Copenhagen Cowboy
Drama | Dänemark 2022 | 301 (6 Episoden à 50 Minuten) Minuten
Regie: Nicolas Winding Refn
Filmdaten
- Originaltitel
- COPENHAGEN COWBOY
- Produktionsland
- Dänemark
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- NWR Film Prod./Space Rocket Nation
- Regie
- Nicolas Winding Refn
- Buch
- Nicolas Winding Refn · Sara Isabella Jønsson
- Kamera
- Magnus Nordenhof Jønck
- Musik
- Cliff Martinez · Peter Kyed · Peter Peter · Julian Winding
- Schnitt
- Olivier Bugge Coutté · Allan Funch · Olivia Neergaard-Holm
- Darsteller
- Angela Bundalovic (Miu) · Andreas Lykke Jørgensen (Nicklas) · Ramadan Huseini (Andre) · Zlatko Buric (Miroslav) · Li Ii Zhang (Hulda)
- Länge
- 301 (6 Episoden à 50 Minuten) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Krimi | Serie | Thriller
Zwischen Neon-Noir und Fantastik: Eine Serie von Nicolas Winding Refn um eine Heldin mit mysteriösen Kräften im Kampf mit dem organisierten Verbrechen.
Der geheimnisvolle Gast, den sich ein krimineller Clan in „Copenhagen Cowboy“ ins Haus holt, ist ein besonderer. Ihr Name ist Miu. Wie wir in den ersten Minuten der neuen Serie des Filmemachers Nicolas Winding Refn erfahren, handelt es sich bei der zierlichen jungen Frau mit Bubikopf-Haarschnitt, gespielt von Angela Bundalovic, um einen „Glücksbringer“: Sie soll auf mysteriöse Weise bewirken, dass sich Wünsche erfüllen. Tatsächlich wird sie dafür sorgen, dass für die albanisch-stämmige Mafiafamilie, in deren Gewalt sie zu Beginn gerät, eine neue Zeit anbricht. Mit Glück wird das allerdings wenig zu tun haben, zumindest, wenn man es aus der Perspektive der hartgesottenen Jungs und der herrschsüchtigen Mutter des Clans (Dragana Milutinovic) betrachtet. Das Haus der Zuhälter-Familie wird in Flammen stehen. Die im Keller gefangen gehaltenen Zwangsprostituierten, die von der Familie mit der Aussicht auf eine Modelkarriere nach Europa gelockt wurden, erhalten nach langer Leidenszeit eine Perspektive der Freiheit. Wir lernen: Wer sich mit Miu anlegt, der kann sich darauf verlassen, seine Existenz bald bis zu den Grundmauern niedergebrannt zu sehen.
Die Angehörigen des Zuhälter-Clans sind nicht die Einzigen, die Miu im Laufe der 6-teiligen Serie aufmischt. Refns Protagonistin steht im Zentrum einer Handlung, die ein Netzwerk des organisierten Verbrechens offenbart. Die auf sonderbare Weise vom Geschehen distanzierte und trotzdem mitfühlende Miu, die miterlebt, wie Menschen – vor allem Frauen – von den Gangstern missbraucht und tyrannisiert werden, wird sich zugunsten der Opfer auch noch mit Vertretern einer chinesischen Untergrund-Bande sowie mit Kopenhagener Druglords anlegen.
Eine verletzliche und doch unantastbare Heldin
In den männlich geprägten Domänen der Kriminalität, der Macht und des Zwielichts wird Miu notorisch unterschätzt. Sie offenbart bei ihren Einlassungen mit den Gewaltkriminellen wahre Superkräfte. Nicht nur vermag Miu die Geschicke der Menschen um sie herum auf wundersame Weise zu lenken, sie kann sich auch nach allen Regeln der physischen Kampfkunst wehren, wenn es notwendig ist. Vor Miu aufbauen kann sich, wer will: Die Männerposen sind schnell zerlegt und dekonstruiert. Einen Widerling etwa faltet Miu in einem Schweinestall derart zusammen, dass er hinterher nur noch als Futter für die Viecher taugt – und schwer verstümmelt, u.a. seiner Männlichkeit beraubt, überlebt.
