Vorsicht mit Kaffeemühlen, wenn Ganoven herumschleichen! Eben sitzt die herzensgute Großmutter (Hedi Kriegeskotte) noch friedlich in ihrem Garten und dreht ihre Kaffeemühle, die ihr Lieblingslied spielt, da entreißt ihr ein bärtiger Mann eben jene Mühle, die ihr Enkelsohn Kasperl und sein Freund Seppel ihr zum Geburtstag geschenkt haben. Der Übeltäter ist der Räuber Hotzenplotz (Nicholas Ofczarek). Kasperl (Hans Marquardt) und Seppel (Benedikt Jenke) basteln gerade an ihrer Mondrakete, als die Großmutter um Hilfe schreit. Da auf den behäbigen Polizeiwachtmeister Dimpfelmoser (Olli Dittrich) kein Verlass ist, nehmen die pfiffigen Jungs die Sache selbst in die Hand. Ihre Mission: Den Räuber fangen und die Kaffeemühle wiederbeschaffen.
Der Räuber Hotzenplotz ist neben der kleinen Hexe die bekannteste Figur des renommierten Kinderbuchautors Otfried Preußler (1923-2013). Dem erfolgreichen ersten Roman von 1962 folgten 1969 und 1973 zwei Fortsetzungen. Die Bücher, die in 34 Sprachen übersetzt wurden, dienten bereits als Vorlage für drei deutsche Kinoverfilmungen aus den Jahren 1974, 1979 und 2006. Elemente aller Bücher flossen in die jüngste Kinoadaption durch den Schweizer Regisseur Michael Krummenacher ein, hinzu kamen Motive der Erzählung „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“, die Preußlers Tochter Susanne Preußler-Bitsch auf der Grundlage eines Theaterstücks ihres Vaters aus dem Jahr 1967 verfasste und 2018 veröffentlichte.
In der Falle im Wald
So folgen die Buben auch in diesem Film dem Räuber bis zu seinem Versteck im Wald, wo der gerissene Hotzenplotz sie in eine Falle lockt. Weil ihm die einfältigen Fragen des Seppel auf die Nerven gehen, verkauft Hotzenplotz den vermeintlichen Tölpel postwendend für einen Sack Schnupftabak als Dienstboten an den Zauberer Petrosilius Zwackelmann (August Diehl). Dass die Buben ihre Mützen getauscht haben, mithin also eigentlich Kasperl der verkaufte Junge ist, fällt dabei weder dem Räuber noch dem Zauberer auf.
Derweil bittet die besorgte Großmutter erst den Wachtmeister, dann die Wahrsagerin Portiunkula Schlotterbeck um Hilfe, wird jedoch selbst von Hotzenplotz entführt. Kasperl alias Seppel, der ebenfalls hart für Hotzenplotz schuften muss, findet eines Nachts eine hässliche Unke, die sprechen kann und sich als die verzauberte Fee Amaryllis (Luna Wedler) entpuppt. Um sie zurückzuverwandeln, muss er ein magisches Feenkraut finden. Im Gegenzug verspricht die Fee, Kasperl zur Flucht zu verhelfen.
Werktreue als oberste Maxime
Werktreue war für die Filmemacher die oberste Maxime bei ihrer neuen Interpretation der Preußler’schen Variante des Kasperletheaters. Unter Verzicht auf markante Modernisierungen nahmen Drehbuchautor Matthias Pacht und Regisseur Krummenacher, der hier zum ersten Mal einen Kinderfilm inszenierte, nur kleinere Änderungen bei der Figurenzeichnung vor. So kamen zu dem überschaubaren Arsenal aus acht tragenden Figuren mit einer Metzgerin und dem Polizeigehilfen Sauerbier zwei Nebenfiguren hinzu. Zudem wurde die Hellseherin Schlotterbeck von einer braven Hausfrau zur Industriellenwitwe aufgewertet. Die markanteste Änderung betrifft Seppel, der hier fast einen Emanzipationsprozess durchläuft, er lernt schnell hinzu und wirkt zuweilen cleverer als Kasperl.
Die große Konstante bleibt indes die bärbeißig-archaische Titelfigur, auch wenn sie vielschichtiger angelegt ist als in den Vorgängerfilmen. So lässt der aktuelle Hotzenplotz neben der Lust am Stehlen auch immer wieder den Schalk aufblitzen oder auch eine kleine Portion Traurigkeit. Etwa wenn der ungewaschene Kleinbürgerschreck in seiner Höhle das Konterfei des grimmigen Vaters anschaut, dessen Nachfolge er angetreten hat, scheint er Zweifel an seinem „Beruf“ zu entwickeln und sich zu fragen: Muss ich denn für immer Räuber bleiben? Der Wiener Burgtheater-Star Nicholas Ofczarek schafft es souverän, neben dem humoristischen Potenzial des nur auf den ersten Blick furchteinflössenden Waldschrats gerade diese Skrupel feinsinnig auf die Leinwand zu bringen. Gegenüber seinen Vorgängern Gert Fröbe, Peter Kern und Armin Rohde braucht sich Ofczarek nun wirklich nicht zu verstecken.
Aus dem spielfreudigen Ensemble ragt zudem August Diehl heraus, der den miesepetrigen Zauberer mit viel Mut zu ausladenden Gesten, expressiver Mimik und abschreckendem Gebiss verkörpert. Auch die beiden jungen Hauptdarsteller Hans Marquardt und Benedikt Jenke bilden ein zünftiges Team von Nachwuchs-Ermittlern ab, die niemals Angst zu haben scheinen.
Märchenreich mit nostalgischem Flair
Wie in den Vorgängerfilmen ist das zeitlose Räuber-und Gendarm-Spiel in die märchenhaft-heitere Atmosphäre einer idyllischen süddeutschen Ortschaft eingebettet, die nostalgisches Flair ausstrahlt. In diesem Märchenreich mit klarer Trennung von Gut und Böse sind die Erwachsenenfiguren fast durchweg überzogen dargestellt und kaum ernst zu nehmen, während die beiden Kinder sich meist als klüger erweisen als die Erwachsenen und damit zu vorzüglichen Identifikationsfiguren für das junge Publikum avancieren.
Moderne digitale Tricktechnik wurde nur sparsam und dezent eingesetzt – etwa beim fliegenden Zaubermantel Zwackelmanns. Für eine stimmungsvolle musikalische Untermalung sorgte der Schweizer Komponist Niki Reiser.
Dass in der einfallsreichen Neuverfilmung die Gratwanderung zwischen dem Bekenntnis zur Werktreue und dem Mut zu behutsamen neuen Akzenten gelingt, liegt auch an der Erfahrung des Produzentenduos Uli Putz und Jakob Claussen, die mit „Krabat“, „Das kleine Gespenst“ und „Die kleine Hexe“ schon drei Preußler-Bücher erfolgreich fürs Kino adaptiert haben. Wobei die Preußler-Tochter Susanne Preußler-Bitsch, die über das literarische Erbe ihres Vaters wacht, „als Berater und Korrektiv im Geiste ihres Vaters“ – so die Produzenten – in alle wesentlichen Entscheidungen involviert war.