Drama | Großbritannien/USA 2022 | (sechs Folgen) Minuten

Regie: Hugo Blick

Eine britische Lady bereist den Wilden Westen auf der Suche nach dem Mörder ihres Kindes. Die „Frontier“ zwischen Zivilisation und Wildnis ist zu diesem Zeitpunkt bereits für aufgelöst erklärt, das ganze Land besiedelt und die First Nations weitgehend vernichtet oder verdrängt. Ein Pawnee-Krieger, der die Indianerkriege auf Seite der US-Armee bestritt, wird ihr Wegbegleiter. Die an Italowestern-Motive angelehnte, aber stets dem eigenen, tragischen, oft satirisch überzeichneten, immer aber idiosynkratischen Rhythmus folgende Miniserie entspinnt sich nicht entlang linearer Narrative der American Frontier, sondern findet das Leben in den Splittern wieder, die Gewalt, Trauma und Ohnmacht im Wilden Westen hinterlassen haben. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE ENGLISH
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
All3Media/Amazon Studios/BBC Studios/BBC/Drama Republic
Regie
Hugo Blick
Buch
Hugo Blick
Kamera
Arnau Valls Colomer
Musik
Federico Jusid
Schnitt
Ben Yeates · Andy Morrison
Darsteller
Emily Blunt (Cornelia Locke) · Chaske Spencer (Eli Whipp) · Ciarán Hinds (Richard M. Watts) · Rafe Spall (David Melmont) · Toby Jones (Sebold Cusk)
Länge
(sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie | Western

Eine tragisch bis satirisch gezeichnete Western-Serie um eine britische Lady, die in Amerika Vergeltung für den Tod ihres Sohnes sucht und sich mit einem Pawnee-Krieger zusammentut.

Diskussion

Das Ende der Frontier ist gekommen. Das United State Census von 1890 verkündet das Ende der Grenzen nach Westen. Der Kontinent ist erschlossen. Eisenbahnen bringen zahllose Siedler in das weite Land. Stacheldraht zerschneidet die Prärie und ihre Freiheit. Beides ist oder wird nun Eigentum der weißen Siedler. Waffen und Seuchen haben die indigenen Völker weitgehend vernichtet. Die wenigen Überlebenden wohnen dem Ende ihrer Kultur im Reservat bei oder tanzen ihm als Mitglieder des „Ghost Dance“ entgegen.

Ein Pawnee trifft auf eine Lady

Wer nicht Teil des Krisenkults ist, überlebt. Für den Pawnee Eli Whipp (Chaske Spencer) beginnt mit dem Ende seines Dienstes in der Army eben dieses Überleben. Ohne die Uniform ist er in den Augen der Weißen nur noch ein Wilder – kein edler, schließlich hat er auf Seiten des Feindes gedient und damit Teilhabe am Genozid der First Nations, aber, ob er will oder nicht, einer, der das Herz am rechten Fleck trägt. Unabhängig von seinen Intentionen, seiner Vergangenheit und seiner Gesinnung: sein Glück endet mit dem Militärdienst. Konnte er, noch in Uniform, die Vergewaltigung und Exekution von Frau und Kind eines gefürchteten Häuptlings mit der ihm gegebenen Befehlsgewalt verhindern, hängt er kurz darauf selbst gefesselt im Hintergrund, als die Britin Cornelia Locke (Emily Blunt) mit der Kutsche den Westen erreicht.

Die britische Dame, die eigentlich in die Neue Welt gekommen ist, um den Mord an ihrem Sohn zu rächen, interessiert sich weniger für ihr Empfangskommando als für Eli, den aufgeknüpften Pawnee, versteht die Situation aber selbst in dem Moment nicht, in dem er ihr Hilfsangebot als aussichtslos abtut. Sie ist allein, unbewaffnet und umgeben von Feinden. Es ist das Axiom des dahinscheidenden Wilden Westens, das Cornelia hier begreifen muss: Wer nicht töten kann, ist denjenigen ausgeliefert, die es können.

Das Recht der Stärkeren

„The English“ ist die Verkomplizierung dieses archaischen Grundgesetzes in Gestalt eines revisionistischen Westerns. Cornelias Angebot, den Pawnee für 30 Dollar loszubinden und ihn weiterziehen zu lassen, mag in der zivilisierten Welt geradezu großzügig erscheinen, in der Prärie von Oklahoma ist es ein Witz, so deplatziert wie das Cricket-Spiel, das ihr Ehemann inmitten eben dieser Prärie spielt, ein ambitionierter, aber in der von Schusswaffen und Gewaltbereitschaft dominierten Welt hoffnungslos überzivilisierter Geschäftsmann. Auch sein Leben wird sich bald verkomplizieren. Für ihren Vorschlag erntet Cornelia einen Faustschlag ins Gesicht. Es ist der erste Moment, der verdeutlicht, dass ihr Gegenüber, der Mann mit bewaffnetem Anhang, bereits gänzlich über sie, ihr Geld und ihre Existenz verfügt. Ein gemeinsames Dinner wird dies bekräftigen. Das dazu geplante Rahmenprogramm: Cornelias Vergewaltigung und Ermordung.

