Los reyes del mundo
Drama | Kolumbien/Spanien/Norwegen/Luxemburg/Mexiko/Frankreich 2022 | 103 Minuten
Regie: Laura Mora
Filmdaten
- Originaltitel
- LOS REYES DEL MUNDO
- Produktionsland
- Kolumbien/Spanien/Norwegen/Luxemburg/Mexiko/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Ciudad Lunar/La Selva Cine/Iris Productions/Talipot Studio/Mer Film/Tu vas voir
- Regie
- Laura Mora
- Buch
- Laura Mora · María Camila Arias
- Kamera
- David Gallego
- Musik
- Leo Heiblum · Alexis Ruiz
- Schnitt
- Sebastián Hernández · Gustavo Vasco
- Darsteller
- Carlos Andrés Castañeda (Rá) · Brahian Stiven Acevedo (Nano) · Davidson Andrés Flórez (Sere) · Cristian David Campaña (Winny) · Cristian Camilo David Mora (Culebro)
- Länge
- 103 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Road Movie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Fünf Jugendliche, die in Medellín auf der Straße leben, brechen zu einer Reise ins kolumbianische Hinterland auf, wo einer von ihnen ein Grundstück erben soll, das vor dem Bürgerkrieg seiner verstorbenen Großmutter gehörte.
Der 18-jährige Rà (Carlos Andrés Castañeda) lebt in Medellín auf der Straße. Seine Mutter ist tot, sein Vater verschollen. Er hat vier beste Freunde; zwei sind ungefähr gleich alt, die anderen ein wenig jünger. Sie bezeichnen sich als Brüder und bilden eine Art Ersatzfamilie. Rà ist ihr Anführer. Auch wenn sich die fünf nicht immer ganz legal durchs Leben schlagen und bisweilen auch in Raufereien verwickelt sind, halten sie untereinander an einem Ehrenkodex fest, der Rechtschaffenheit und die Sorge füreinander über alles stellt.
Ràs Familie wurde vor Jahrzehnten von ihrem Hof vertrieben. Der liegt rund 350 Kilometer von Medellín entfernt, unweit der Stadt Nechì, im hügeligen Nordwesten von Kolumbien. Im Rahmen einer staatlichen Landrückgabe sollen Gebäude und Land jetzt wieder an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden. Rà vertritt bei dem dafür erforderlichen Prozess die Interessen seiner verstorbenen Großmutter. Er wird von einer älteren Frau (Violeta Zabala) unterstützt, einer Freundin seiner Großmutter. Sie betreibt in Medellín ein Gästehaus. In ihrem Hinterhof hat Rà unter einem Stein ein paar Dokumente versteckt: ein Foto, Zeitungsausschnitte, die von der Vertreibung zeugen, Dokumente, die die Großmutter als Besitzerin von Land und Hof auszeichnen, sowie ihre Geburts- und Sterbeurkunde. Eines Tages kommt als wichtigstes Dokument ein Gerichtsentscheid dazu, der besagt, dass Haus und Land an die Großmutter oder ihren Erben zurückgegeben werden. Damit die Übergabe vollzogen werden kann, muss sich Rà im Gemeindeamt in Nechì melden.
Ein hoffnungsvoller Aufbruch
Es ist ein Jubeltag für den Jungen und seine Gefährten. Sie überlegen nicht lange. Es gibt ja auch kaum etwas zu packen; nur zwei Fahrräder und ihre halbleeren Rucksäcke nehmen sie mit auf den langen Weg zu den fernen Hügeln. Ihre übermütige Stimmung prägt auch den Film. Die Kamera begleitet die Gruppe agil bei ihrem beschwingten Marsch entlang der Überlandstraße. Sie schwingt sich mit einigen auf die Ladefläche eines Lasters. Hält die Freudentänze ebenso fest wie die schlingernde Fahrt der beiden an Seilen mitgezogenen Fahrradfahrer. Die Umgebung verändert sich, wird hügliger, wilder, waldiger. Allmählich beginnt es zu dämmern.
Regisseurin Laura Mora schneidet zu Beginn von „Los reyes del mundo“ Szenen frustrierenden Verharrens und Bilder eines hoffnungsvollen Aufbruchs unmittelbar gegeneinander. Sie umreißt damit sehr genau, was das Thema des Films ist: Die Verlorenheit von auf der Straße lebenden (männlichen) Kindern und Jugendlichen und deren Wunsch nach einem Ort, an dem sie bleiben und sich sicher fühlen können. An dem sie frei sind und Rechte haben. Man könnte diesen Ort, obwohl er im Film nie so genannt wird, ein Zuhause oder Heimat nennen.
