Als Susan Sontag im Publikum saß

Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 89 Minuten

Regie: RP Kahl

Ein gutes halbes Jahrhundert nach einer von Norman Mailer organisierten legendären Diskussion über Frauenemanzipation in der Town Hall in New York, die 1971 medial hohe Wellen schlug, stellt ein Reenactment im Berliner Ballhaus Ost die Veranstaltung nach. Aus heutiger Perspektive sind manche Positionen spürbar verschoben, andere aber noch immer aktuell. Die fünf Darsteller:innen rekapitulieren nicht nur die damaligen Ansichten, sondern kommentieren diese auch und beziehen persönlich Stellung. Eine vielschichtige, dramaturgisch raffiniert strukturierte Auseinandersetzung über den Stand der Emanzipation, die Erfolge und Niederlagen, aber auch bleibende Defizite zur Sprache bringt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Independent Partners Film/Rolf Peter (RP) Kahl/Cornelsen Films
Regie
RP Kahl
Buch
RP Kahl · Saralisa Volm
Kamera
Christoph Gampl · Markus Hirner · Elena Friedrich
Schnitt
Angelo Wemmje
Darsteller
Saralisa Volm (Germaine Greer) · RP Kahl (Norman Mailer) · Luise Helm (Jill Johnston) · Stefanie Schuster (Susan Sontag) · Heike-Melba Fendel (Diana Trilling)
Länge
89 Minuten
Kinostart
05.05.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Experimentalfilm
Externe Links
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In einer Art Reenactment der legendären New Yorker „Women’s Lib“-Diskussion von 1971 werden Erfolge und Niederlagen, aber auch bleibende Defizite der Frauenemanzipation zur Sprache gebracht.

Diskussion

Willkommen im Retro-Spiegelkabinett der Neuen Frauenbewegung! Im Frühjahr 1971 veröffentlichte der US-amerikanische Vorzeige-Macho Norman Mailer das Buch „The Prisoner of Sex“, eine polemische und kontrovers diskutierte Auseinandersetzung mit der Frauenemanzipation und insbesondere mit Kate Millett und ihrem einflussreichen Bestseller „Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes“, in dem sie Mailer, Henry Miller und andere als misogyne Chauvinisten bloßstellte.

Am 30. April des gleichen Jahres fand in der Town Hall in New York City der legendäre „Dialogue on Women’s Liberation“ statt – mit Norman Mailer als Initiator, Moderator, Kommentator und Kombattant. Neben ihm auf dem Podium: Jacqueline Ceballos („National Organization for Women“), die Feministin Germaine Greer („Der weibliche Eunuch“), die „Village Voice“-Autorin Jill Johnston („Lesbian Nation“) und die Literaturkritikerin Diana Trilling, allesamt radikale Feministinnen, die divergierende Positionen vertraten. Im Auditorium waren zudem Betty Friedan, Cynthia Ozick, Gregory Corso und Susan Sontag präsent.

Ein Treffen und seine medialen Wogen

Chris Hegedus und D.A. Pennebaker dokumentierten diese turbulente Veranstaltung mit der Kamera und veröffentlichen 1979 den Film „Town Bloody Hall“, ein wichtiges Zeitdokument der Neuen Frauenbewegung. Der Film zeigt gleichermaßen die Ernsthaftigkeit, das Performative, den Witz und das Unterhaltsame dieses Abends.

Auf der Basis dieses Films entwickelte die New Yorker Schauspieltruppe „The Wooster Group“ 2017 eine multimediale Performance mit dem Titel „The Town Hall Affair“, die im Frühjahr 2019 auch an der Schaubühne Berlin zu sehen war.

