Der Drache meines Vaters

Anime | Irland/USA 2022 | 99 Minuten

Regie: Nora Twomey

Ein Junge fühlt sich, nachdem er mit seiner Mutter vom Dorf in eine Stadt gezogen ist, in der neuen Umgebung nicht wohl und leidet unter den materiellen Sorgen seiner Familie. Doch dann gelangt er mit Hilfe einer freundlichen Katze zu einer geheimnisvollen Insel, wo er bei einem Jungdrachen Hilfe zu finden hofft, aber merkt, dass die Inselbewohner ihrerseits Beistand benötigen. Ein Animationsfilm nach einem Kinderbuch-Klassiker aus den 1940er-Jahren, umgesetzt in einem prägnanten, ebenso abstrakt-grafischen wie detailversessenen 2D-Zeichentrickfilm-Stil. Kindgerecht, aber auch für Erwachsene spannend, erzählt der Film von Entwurzelung und der Konfrontation mit existenziellen Veränderungen. - Sehenswert ab 8.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MY FATHER'S DRAGON
Produktionsland
Irland/USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Cartoon Saloon/Mockingbird Pictures/Netflix Animation/Parallel Films
Regie
Nora Twomey
Buch
Meg LeFauve
Musik
Jeff Danna · Mychael Danna
Schnitt
Richie Cody
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 8.
Genre
Anime | Fantasy | Kinderfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Animationsfilm nach einem Kinderbuch-Klassiker aus den späten 1940er-Jahren: Ein Junge gelangt mit Hilfe einer freundlichen Katze zu einer geheimnisvollen Insel, wo er einem Jungdrachen begegnet.

Diskussion

Am Anfang steht ein schmerzhafter Abschied: Der junge Elmer und seine Mutter müssen ihren Dorfladen und die glückliche Zeit dort aufgeben, um in die graue Stadt zu ziehen und sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Dies stellt bald den familiären Zusammenhalt auf eine harte Probe, denn die abweisende Umgebung und die finanziellen Probleme türmen viele Sorgen und Ängste auf Mutter und Sohn. Dann findet Elmer, der sich nur zu gern nützlich machen würde, aber der Situation gegenüber ziemlich hilflos ist, einen tierischen neuen Freund: Auf der Straße macht er die Bekanntschaft einer Katze, die er unerlaubterweise in die kärgliche Dachwohnung mitnimmt, in der Haustiere streng verboten sind. Das führt zu einer harten Konfrontation zwischen Elmer und seiner Mutter, die beide ohnehin überfordert von ihrer nervenaufreibenden Lage sind. Elmer läuft davon und findet sich bald am Hafen der Stadt wieder.

Und dort nimmt das Ganze eine wunderbare Wendung: Die Katze, dankbar für seine Freundlichkeit ihr gegenüber, weist dem Jungen den Weg zu einer geheimnisvollen Insel, auf der ein Drache leben soll, der die Lösung für all seine Probleme darstellen könnte. Mit Hilfe eines Wales namens Polly macht sich Elmer auf, die Insel zu finden.

Ein neues Trickfilmjuwel von Cartoon Saloon

„Der Drache meines Vaters“ ist ein weiteres Trickfilmjuwel aus dem Hause Cartoon Saloon. Das Studio im irischen Kilkenny verzauberte die Zuschauer in den vergangenen Jahren mit „Oscar“-nominierten Produktionen wie „Das Geheimnis von Kells“, „Wolfwalkers“ oder „Die Melodie des Meeres“ und setzt dabei quasi als Markenzeichen konsequent auf den klassischen 2D-Zeichentrickfilm-Stil. Cartoon-Saloon-Mitbegründerin Nora Twomey, die zuvor als Regisseurin den von Angelina Jolie co-produzierten Film „Der Brotverdiener“ erschuf, adaptierte auch die „Der Drache meines Vaters“ zugrunde liegende Kinderbuch-Serie aus dem Jahre 1948 von Ruth Stiles Gannett für Netflix. Dafür verpflichtete sie Drehbuchautorin Meg LeFauve, die zuvor Pixars „Alles steht Kopf“ mitverfasste.

