteilt: die Normalen, die in dunklen Massenbehausungen untergebracht werden, und die Königlichen, die deutlich privilegierter leben, normale Kleidung tragen und besseres Essen bekommen. Sie besitzen diesen Status, weil sie entweder wohlhabend sind oder wie Sharaf einen teuflischen Pakt mit den Mächtigen eingehen.

Nasr erzählt eine Geschichte, deren Motive man aus zahlreichen Gefängnisfilmen kennt. Zwischen der Unterdrückung der Herrschenden und der Feindseligkeit von Mitgefangenen droht Sharaf zunehmend zermalmt zu werden. Die Außenwelt scheint ihn ohnehin schon aufgegeben zu haben. Immer wieder wartet er auf einen Anwalt, der letztlich aber nicht erscheint, weil ihn Sharafs Familie nicht bezahlen kann. Auch seine Freundin Hoda (Jala Hesham) lässt ihn schließlich fallen. Lediglich der Mithäftling Ramzy (Fadi Abi Samra) wird zum Freund. Doch weil der sich gegen mächtige Konzerne stellt und revolutionäre Gedanken hat, muss Sharaf ihn der Gefängnisleitung ausliefern. Während Isolation und Hoffnungslosigkeit immer stärker vom Protagonisten Besitz ergreifen, wird auch sein Gesicht immer blasser und die Ringe unter seinen Augen dunkler.

Ein Spiegel der (ägyptischen) Gesellschaft

„Sharaf“ unterscheidet sich von gängigen Gefängnisfilmen, indem er konsequent vage bleibt. Das Drehbuch basiert auf einem Roman des ägyptischen Schriftstellers Sonallah Ibrahim, der in den 1960er-Jahren selbst im Gefängnis saß. Im Film wird zwar erwähnt, dass sich die Handlung in einem arabischen Land abspielt, doch eine genauere Zuschreibung wird vermieden. Dass „Sharaf“ eine überwiegend europäische Produktion mit panarabischer Besetzung ist, war für den Regisseur auch eine Möglichkeit, die politische Zensur in Ägypten zu umgehen.

Während die parabelhaften Ungenauigkeiten verständlich sind, hemmt sich der Film aber selbst, in dem er versucht, möglichst universell zu sein. Die Situationen bleiben meist formelhaft, die Figuren sind häufig klischeehaft oder stehen für bloße Prinzipien, sie sind keine Menschen aus Fleisch und Blut. Spürbar wird das besonders gegen Ende, wenn „Sharaf“ doch etwas von der Zerrissenheit im diktatorischen System oder den menschenunwürdigen Zuständen im Gefängnis dramatisch vermitteln will.

Ein Moment menschlicher Nähe

Mit dem kaltblütigen Mörder Salem (Ibrahim Salah) bekommt Sharaf einen Mithäftling, der beharrlich seine Nähe sucht. Eine lange, klammernde Umarmung verrät, dass sich hinter der rauen Fassade eine Sehnsucht nach körperlicher Nähe verbirgt. Später gesteht Salem, wie ausgehungert er sich fühlt, weil ihm nach all den Jahren der Haft die Wärme einer Berührung fehlt. Es bleibt allerdings bei solchen kurzen Momenten, in denen es „Sharaf“ gelingt, seinen oft etwas zu kargen und theoretischen szenischen Anordnungen ein emotionales Fundament zu verleihen.

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