Satire | Deutschland 2022 | 280 (6 Folgen) Minuten

Regie: Jan Bonny

Der Gründer und CEO eines FinTech-Startups und sein Kompagnon wollen mit ihrer Firma an die Börse und lügen und betrügen sich durch den Finanzmarkt. Dabei verstricken sie sich in krumme Geschäfte um Porno-Websites, Geldwäsche für die Mafia und Täuschung der Anleger und haben bald die Medien, die Staatsanwaltschaft und eine Shortsellerin im Genick. Angelehnt an den Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard gelingt der Serie eine ebenso wahnwitzige wie treffende Finanzmarkt-Satire. Mit viel Lust an der Karikatur liefern Drehbuch, Inszenierung und Darsteller eine bissig-entlarvende Sozialsatire übers deutsche Finanzwesen und die Unternehmens(un)kultur des Digital-Kapitalismus. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Bildundtonfabrik
Regie
Jan Bonny · Isabell Suba · Facundo Scalerandi
Buch
Philipp Käßbohrer · Matthias Murmann · Jan Eichberg · Mats Frey · Fabienne Hurst
Kamera
Borris Kehl · Leena Koppe · Nikolai von Graevenitz
Musik
Ziggy Has Ardeur · Konstantin Gropper
Schnitt
Christoph Otto · Florian Böttger · Rainer Nigrelli
Darsteller
Thomas Schubert (Felix Armand) · Matthias Brandt (Magnus A. Cramer) · Larissa Sirah Herden (Sheila Williams) · Eva Löbau (Desirée) · Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Till Hermann)
Länge
280 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Satire | Serie

Frei nach dem Wirecard-Skandal: Eine Serie um ein windiges FinTech-Startup und einen ehrgeizigen Mitarbeiter, der zusammen mit dem egomanischen CEO in einen irrwitzigen Strudel der Betrügereien gerät, als der Börsengang der Firma ansteht und Presse, Staatsanwaltschaft und eine misstrauische Shortsellerin die Luft aus der Bubble des Erfolgs zu lassen drohen.

Diskussion

Der Name sagt eigentlich schon alles: Magnus A. Cramer hält sich für ein großes Tier. Deshalb ist er auch CEO, also Chef von allem und jedem in seiner eigenen Firma CableCash, die bald an die Börse gehen soll. Magnus misst sich natürlich nur mit den Größten. Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Elon Musk sind der Maßstab des Geschäftsmanns. Die Referenzen sind so dick aufgetragen wie der Kajal im Karneval. Magnus spricht deshalb immer nur vom „Elon“, bis einfach niemand mehr infrage stellt, ob er wirklich per Du ist mit dem Tech-Riesen. Und solange niemand nachfragt, ist es auch wahr.

Genau dieses Luftschloss untersucht die Serie „King of Stonks“, die die Showrunner Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer mit ihrer Kölner Produktionsfirma bildundtonfabrik für Netflix entwickelt haben. Damit führen sie eine bewährte Methode fort, die schon bei „how to sell drugs online (fast)“ hervorragend funktionierte: Sie nehmen einen realen Kriminalfall aus der jüngsten deutschen Vergangenheit und blasen ihn in Satireform größtmöglich auf. Aus dem glitzernden Luftschloss wird dadurch eine überdimensionierte und grotesk entstellte Hüpfburg, die jeden Moment zu platzen droht. Die darin schwebenden Figuren werden in tausendfacher Vergrößerung zu Karikaturen ihrer selbst. Auf dem Filmfest München 2022 wurde die Miniserie noch vor ihrem offiziellen Start mit dem Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis als beste Serie ausgezeichnet – zu Recht.

Ein fratzenhaftes Abbild des Wirecard-Skandals

Was in „How to sell drugs“ das Drogenimperium eines Teenagers war, ist in „King of Stonks“ der Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard, der hier in Magnus’ Firma CableCash ihr fratzenhaftes Abbild findet. Zur Erinnerung: 2020 meldete der deutsche Finanzdienstleister Konkurs an, weil 1,9 Milliarden Euro fehlten. Der CEO sitzt seither in Haft, sein COO ist in Russland untergetaucht und wird per internationalem Haftbefehl gesucht. „Diese Serie handelt vom größten Finanzskandal der deutschen Geschichte. Die CableCash AG hat ihre Anleger und den deutschen Staat um Milliarden betrogen. Ähnlichkeiten mit anderen Betrugsfällen sind rein zufällig, heißt es da aalglatt im Vorspann der ersten Episode. Natürlich bleibt hier nichts dem Zufall überlassen.

Für die Regie eines Großteils der Serie konnten Murmann und Käßbohrer Jan Bonny gewinnen, der nicht nur seine Erfahrung in der filmischen Aufarbeitung deutscher Geschichte mitbrachte, sondern auch gleich eine ganze Armada an Stammschauspielern aus seinen bisherigen Arbeiten – allen voran Matthias Brandt als Magnus Cramer und Thomas Schubert als dessen Kompagnon Felix Armand. Der hält CableCash hinter dem unberechenbaren Selbstdarsteller Magnus zusammen und rettet das aufgeblähte Startup beinahe täglich vor der nächsten Katastrophe: Porno-Websites, Geldwäsche für die Mafia und Täuschung der Anleger – Felix wird es richten. Mehr muss Magnus nicht wissen, denn für ihn reicht es aus, überall mit grunzendem Lachen und testosterongestählter Brust zu verkünden, dass CableCash das geilste Online-Bezahlsystem anbietet. Sobald sie an der Börse sind und sogar beim World Economic Forum sprechen dürfen, ist ihr Wort ja sowieso Gesetz.