Auf dem Papier klingt der Plot nach einer unschuldigen Geschichte für Kinder, gerät aber dank einer fantastischen Umsetzung zu einem tiefsinnigen Film für die ganze Familie, bei dem Alt wie Jung sich in den Filmfiguren und den existenziellen Problemen, mit denen sie sich abmühen, wiedererkennen und zum Nachdenken anregen lassen kann.

Zwar findet Elmer auf der wunderbaren Insel, auf der ihn seine Abenteuer verschlagen, tatsächlich den in Aussicht gestellten Drachen, doch dieser entpuppt sich keinesfalls als Lösung für all seiner Schwierigkeiten; der naive Jungdrache Boris steht vielmehr selbst vor einem Problem, denn er soll auf der Insel den Sprung zum Meisterdrachen machen, weiß aber nun wirklich nicht wie. Zudem versinkt die Insel langsam und droht so, die Heimat und das Leben der dortigen Tiere zu vernichten.

Kinder wie Eltern können sich ernst genommen fühlen

Es geht in „Der Drache meines Vaters“ also gleich in mehrfacher Hinsicht um Entwurzelung und die Herausforderung, mit drastischen Veränderungen im Leben konfrontiert zu sein. In einer Zeit, wo Kinderfilme hergestellt werden, die bewusst als harmloser Babysitter-Ersatz herhalten sollen, ist es mehr als wohltuend, einmal eine Geschichte erzählt zu bekommen, in der Zuschauer, Eltern wie Kinder, sich ernst genommen fühlen können, ohne dass im Hintergrund ein pädagogischer Knüppel geschwungen wird. In „Der Drache meines Vaters“ gibt es Sorgen, Tränen, Ungerechtigkeiten, die nicht simpel aufgelöst werden. Hier stehen Fragen im Raum, auf die es keine leichten Antworten gibt. Und vor denen sich hiesige Kinderfilme immer wieder drücken. Bei diesem Film haben die Macher sowohl Respekt vor der Fantasie der Kinder, ihrer Lust am Abenteuerlichen und Magischen, als auch vor dem rationalen Denken der Erwachsenen. Und es wird um Verständnis für beide Positionen, die der Großen und Kleinen gleichermaßen, geworben.

Dabei erschaffen die Macher von Cartoon Saloon eine Erzählwelt, die unvorhersehbar ist, in der keine weisen Mentoren aus dem Nichts auftauchen und den Weg beschreiben, den es zu gehen gilt. Eine Welt, die gleichzeitig wunderbar, simpel, komplex und unerklärlich ist. In der es Mandarinen-Inseln gibt und tückische Fallgruben. Es ist der Zusammenhalt zwischen Boris und Elmer, ihre neue Freundschaft, die ihnen die Kraft gibt, das Ganze durchzustehen.

Sehgewohnheiten werden gegen den Strich gebürstet

Dank der Macher von Cartoon Saloon und ihres Gespürs für Farben und eine ganz besondere, grafisch-ornamentale Formsprache ist der Film nicht zuletzt herrlich anzuschauen. Dabei emanzipieren sich die Macher weitgehend vom Look von Ruth Stiles Gannetts Vorlage, sondern erwecken diese in ihrem eigenen, so abstrakten wie detailversessenen Stil zum Leben. Wird das allen gefallen? Wohl kaum, denn die Art und Weise, wie Twomey, LeFauve und ihr Team das Ganze in rund 100 Minuten Film gegossen haben, bürstet eingeschlafene Sehgewohnheiten und Erwartungen kreativ gegen den Strich. Aber vergessen wird man die Charaktere und die Story keinesfalls. Und es könnte passieren, dass man/frau beziehungsweise Kind/Elternteil bei nächster Gelegenheit, wenn es eine Entscheidung zu treffen gilt, sich dabei ertappen wird zu überlegen: Was hätte Elmer, was hätte Boris gemacht? Um dann lächelnd den eigenen Weg zu gehen.

Kommentar verfassen

Kommentieren