Der Filmemacher RP Kahl und seine Co-Autorin Saralisa Volm versuchen sich in „Als Susan Sontag im Publikum saß“ ihrerseits noch einmal an einem Reenactment der New Yorker Veranstaltung beziehungsweise des Filmdokuments, allerdings auch aus einer historischen, räumlichen und intellektuellen Distanz zu dem, was im Berliner Ballhaus Ost reenactet, reflektiert und diskutiert wird. Die Besetzung ist dabei betont divers: Céline Yildirim spielt Jacqueline Ceballos, Luise Helm tritt als Jill Johnston auf, Heike-Melba Fendel verkörpert Diana Trilling. Die Co-Autorin Saralisa Volm schlüpft in die Rolle von Germaine Greer, RP Kahl mimt Norman Mailer. Die Schauspieler und Schauspielerinnen spielen ihre Rollen, können aber auch aus ihnen heraustreten und diese kommentieren. Zudem gibt es eine weitere Ebene mit Aufnahmen der Proben und mit Einzelinterviews der Protagonist:innen, die ihre Haltung zum Dargestellten artikulieren.

Relativ früh verschieben und verwischen sich die unterschiedlichen Ebenen des Films, wenn etwa RP Kahl gefragt wird, ob er eine bestimmte Reaktion jetzt als Norman Mailer oder in seiner Rolle als Mann tätige. Wobei RP Kahl nicht RP Kahl wäre, wenn er die Abgründe seiner Figur, deren Eitelkeit und Arroganz sowie ihren Machismo nicht doppelbödig-provokant erkunden und die Wirkung genießen würde. Zumal die Pointe, dass das Drehbuchteam Kahl/Volm eben das „Team“ Mailer/Greer wäre, das Performancehafte des Ganzen unterstreicht.

Immer noch aktuell

Viele Positionen von 1971 scheinen noch immer aktuell, würden heute allerdings nicht mehr derart provokant zugespitzt werden. Etwa, dass alle Frauen schon aus Selbstrespekt lesbisch seien, auch wenn sie das noch nicht wüssten. Oder die Ansicht, dass die Frauenbewegung sich auf die Emanzipation der Frau konzentrieren müsse und nicht zugleich auch noch bei anderen sozialen oder politischen Gegenkulturen mitwirken könne, weil das Patriarchat schließlich die Grundlage allen Übels sei.

Man realisiert, dass sich Dinge verändert oder verschoben haben. Man bemerkt aber auch, dass manches 1971 deutlicher und präziser beschrieben wurde. Manche der Protagonist:innen sind die Positionen, die sie auf der Bühne zu vertreten haben, leid, weil sie sich bereits „als weiter“ erachten. Dieser ewige Geschlechterkampf! So 1970er! Andererseits erkennt Saralisa Volm die Wichtigkeit dieser Art von historischer Rückversicherung, da sich emanzipatorische Prozesse wellenförmig ereignen und die Initiative immer mal wieder aktiviert werden müsse.

Über manches muss man heute lächeln. Manches wird aber auch weggelächelt. Wahrscheinlich hätte auch Norman Mailer rückblickend über mancher seiner Statements lächeln müssen. Doch Mansplaining funktioniert auch heute noch, nur eben augenzwinkernd tongue-in-cheek: „Erklär doch noch mal, wie der Kommunismus den Sex kaputtmacht!“ Es ist eben doch RP Kahl, der darauf beharrt, dass eine klassenlose Gesellschaft keine erotisch-subtilen Machtspielchen mehr ermögliche.

Ein großes Vergnügen

Und dann ist da ja auch noch Susan Sontag, die Norman Mailer bei der Diskussion darauf hinwies, dass ein sensibler Umgang mit Sprache eben auch eine Form von Respekt darstelle, während sein Sprachgebrauch – er nannte die Frauen auf dem Podium durchgängig „Ladies“ – hierarchische Ordnungen perpetuiere. Immerhin scheint diese Lektion mittlerweile in weiten Teilen der Gesellschaft zumindest zur Kenntnis genommen zu werden. Am verbliebenen großen Rest muss weitergearbeitet werden. Wenn diese Arbeit sich trotz allem so charmant camoufliert wie in „Als Susan Sontag im Publikum saß“, dann verspricht dies in der Tat ein großes Vergnügen. Auch.

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