Wettermacher
Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 97 Minuten
Regie: Stanislaw Mucha
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- Zinnober Film/B&T Film GmbH/Strandfilm Prod./NDR - Norddeutscher Rundfunk
- Regie
- Stanislaw Mucha
- Buch
- Dorothea Braun · Stanislaw Mucha
- Kamera
- Marcus Winterbauer
- Musik
- Ljube
- Schnitt
- Nicole Winterbauer
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- 18.08.2022
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Heimkino
Lakonische Doku über drei Meteorologen, die am Rande des russischen Polarmeeres die Wetterstation Chodowaricha betreiben und alle drei Stunden Daten über Wind und Wetter erheben.
Der Film sei ein Bericht vom wohl einsamsten Arbeitsplatz der Welt, lautet das Versprechen, das „Wettermacher“ vorausschickt. Auf einer Insel nahe dem sibirischen Polarmeer liegt die Wetterstation Chodowaricha, die 1933 in einem Leuchtturm errichtet wurde. Aufgrund der eigentümlichen meteorologischen und magnetischen Bedingungen geschieht die Wetterbeobachtung hier noch ganz altmodisch durch Handarbeit, ohne elektronische Unterstützung. Trotzdem sind die ermittelten Daten aufgrund der Lage der Station für die Wetterprognosen von Bedeutung. Alle drei Stunden werden Daten erhoben, bei Wind und Wetter, zu jeder Jahreszeit.
Jack soll vor Eisbären warnen
Der polnische Filmemacher Stanislaw Mucha wollte diese „tragikomische Dokumentation“ mit einem einzigen Protagonisten drehen. Doch als das Filmteam eintraf, war der gerade im Begriff, die Station zu verlassen, da er den Kampf gegen die Isolation verloren hatte. Für Ersatz war allerdings schon gesorgt: Wladimir und das Paar Sascha und Alexander übernahmen die Station. „Wettermacher“ hat deshalb drei Protagonist:innen. Dann gibt es auch noch Wassili, den einzigen Nachbarn der Meteorologen, der an seinen Geburtsort zurückgekehrt ist, sowie Jack, den Hund, der die Gruppe vor Eisbären warnen soll.
Wenn „Wettermacher“ von den sehr handfesten Alltagsroutinen in wechselnden Jahreszeiten in grandios unwirtlicher Landschaft am Meer (Kamera: Marcus Winderbauer) erzählt, könnte man sich in einem Film von Volker Koepp wähnen. Wären da nicht die knappen Off-Kommentare von Stanislaw Mucha, die einerseits ein paar Informationen liefern, andererseits aber auch sehr mysteriös verdichtete Skizzen beinhalten, deren Mischung aus Lakonie, Pathos und Witz den Film deutlich in Richtung der „ekstatischen Wahrheit“ eines Werner Herzog driften lässt.
Hinter den Alltagsbeobachtungen werden Biografien und Konflikte sichtbar, die mit dem „Wettermachen“ wenig oder nur bedingt zu tun haben. Der Chef Wladimir lebt seit 20 Jahren in der arktischen Einsamkeit, kam aber nach Chodowaricha, weil es auf seiner letzten Wetterstation zu einem ungeklärten Todesfall einer jungen Frau kam.
Überhaupt, so wird angemerkt, gilt Chodowaricha unter Meterologen als eine Art „freiwilliges Arbeitslager“, wobei hier niemand aus freien Stücken arbeitet. Der Ex-Soldat Alexander wurde im Tschetschenien-Krieg so schwer verletzt, dass die Armee ihn entließ. Darauf reagierte er so, dass seine Mutter einen Amoklauf fürchtete und ihm zum Rückzug in die Einsamkeit riet. Als er mit den Stichworten „Isolation“ und „Beruf“ eine Beschäftigung suchte, stieß er auf „Meteorologie“.
Ein Setting wie für „Star Wars“
Auch Sascha wählte nach traumatischen Erfahrungen in der Stadt die Einsamkeit und ließ dafür sogar ihr Kind zurück. Nachbar Wassili kehrte nach einer Krebsdiagnose an seinen Geburtsort zurück, die durchaus damit zusammenhängen könnte, dass er einst als Funker auf einem Atom-U-Boot diente. So werden in der Abgeschiedenheit soziale Verhältnisse konturiert, die keine romantischen Vorstellungen vom Leben abseits der Gesellschaft zulassen. Der Wechsel der Jahreszeiten legt außerdem offen, in welchem Umfang die kleine Wetterstation die Gegend ökologisch verheert hat. Alexander spricht einmal davon, dass die Vorgänger „alles“ zerstört hätten; nur wenn offizieller Besuch ansteht, wird ein wenig „aufgeräumt“ und Abfall verbrannt. Mucha selbst spricht in seinem Regiekommentar davon, „dass man denken könnte, wir hätten das apokalyptische Bühnenbild von „Star Wars“ benutzt“.
Für ein wenig Abwechslung in der Einsamkeit sorgt ein Besuch von Nomaden, die ihre Dienste als „mobile Metzgerei“ anbieten und auch zum Erfahrungsaustausch bereitstehen. Das plötzliche Verschwinden des Wachhundes, das eventuell mit der Versorgungslage der Station zusammenhängen könnte, wie Mucha andeutet, wird von den Nomaden als äußerst riskant eingeschätzt, weil immer mehr Eisbären auf der Suche nach Nahrung Richtung Süden ziehen.
Tragisch und komisch zugleich
Dass die Gefahr nicht notwendig von außen droht, wird deutlich, als Alexander für ein paar Tage zum Zahnarzt muss. Nach dem Wachhund Jack verschwindet nun auch der Chef Wladimir, dessen Mitwirkung am Film irgendwo zwischen Wenig-reden und Gar-nichts-sagen changiert. Jetzt führt das Paar Sascha und Alexander die Station allein. Gemeinsam wartet man auf die Ankunft des alljährlichen Versorgungschiffes, das neue Vorräte bringen soll. Als dann das Schiff irgendwann kommt, ist auch der geflohene Chef wieder da, den es eigentlich nicht länger braucht. Er, betrunken, scheint das zu ahnen.
Was eine dokumentarische Beobachtung sein könnte, wird durch das sorgfältige Arrangement von Bildern und die Lenkung mittels der Informationen aus dem Off-Kommentar zu einer Form von „existentiellem Theater - tragisch und komisch zugleich“ (Mucha). Kein Film über Klimawandel, aber durchaus ein sarkastischer Kommentar, dass und inwieweit „Leidenschaft, Tragik, Absurdität, Liebe und sogar Blut“ Einfluss auf den Wetterbericht zu nehmen versuchen. Kein Glück, wenn der zuverlässig bleibt.