Drama | USA 2021 | Minuten

Regie: Hiro Murai

Durch eine Pandemie wurde ein Großteil der Weltbevölkerung dahingerafft. In den Jahren nach der Katastrophe versuchen die wenigen Überlebenden, von ihrer Kultur zu retten, was zu retten ist. Darunter ist eine Theatergruppe, die in der postapokalyptischen Welt das Erbe Shakespeares lebendig hält. Eine dystopische Serie auf drei Zeitebenen, der bei aller Komplexität ein ebenso schlüssiges wie packendes Endzeit-Szenario gelingt. Weniger das Schreckenspotenzial der Geschichte steht im Zentrum als Fragen nach dem Kern der menschlichen Zivilisation und ihrer Rettung in Zeiten des Zusammenbruchs aller Infrastrukturen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STATION ELEVEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Pacesetter Prod./Paramount Television Studios/Shadow Fox Prod./Stone Village Television/Super Frog/Tractor Beam
Regie
Hiro Murai · Jeremy Podeswa · Helen Shaver · Lucy Tcherniak
Buch
Patrick Somerville (Serienschöpfer) · Sarah McCarron · Nick Cuse · Kim Steele · Shannon Houston
Kamera
Steve Cosens · Daniel Grant · Christian Sprenger
Musik
Dan Romer
Schnitt
Kyle Reiter · Karoliina Tuovinen
Darsteller
Mackenzie Davis (Kirsten) · Matilda Lawler (Kirsten jung) · Himesh Patel (Jeevan) · David Wilmot (Clark) · Danielle Deadwyler (Miranda Carroll)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Mystery | Serie | Thriller

Dystopische Serie um eine Welt, in der durch eine Pandemie ein Großteil der Weltbevölkerung dahingerafft wurde. In den Jahren nach der Katastrophe versuchen die Überlebenden, um die die Serie kreist, von ihrer Kultur zu retten, was zu retten ist.

Diskussion

Was bleibt, was wird aufgehoben und erinnert, zwanzig Jahre nach einer tödlichen Pandemie, die die Menschheit und ihre Kultur und Zivilisation beinahe völlig ausgelöscht hat? „I remember damage“ – das bekennen leitmotivisch viele aus dem skurrilen Ensemble, das „Station Eleven“ (Showrunner: Patrick Somerville) in Buchvorlage und Serie versammelt. Emily St. John Mandels Bestsellerroman, keinem klassischen Genre passgenau zuzuordnen, erschien bereits 2014 und erweist nun in dieser kongenialen Adaption erst so recht seine imaginativen Qualitäten und sein prophetisches Potenzial. Dabei malt die Inszenierung hier beileibe nicht ausschließlich ein grau-schwarzes Bild postapokalyptischer Verzweiflung, sondern zeigt auf komplexe und überzeugende Weise kreative Auswege der menschlichen Fantasie aus der Misere auf. Nicht zuletzt sind Buch und Serie auch eine Hommage auf Spiel und Theater und selbst so etwas wie das „Museum of Civilization“, welches im Verlauf der Handlung aufgesucht wird.

„To the monsters, we are the monsters“

Fast alle wichtigen Figuren stehen mit allen anderen in verwandtschaftlicher, emotionaler oder professioneller Verbindung, und zumindest zwei von ihnen treten sowohl als Kinder als auch als junge Erwachsene auf den Plan. Hier ist gleich zu Beginn die Leistung von Matilda Lawler als achtjährige Bühnenschauspielerin Kirsten hervorzuheben, durch deren fragend sprechende Augen wir viel von den Vorgängen in den ersten Wochen nach dem Ausbruch der fatalen „Grippe“ 2020 erfahren. Sie erlebt den Herztod des charismatischen Starschauspielers Arthur Leander (Gael García Bernal) auf offener Bühne mit, und sie gerät danach für lange Zeit in die Obhut des vielseitigen Jeevan (Himesh Patel). Bald hat sie kaum noch Erinnerungen an die Zeit „davor“, nur ein Exemplar der mysteriösen Graphic Novel „Station Eleven“ von Arthurs Exfrau Miranda (Danielle Deadwyler) hütet sie als kostbaren Besitz und destilliert daraus Maximen für das Zusammenleben in der neuen Welt: „To the monsters, we are the monsters.“