Sehnsucht nach Geborgenheit
Nebenbei thematisiert „Los reyes del mundo“ auch die Geschichte der mit dem Bürgerkrieg der Mitte der 1960er-Jahre einsetzenden Landenteignungen. Sie machte über drei Millionen Kolumbianer zu Habenichtsen und zwang sie in die landesinterne Migration. Fünf Jahrzehnte später wurden eine Landrückgabe anberaumt, mittels der man das Geschehene wieder gutzumachen versuchte. Geblieben sind die große Kluft zwischen Arm und Reich und eine oft angespannte Stimmung in der Gesellschaft, Gewaltbereitschaft und der Drogenhandel. Das alles schwingt im Hintergrund mit, wenngleich der Film vor allen von einer Glückssuche erzählt.
Der Sehnsucht nach einem Ort der Geborgenheit, die sich unmittelbar mit der Frage nach der sozialen Stellung eines Menschen verbindet, sei ihr zum ersten Mal während der Arbeit zu „Matar a Jesús“ (2017) begegnet, sagte die Regisseurin Laura Mora. Für ihren zweiten Spielfilm über die Ermordung ihres Vaters hatte sie 90 junge Männer zum Casting eingeladen, von denen die meisten auf der Straße lebten. Gemeinsam war ihnen ein „elendes Gefühl von Ausgeschlossenheit und die dumpfe Gewissheit, keine Zukunft zu haben“. Zugleich aber hätten sie geradezu obsessiv von einem magischen Ort geträumt, der sie frei machen würde. Dies war der Ausgangspunkt für „Les reyes del mundo“, einer zugleich hochpoetischen wie realistisch-harten Odyssee, so beglückend wie erschütternd trist.
Auf dem Land herrscht Ablehnung
In einigen verspielten Szenen zeigt Mora, wie den in Medellín Aufgewachsenen jeder Vertrautheit mit dem Leben auf dem Land fehlt. Sie zeigt aber auch die rüde Ablehnung, die ihnen von vielen Einheimischen entgegenschlägt. Etwa als Rà spätabends in einem Dorflokal zwei Limos und eine Tüte Chips kaufen will; von den Gästen wird er dabei aufmerksam beobachtet, vom Barkeeper aber nicht bedient.
Dies ist ein erstes Alarmzeichen, eine Warnung, auf die weitere folgen. Nicht alle sind so deutlich formuliert wie die einer älteren Frau, die den Jugendlichen erklärt, dass sie um Himmels willen niemandem das Ziel oder die Absicht ihrer Reise verraten sollen. Überall, wo die Jungs haltmachen oder zu einem Stopp gezwungen werden, verlieren sie etwas. Ihre Fahrräder, einen Teil der Dokumente, manchmal auch einen von ihnen, der irgendwann wieder auftaucht oder auch nicht. Sie laufen durch Nacht, Sturm und Regen. Haben Hunger, frieren, schlafen an einem Feuer. Es geht bergaufwärts. Sie fallen zwielichtigen Dealern und Gangster in die Hände oder finden einen Unterschlupf in der Hütte eines „Verrückten“. Irgendwann landen sie tatsächlich im Gemeindeamt von Nechì – nur um zu erfahren, dass sie noch lange nicht am Ziel ihrer Reise sind.
Irrfahrt ins Delirium
Es ist eine Irrfahrt, die zunehmend ins Delirium führt. Das ist wortwörtlich zu verstehen, wenn die fünf auf einer Mauer am Rande der Straße ins neblige Tal hinunterblicken und halluzinogene Pillen schlucken. Und im übertragenen Sinne, wenn die Bilder nicht mehr die Realität abbilden, sondern auf eine Traumebene schwenken. Bereits die erste Szene des Films zeigt Rà auf einem weißen Pferd inmitten eines fast menschenleeren Platzes. Der Schimmel erscheint ihm später immer wieder. Nicht nur im Traum, sondern manchmal auch unterwegs, wie ein leitender Geist. Er führt die Jugendlichen weg von der Straße in die Hügel, wo kaum mehr jemand haust, und wo die Natur sich die verlassenen Gebäude zurückerobert.
„Los reyes del mundo“ ist ein fesselnder Film. Der Umgang der Regisseurin mit den Protagonisten ist zärtlich; aber die Zeichnung der Lebensrealitäten und Schicksale beschönigt nichts. Laura Mora beweist auch eine Unerschrockenheit in der Darstellung der nahezu allgegenwärtigen Gewalt und Brutalität, die auch innerhalb freund(schaft)licher Beziehungen herrscht. Neben der gekonnten Verortung im magischen Realismus zeichnen „Los reyes del mondo“ vor allem seine Hauptdarsteller aus: eine Gruppe junger Menschen zwischen 15 und 22 Jahren, die sichtlich vom eigenen Leben gezeichnet: Carlos Andrés Castañeda, Davidson Flores, Brahian Acevedo, Cristian Campaña, Cristian David Mora.