Der von Ciarán Hinds gespielte, einer Karikatur sehr nah kommende Bösewicht ist nur einer von unzähligen seiner Art, denen Cornelia und Eli allein und schließlich gemeinsam begegnen werden. Die erste Hälfte von „The English“ ist fast ausschließlich über derartige Begegnungen konstruiert. Unbekannte treffen in den einstigen Pawnee Central Plains aufeinander und verhandeln über Leben und Tod, im eigentümlich reduzierten Rhythmus der mit quietschbunten Farben gemalten und mit Italo-Western-Motiven erzählten Serie. Die von Kameramann Arnau Valls Colomer in Spanien gefilmte Prärie strahlt farbig im Hintergrund, während im Vordergrund das Leben geraubt, vertrieben und vernichtet wird. Wie Comic-Panels wirken die Bildfolgen, in denen Autor und Regisseur Hugo Blick das Leben und Sterben politisch, historisch und moralisch verkompliziert.

Ein starkes Darsteller-Paar

Natürlich gilt das auch für das Protagonistenpärchen, das wieder und wieder zusammenfindet. Emily Blunt ist fantastisch in der Rolle einer Mutter, die den Tod ihres Sohnes zu rächen versucht. Ihr Weg durch die Frontier-Region ist nicht entlang generischer Ermächtigungsnarrative gezeichnet, sondern bleibt, trotz des enormen Bodycounts, den die britische Lady schon in den ersten Episoden sammelt, zerrissen zwischen dem Wunsch, die Traumata der Vergangenheit mit Gewalt zu tilgen, der ihr eigenen Güte und der im Upper-Class-Leben angelernten „Ladylikeness“. Cornelia ist tough genug, dass ihre toughness nicht den Raum einnehmen muss, der ihrer Verwundbarkeit zusteht.

Die eigentliche Sensation aber ist Chaske Spencer, dessen Präsenz allein fähig wäre, die Serie zu tragen, der aber hinter dem Kriegerdasein und dessen Überlebensmechanismen eine Tragik verbirgt, die so gewaltig erscheint, dass sie verschwiegen werden muss. Tatsächlich sind viele der Gräuel, die durch die sechs Episoden der Serie hallen, nicht aufdringlich gesetzte, sondern aus der Ferne erlebte oder gemeinsam verschwiegene Momente, die unter der Oberfläche verweilen, bis ein altes Foto, eine abfällige Bemerkung oder das ferne Echo eines Maschinengewehrs sie zurückbringen.

Geschichten von Ohnmacht und Verlust

„The English“ betrachtet die Frontier nicht als großes, lineares Narrativ, sondern schaut auf die über Jahrzehnte und Meilen verteilten Splitter, die Genozid, Krankheit, Zerstörung, Ausrottung, Verdrängung und Neubesiedelung hinterlassen haben. Oft sind es Ohnmachtserfahrungen, mitunter im Angesicht bewaffneter „Bushwhacker“, häufiger im Zuge einer schicksalhaften Krankheit. Seuchen bestimmen den Lauf der Geschichte hier ebenso wie Waffen es tun. Als Cornelia auf einen Wissenschaftler trifft, der an etwas forscht, was er Vakzin nennt, treffen beide Gewalten mit bitterer Ironie aufeinander, oder, konkreter gesprochen: der Pfeil eines alten Indianers beendet das Impfstoff-Forschungsprojekt.

Dass die revisionistischen Skizzen, die Showrunner Hugo Blick von der Frontier zeichnet, nie zu schweren Diskursbrocken werden, ist seiner Fähigkeit geschuldet, in ihnen den Schmerz einer Welt zu finden, die nicht das werden möchte, was die Manifest Destiny ihr vorhersagt. Die Lebensläufe, die sich langsam aus den Trümmern der alten und dem Blut der neuen Welt zusammensetzen, sind Verlustgeschichten – tragisch, bitter und doch mit einer Art von Hoffnung durchdrungen, die nur eine Außenstehende in sie zu tragen vermag. Wo hat diese Hoffnung noch einen Platz? Die Antwort ist, wie sie auch lauten mag, kompliziert.

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