Zwanzig Jahre später sind verschiedene Gruppen als moderne Nomaden in der Great-Lakes-Region der USA in andauernd suchender Bewegung. Manche sind Macherinnen, andere vornehmlich Betrachter, alle sind sie Überlebende und Versehrte an Leib und Seele. Klassische Familienstrukturen, brüchig seit je, scheinen nicht mehr zu existieren oder wenig zu gelten. Stattdessen wählen sich die meisten freundschaftliche Allianzen, die ältere Kirsten (Mackenzie Davis), jungfräulich wehrhaft wie eine neue Jeanne d’Arc, etwa die Theatertruppe „The Travelling Symphony“ und deren exzentrische Musikmeisterin Sarah (Lori Petty). Überhaupt die Musik! „Station Eleven“ integriert einen hervorragenden Soundtrack von Dan Romer, dem Stilmittel von großer Symphonik bis hin zum pianistischen Minimalismus à la Michael Nyman zu Gebot stehen. Ebenso existenziell wichtig: das Theater, insbesondere das Shakespeares. Während einer Wanderaufführung von „Hamlet“ wird in intensivem Spiel gleichsam eine neue Familienaufstellung vorgenommen; selbst schlichtere Charaktere wachsen über sich hinaus; die Kunst erweist sich auch und gerade postapokalyptisch als geeignet, das defizitäre Dasein glorreich zu kompensieren.

Konzeptionelle Meisterschaft

In der allmählichen Entfaltung einer komplizierten, doch letztlich logisch schlüssigen und wohlorchestrierten Personendramaturgie auf mindestens drei Zeitebenen kehrt die Serie zirkulär immer wieder zu Arthur Leander zurück, dem rätselhaft attraktiven Symbol (ohne Bedeutung?), der narrativen Leerstelle, der offenbar seinem Kollegen Clark (David Wilmot) ein schwacher Freund, Miranda ein untreuer Ehemann und seinem Sohn Tyler (jung: Julian Obradors; älter: Daniel Zovatto) ein lausiger Vater war. In einer entlarvenden, von Regie und Kamera überzeugend exekutierten Dinnerszene kommen die vertrackten Beziehungslinien um Arthur deutlich zum Vorschein, um spätere Entwicklungen hinreichend zu motivieren.

Die konzeptionelle Meisterschaft der Serie erweist sich etwa in Episode 5, quasi eine Novelle im Gesamtgeschehen, die äußerst beklemmend die Folgen des radikalen Shutdowns unmittelbar zu Beginn des pandemischen Geschehens vor Augen führt. Clark und Arthurs letzte Frau Elizabeth (Caitlin Fitzgerald) mit dem jungen Tyler stranden zufällig gemeinsam auf einem Provinzflughafen. Welches Bild könnte ihr (unser?) Dilemma anschaulicher machen? Die Nerven liegen blank, der Nachrichtenstrom wird spärlicher, unzuverlässiger und trocknet schließlich gänzlich aus, dann auch der elektrische. Dazu wie auf romantischen Gemälden von symbolischem Schiffbruch die auf den Boden gezwungenen Flugzeuge. Die versammelte Schrumpfgesellschaft teilt sich schnell in Herdenvolk und (Sekten-)Führer beziehungsweise falsche Propheten. Clarks große Stunde schlägt als histrionischer Volksredner. Und Tyler muss gänzlich unberaten eine gewichtige moralische Entscheidung treffen.

„Station Eleven“ ist wie ein mittelalterlicher Wandteppich: üppig verziert und dicht gewebt, verschwenderisch mit motivischen Angeboten, die stets mehr als einen Zeichensinn offenbaren. Die Serie ist dazu anspruchsvoll inszeniert und durchweg gut, in manchen intensiven Szenen hervorragend gespielt. Und sie stellt schließlich und nicht zuletzt ein geglücktes künstlerisches Unterfangen dar, das die allzu aktuelle pandemische Großlage nicht nur filmisch nachzeichnet, sondern imaginativ gestaltet und im Entwurf auf eine offene Zukunft hin deutet.

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