Madalena
Drama | Brasilien 2019 | 85 Minuten
Regie: Madiano Marcheti
Filmdaten
- Originaltitel
- MADALENA
- Produktionsland
- Brasilien
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Pólofilme/Raccord Produções/ViraLata Filmes/Terceira Margem
- Regie
- Madiano Marcheti
- Buch
- Tiago Coelho · Thiago Gallego · Madiano Marcheti · Thiago Ortman
- Kamera
- Tiago Rios · Guilherme Tostes
- Musik
- Júnior Marcheti · Bernardo Uzeda
- Schnitt
- Lia Kulakauskas
- Darsteller
- Joana Castro (Nadia) · Mariane Cáceres (Francine) · Rafael de Bona (Cristiano)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Kunstvolles Drama um drei Menschen in der brasilianischen Provinz, die über dem Mord an einer jungen Trans-Frau in persönliche Krisen schliddern.
Noch bevor etwas zu sehen ist, hört man das Rauschen eines Flusses. Eine flache, weite Landschaft wird sichtbar. Das Rascheln der Blätter eines Sojafeldes übertönt alle anderen Geräusche. Drei Strauße stecken ihre Köpfe aus den Pflanzen und stolzieren über die Anbaufläche. Ein Traktor taucht auf, streckt seine Greifer aus und versprüht Pestizide. Inmitten der unendlichen Felder nimmt man einen weiteren Fremdkörper wahr: einen bewegungslosen Menschenkörper. Vermutlich handelt es sich um den von Madalena; die wird im angrenzenden Dorf vermisst. Das Radio berichtet darüber. Madalenas Freundin Luzi fährt zu ihrer Wohnung, bricht ein und nimmt das Geld mit. Vier queere Freunde und Freundinnen teilen Madalenas Hinterlassenschaften unter sich auf.
Ein Fall ohne Aufklärung
Zu einer polizeilichen Ermittlung kommt es nicht. „Madalena“ von Madiano Marcheti unterläuft die Genreerwartungen an einen Krimi. In dem würde man Aufklärung und Täter erwarten. Marcheti aber wählt nicht den Weg der Untersuchung oder die Perspektive von Ermittlern. Denn in Brasilien werden mehr Transsexuelle als anderswo ermordet. Madalena, so lässt sich vermuten, könnte eine von ihnen sein.
Der Film benützt aber auch nicht das Narrative der Rache, das angesichts der staatlichen Inaktivität durchaus denkbar gewesen wäre. Stattdessen fokussiert er auf drei Protagonisten, die teils eng, teils lose mit der Toten in Verbindung standen und die mit Problemen in der ländlichen Gegend von Brasilien zu kämpfen haben. Luzi sorgt sich um ihren kranken Vater und verzichtet deswegen auf ihr Gehalt. Bianca, eine queere Freundin, will mit ihrem Partner in die Stadt ziehen, obwohl sie dort vielleicht noch mehr bedroht ist. Cristiano wiederum bewirtschaftet die Sojafelder auf Druck seines Vaters und hat Angst, durch den Fund der Leiche Nachteile zu erleiden oder die Reputation seiner politisch aktiven Mutter zu gefährden. Gemeinsam ist allen drei, dass das brasilianische Hinterland ein Unwohlsein bei ihnen auslöst, ohne dass dies direkt mit Madalenas Tod in Verbindung stehen würde.
Im Land von Blut und Soja
Man muss bisweilen an Michelangelo Antonionis „L’avventura“ denken, wo sich die Suche nach einer verschwundenen Frau ebenfalls im Nichts verliert. Vor allem aber lässt sich „Madalena“ im Kontext des aktuellen brasilianischen Kinos lesen. In „Bacurau“ von Kleber Mendonça Filho wird ein Dorf von Todesschwadronen heimgesucht, in „Vento Seco“ von Daniel Nolasco verwandeln sich die erotischen Träume eines Landarbeiters in Gewaltfantasien. Es scheint, als ob sich in den Erzählungen politische oder gesellschaftliche Aggressionen entladen würden.
Dabei überschreiten diese Filme gerne die Schwelle des filmischen Realismus. In „Madalena“ ist das weniger auffällig: etwa die Strauße in den Feldern oder die Leiche, die am Ende einer langen Drohneneinstellung wieder auferstanden mit offenen Augen umherwandelt. In einer Radiosendung kündigt ein Priester das nahende Unheil im Namen Jesu an. Solche christlichen Predigten verstärken die mysteriösen Umstände von Madalenas Tod, tragen dafür keineswegs zur Aufklärung des Falls bei.
Eine Oase der Ruhe und Sicherheit
Marcheti lässt auch die Möglichkeit des sublimierten Horrors links liegen. Der Film begibt sich mit den Figuren vielmehr auf die Suche nach einer Utopie. Bianca und zwei transsexuelle Freundinnen wandern am Ende abseits der Felder durch den Urwald zu einer Lichtung mit dem nun endlich sichtbaren Fluss. Es ist eine Oase der Ruhe und Sicherheit für die drei Frauen, die in der konservativ-christlichen Gesellschaft keinen Platz haben. Es könnte auch eine trügerische Idylle sein. Bianca warnt ihre Freundinnen scherzhaft vor Piranhas. Das könnte nicht die einzige Bedrohung sein.