„Krimis… Kennt man einen, kennt man sie alle!“ Die Stimme aus dem Off weiß, wovon sie spricht. Sie gehört Leo Köpernick (Adrien Brody), und der arbeitet in Hollywood. Als Filmregisseur ist er berühmt und berüchtigt. Er hat ein paar Erfolge im Krimisujet aufzuweisen und bringt sich daher bei dem Produzenten John Woolf (Reece Shearsmith) für die Verfilmung des Agatha-Christie-Theaterstück „Die Mausefalle“ ins Spiel. Im Herbst 1953 läuft gerade die 100. Vorstellung im Londoner West End, und Theaterleiterin Petula Spencer (Ruth Wilson) lädt zu diesem Anlass nach der Vorstellung zu einer großen Backstage-Party.
„Es ist immer dasselbe Schema: Ein Unsympath und eine ganze Reihe Verdächtige machen das ‚Whodunit‘ aus. Und es scheint, dass ich diesmal der Unsympath bin.“ Damit hat Leo Köpernick recht, denn er liegt schon bald blutüberströmt auf dem Bühnensofa, wo gerade noch eine tobende Menge die Hauptdarsteller Richard Attenborough (Harris Dickinson) und Sheila Sim (Pearl Chanda) beim Aufklären des verzwickten Kriminalplots bejubelt hat. Mausetot, sozusagen.
Die Ermittlung in diesem prominenten und schon bald alle Gazetten beschäftigenden Fall obliegt Inspektor Stoppard (Sam Rockwell), dem von seinem Chef Major Metcalf (Gregory Cox) die akribische Anfängerin Constable Stalker (Saoirse Ronan) zur Seite gestellt wird, weil der wohl ahnt, dass sein dem Alkohol zugetaner Ermittler nicht immer auf der Höhe des Geschehens ist.
Mittendrin im „Whodunit“
Im Handumdrehen ist man mittendrin in jenem „Whodunit“, dessen Konstruktion Köpernick eben noch wortreich erklärt hat. Und der Kinofilm-Debütant Tom George nutzt sein Alter Ego Köpernick, um seine grenzenlose Liebe zu allen Agatha-Christie-Verfilmungen zu erklären. Man könnte sagen: Was „Scream“ für den Horrorfilm, ist „See How They Run“ für den Krimischinken. Eine Art Metakrimi. Doch sobald die Exposition steht, hält sich Köpernick mit seinen Kommentaren erst einmal zurück und überlässt dem ungleichen Team Stoppard/Stalker das Feld.
Dieses braucht auch nicht lange, um herauszufiltern, dass so gut wie jeder aus der Theatertruppe einen Grund gehabt hätte, dem Filmregisseur nichts Gutes zu wünschen. Aber wer ist dieser ominöse Mann in Trenchcoat und Fedora, dem man den Mord zuschreibt, und wer begeht in genau so einem Outfit eine zweite Tat?
Tom George und sein Drehbuchautor Mark Chappell sind nicht angetreten, um ihren Gegenstand zu revolutionieren. Sie liefern dem Publikum genau das, was es sehen will, und geben allenfalls hie und da zu Protokoll, dass die Variation des Immergleichen zwar oft nett, aber mitnichten immer originell ist. Das ist die Krux jedes erfolgreichen „Agatha Christie“-Krimis. Warum sollte man etwas ändern? Und so lebt auch „See How They Run“ weniger vom Inhalt als durch seine Form.
Illustre Typen spielen die Ahnungslosen
Das Set im London der Fifties ist köstlich, in dem all die kauzigen Charaktere in maßgeschneidertem Tweed und Paillettenkleidern auf Partys herumlungern, auf denen viel zu süßer Champagner serviert wird, in Gläsern, die trotz des opulenten Kelches nur mit einem Schluck gefüllt sind. Illustre Typen spielen bei einer Tasse Tee die Ahnungslosen, obwohl sie doch alle Dreck am Stecken haben. Die Filmmusik von Daniel Pemberton ist mitreißend und führt spannend, aber nicht zu spannend, von einer Szene zur nächsten, in denen sich Inspektor Stoppard und Constable Stalker langsam zur Lösung des Falles vorarbeiten.
Es macht Spaß, den beiden dabei zuzuschauen, weil vor allem Stoppard wunderbar verkatert viel lieber seine Dienstzeit im Pub verbringen als auf der Theaterbühne mit all den Snobs palavern möchte. Oder wie Stalker fast schon aufopferungsvoll die Indizien beisammenhält, um im geeigneten Moment aus ihrer Kladde den wichtigen Hinweis zu zitieren. Ein Team wie Stan und Ollie, nur mit weniger Slapstick.
„Bloß keine voreiligen Schlüsse ziehen.“ Das hat ihr Stoppard in großen Lettern in die Kladde diktiert. Genau so funktioniert auch jeder zünftige „Whodunit“. Und weil sich Stalker nicht immer ganz an diese Direktive hält, gerät zwischendrin selbst der Inspektor ins Fadenkreuz der Verdächtigen.
Ein „Whodunit“ lebt von falschen Fährten und schrägen Verdächtigen. Am Ende ist der Mörder doch immer der, mit dem eigentlich alle gerechnet, aber irgendwie doch nie gerechnet hatten. Genau das macht auch „See How They Run“ über weite Strecken zu einem unterhaltsamen Vergnügen, auch wenn man in der Mitte des Films einige Längen spürt – weshalb der Regisseur, ganz wie sein Alter Ego im Film es tun würde, einen zweiten Mord platziert.
Es sind allesamt kauzige Figuren, die sich da stilecht im Mörderspiel ergehen. Während Sam Rockwell preiswürdig den gewitzten Trottel gibt und Saoirse Ronan betont rehäugig als tragende Komödiantin reüssiert, stehlen zwei Nebendarsteller und ein furioses Finale allen die Schau. Denn das Ensemble wird vom Täter zu einem letzten Dinner geladen. Ausgerechnet im Haus von Agatha Christie, natürlich ohne, dass diese das weiß.
Diese „Alle-sind-in-einem-Haus-mit-dem-Mörder“-Situation ist auch hier die effektivste aller „Whodunit“-Situationen, zumal draußen noch der Regen prasselt. Gerne hätte man in dieser Runde noch eine Filmstunde verbracht und zugesehen, wie sich die Zahl der Verdächtigen durch weitere Todesfälle dezimiert. Doch Tom George wählt ein eher absurdes Crescendo und hat dafür Shirley Henderson als schrullige Agatha Christie und Paul Chahidi als ihren knochentrockenen Butler Fellowes besetzt. An ihren Kurzauftritten erkennt man exemplarisch, wie wichtig auch die kleinsten Nebendarsteller zum Gelingen einer Krimikomödie beitragen. Das ausgerechnet hat Leo Köpernick bei seinen finalen Bemerkungen aus dem Totenreich zu erwähnen vergessen. Er ist eben ein wahrer Unsympath.