Das metaphorische Grunzen der Schweine zieht sich durch die ganze Serie: Die Welt, in die es Miu wie einen rätselhaften Fremdkörper verschlagen hat, ist moralisch gesehen ein einziger Saustall. Einmal mehr zieht Nicolas Winding Refn im atmosphärischen Ausmalen dieser Welt, im Sichtbarmachen der inneren Verfasstheit im Äußeren filmischer Räume, sämtliche kinematografischen Register. Zuletzt hatte er 2019 für Amazon die knallharte Krimiserie „Too Old to Die Young“ inszeniert. Auch in „Copenhagen Cowboy“ zeigt sich Refns bekannter Stilmix aus langen Einstellungen, dem treibenden Synthie-Soundtrack von Cliff Martinez und der einschlägigen Farbgestaltung in schillernden Neontönen. Natürlich spielt auch wieder die Gewalt eine Rolle, wenngleich sie nicht derartig fetischisiert wie etwa in „Drive“ oder in „Only God Forgives“ zutage tritt, in denen Ryan Gosling in der Hauptrolle eines enigmatischen Helden – ähnlich verschwiegen wie Miu – zu sehen war. Die Gewalt-Gesten der männlichen Figuren in „Copenhagen Cowboy“ prallen an der Wirklichkeitsentrücktheit Mius ab. Sie scheint verletzlich, zart wie die Blumen, die sie auf magische Weise zum Wachsen bringen kann, und doch absolut unantastbar zu sein.
So zärtlich wie hier ging es bei Refn noch nie zu
Woher die Protagonistin ihre famosen Kräfte hat, bleibt während der ganzen Erzählung genauso rätselhaft wie Mius Herkunft. „Als ich sieben war, wurde ich von Außerirdischen entführt“, heißt es an einer Stelle. Und wir wissen nicht, ob Miu einen Witz macht oder nicht. Die Welt der Serie speist sich – ähnlich wie in Refns früheren Arbeiten – aus einem Mix aus Genre-Elementen und Refns eigener, eigenwilliger Mythologie und ihren Bildbeschwörungen.
Den Titel der Serie „Copenhagen Cowboy“, der sich nicht unmittelbar erschließt, wählte der Regisseur nach eigener Aussage – und in diesem Sinne passend –, vor allem wegen seines Alliterations-Wohlklangs. Das alles mag mancher als leeres Spiel hohler, sich wiederholender Gesten empfinden. Tatsächlich übertreibt es Refn an mancher Stelle der Serie mit hyperstilisierten Kapriolen. „Copenhagen Cowboy“ verliert sich aber mitnichten in der ästhetizistischen Beliebigkeit. So zärtlich wie hier ging es bei Refn noch nie zu. In einer Szene haucht Miu einem Neugeborenen, das nicht selbständig zu atmen vermag, das Leben ein. Der Gastwirtin Hulda (Li li Zhang), die von einem Crime Boss erpresst wird und deren chinesisches Restaurant eine Deckadresse für dessen Verbrecherbande ist, hilft Miu, ihre Tochter aus den Händen der Gangster zu befreien. „Copenhagen Cowboy“ erweist sich dabei weniger als klassisches Erzählfernsehen denn als bildgewaltige Performance und filmisches Ritual mit ungeheurer Sogwirkung, dem beizuwohnen eine willkommene Abwechslung zum ästhetischen Einerlei allzu vieler Streaming-Produktionen ist. Alles führt schließlich hin zur Begegnung mit Mius ultimativer Nemesis – einer, von der sie noch nicht ahnt, dass sie existiert.
Ein Spiel mit den Konventionen des klassischen seriellen Erzählens kann sich Refn schließlich doch nicht verkneifen: Am Ende gibt es tatsächlich so etwas wie einen Cliffhanger. Fast wünscht man sich als Zuschauer:in in dem Moment, „Copenhagen Cowboy“ möge seine Einzigartigkeit bewahren und Fragment bleiben, ein schillerndes Etwas, in dem alle potenziellen Wunder, die seine Protagonistin zu bewirken vermag, noch möglich sind.