Zum Erfolg gejubelt

Doch der Gegenwind wird stärker: ein Investigativjournalist, die Staatsanwaltschaft und eine Shortsellerin, die gegen das Unternehmen der Stunde wettet, bringen sich in Formation. Da kann sogar dem sonst um keinen schlauen Spruch verlegenen Programmierer mulmig werden. Felix Armand, der glückliche Krieger, ist zwischen Loyalität zum eigenen Erfolg und dem sich doch immer wieder meldenden Unrechtsbewusstsein hin- und hergerissen. Magnus hat ihn fest im Griff bei seinem tiefsitzenden Wunsch nach Anerkennung, den er sich von einer Beförderung zum zweiten CEO erhofft. Thomas Schubert spielt ihn in einer grandiosen, weil trotz aller Spitzen so glaubhaften und nachvollziehbaren Gefühlsachterbahn als großäugiges Mann-Kind. Schon beim ersten Blick ins angespannte Gesicht sieht man ihm an, dass er schon immer der gehänselte Außenseiter war, der das ganze Leben lang auf eine Gelegenheit gewartet hat, es den Quälgeistern endlich heimzuzahlen.

Der Sog, den CableCash auf Mitarbeitende wie Anleger und Medien ausübt, ist nicht mehr aufzuhalten: Magnus ist der Underdog, den sich alle wünschen und der deshalb unabhängig von Können und Leistung zum Erfolg gejubelt wird. „Nicht gerade der CEO, den man im Vorstand eines deutschen Finanzdienstleisters vermutet. Aber neben CEOs seiner Generation, die riesige Penis-Raketen ins All schießen, wirkt er doch eigentlich ganz normal“, kommentiert das Voice-over.

„Menschen sind ein Haufen Primaten“

Diese Verzerrung von Wahrheit und Fiktion bis hin zur Unkenntlichkeit, um das eigene Ego zu besänftigen, ist die Essenz von „King of Stonks“, und sowohl Macher als auch Darsteller tun das mit offensichtlicher Freude an derber Eskalation. Die kriminellen Auswüchse des Turbokapitalismus, die koksbeschleunigten und sinnentleerten Begleiterscheinungen, sie hängen hier irgendwo zwischen dem lauten Irrwitz eines Jordan Belfort in „Wolf of Wall Street“ und den selbstgefälligen Sprücheklopfern in den Gesellschaftssatiren von Helmut Dietl, allen voran Heinrich Haffenloher („Isch scheiß’ dich so wat von zu mit meinem Geld!“) in „Kir Royal“. Letztlich geht es immer nur ums eigene Ego und die Vermeidung von Kränkungen. „Menschen sind ein Haufen Primaten: Alle wollen ficken, aber keiner will gefickt werden. So funktioniert Kapitalismus“, erklärt Felix einmal. Magnus deutet das in Vorträgen gerne um: „Wenn man etwas leisten will, wird aus Gier etwas viel Besseres: Neugier!“

Magnus und Felix nämlich sind genau an diesem Punkt: Jahrelang von überheblichen Chefs als Fußvolk klein gehalten, haben sie die erste sich bietende Chance beim Schopf gepackt und sind jetzt endlich selbst Chefs. Statt jedoch ein kluges Geschäft daraus zu machen, sind die beiden gierig geworden und kopieren all jene Selfmade-Men und Startups, die sie zuvor verachtet haben: Wer als Zahnrad im Getriebe lange genug gequält wurde, quält einfach munter weiter, sobald er oder sie selbst am Zuge ist, und verkauft diese vermeintliche Unternehmens-Unkultur als harte Schule des Lebens. „King of Stonks“ trifft diese Mechanismen in ihren Perversionen und unsäglichen Sprüchen mehr als lebensnah. Es wäre nicht verwunderlich, wenn auch Mitarbeitende aus anderen Branchen hie und da wiedererkennend jauchzen oder johlen, wenn überdrehte Stereotypen wichtigtuerisch durch die Büros stolpern.

Der Wahnwitz ist nah an der Realität

Das kulminiert in scheinbaren Karikaturen, die in ihrem Wahnwitz näher an der Realität sind als an der Übertreibung. Bei Jean-Luc Bubert, auch von Bonny aus „Wintermärchen“ mitgebracht, ist nicht klar, ob er im Method Acting maximal eskaliert oder nicht doch einfach sich selbst spielt. Als dauerbesoffen dreinstaksender Zottel „Thai Klaus“ ist er Magnus Cramers Allzweckwaffe in Sachen Partystimmung und wegen seiner, Magnus würde sagen, Geselligkeit, plötzlich Kontakter für ganz Asien. Der Rest der Welt würde sagen, er ist übergriffig, etwa Felix’ Assistentin gegenüber, die sich bei einem Partyspiel für Felix einsetzt, verliert und plötzlich nackt durch eine Hotel-Lobby flitzen soll. In solchen Momenten wirkt „King of Stonks“ nur noch wie eine Parodie, zeigt jedoch mit unangenehmem Realismus kaputte Führungs- und Teamdynamiken. Magnus grinst sie stellvertretend als Teil des Spiels weg. Sind sie zu stark, bist du zu schwach, ganz einfach.

Genau das ist die Stärke dieser Serie: In ihrer mordsmäßigen Übertreibung, in Magnus’ grunzendem Lachen und seiner Dauerwerbesendung für sich selbst, findet sie eine übergreifende und unangenehme Wahrheit. Über das deutsche Finanzwesen, über den Kapitalismus an sich, und letztlich darüber, wie Menschen Ideale propagieren, um gut dazustehen, diese dann aber ohne mit der Wimper zu zucken verraten, wenn sie ihnen persönlich im Weg sind.

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