Das Haus am Hang

Drama | Japan 2019 | (6 Folgen) Minuten

Regie: Yukihiro Morigaki

Dramaserie über eine junge Hausfrau und Mutter, die zur Laienrichterin in einem Mordprozess berufen wird: Es geht um die Tötung eines Babys durch dessen Mutter. Die Konfrontation mit dem Verbrechen und der Mörderin, aber auch die zeitgleich zutage tretenden Brüche in ihrem eigenen Familienkonstrukt lassen die Frau ihre eigene Auffassung von Mutterschaft hinterfragen. Die Produktion bietet einen so interessanten wie erschütternden Einblick in die japanische Gesellschaft, die von konservativ-patriarchalen Strukturen geprägt ist und in der Frauen und junge Mütter weit unten auf der sozialen Leiter stehen. Eine Stärke des Gerichtsdramas ist seine perspektivische Vielfalt; ansonsten ist die Inszenierung recht konventionell, mitunter etwas plakativ. Trotzdem entpuppt sich die überzeugend gespielte Hauptfigur als interessante Protagonistin, deren Brüche Stück für Stück aufgeblättert werden, und die Serie gewinnt mit zunehmendem Fortgang an Tiefe und Komplexität. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SAKA NO TOCHU NO IE
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
WOWOW
Regie
Yukihiro Morigaki
Buch
Eriko Shinozaki
Musik
Yuma Yamaguchi
Darsteller
Kou Shibasaki (Risako Yamazaki) · Seiichi Tanabe (Yoichiro Yamazaki) · Miki Mizuno (Mizuho Ando) · Hidekazu Mashima (Hisashi Ando) · Atsuko Takahata (Fujiko Misawa)
Länge
(6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Serie

Japanische Miniserie um eine Frau, die als Laienrichterin zu einem Prozesses gegen eine mutmaßliche Kindsmörderin berufen wird und im Zuge der Verhanldung beginnt, ihre Lebenssituation als Mutter in Frage zu stellen.

Diskussion

Nicht den Erwartungen zu entsprechen: Das scheint in Japans konservativ-kollektivistischer Gesellschaft den sozialen Tiefpunkt zu bedeuten. Es sind die Erwartungen der Eltern, Schwiegereltern, Ehemänner, Nachbarn, Vorgesetzten und sogar der Kinder, aber natürlich auch die eigenen Ansprüche an sich selbst, die die Protagonistinnen in der Serie „Das Haus am Hang“ vor sich hertreiben, in die Ecke drängen. In einem Fall führt dieser Druck zum Äußersten: Eine überforderte Mutter tötet ihr Baby.

Oder war es ganz anders? Ist die Mörderin Mizuho eine narzisstische, oberflächliche Person, die davon enttäuscht war, dass ihr Baby Rin „langsamer“ als gleichaltrige Kinder war? Es ist eine Stärke der 6-teiligen Drama-Serie, dass sie verschiedene Lesarten anbietet: Indem sie die anderen Protagonisten über ihre Sichtweisen auf den Fall diskutieren lässt, aber auch, indem sie dasselbe Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zeigt – der Filmklassiker „Rashomon“ lässt grüßen. Dabei verändern sich je nach Blickwinkel Tonfall und Stoßrichtung einer Szene ganz und gar.

Die Serie nimmt den Prozess in den Fokus, bei dem der Mord an dem erst 8 Monate alten Kind verhandelt wird. Und überführt damit das Erzählprinzip der unterschiedlichen Perspektiven auf die inhaltliche Ebene: Denn das Gerichtsdrama lebt ja vom Wechsel aus Angriff und Verteidigung, den disparaten Sichtweisen auf dasselbe Geschehen.

Eine vermeintlich heile Welt beginnt sich zu verschieben

Die Hauptfigur und zugleich eine der Figuren, die eine Haltung zu dem schrecklichen Verbrechen zu finden suchen, ist Risako. Die junge Frau ist selbst Mutter einer 3-jährigen Tochter und führt ein scheinbar unbeschwertes Leben. Den Job hat sie pausiert, um sich ganz Kind und Haushalt widmen zu können. Als Risako zur Ersatz-Laienrichterin berufen wird, sind weder ihr Mann noch sie selbst begeistert. Doch sie will sich der Verantwortung stellen; der zu verhandelnde Fall ist natürlich der von Mizuho und Rin. Ihre eigene Tochter Ayaka gibt sie fortan regelmäßig in die Obhut der Schwiegermutter, um die Gerichtstermine wahrnehmen zu können.
Peu a peu beginnt sich nun Risakos vermeintlich so heile Welt zu verschieben: Die Schwiegermutter verwöhnt das Kind über Gebühr und kocht mit dezent verstecktem Vorwurf nebenbei auch noch die Lieblingsgerichte ihres Sohnes, weil es bei Risako mittlerweile oft nur noch für Fertiggerichte reicht. Ayaka leidet unter der häufigen Trennung von der Mutter, was sie dieser mit besonders bockigem Verhalten spiegelt. So gewöhnt sich das Kind an, Essen vom Tisch zu werfen – was Risako ärgert und laut werden lässt, von Ehemann und Schwiegermutter jedoch nur mit Lachen quittiert wird. Ayaka lernt, die Erwachsenen, die, wie sich zeigt, keinerlei Vertrauensbasis verbindet, gegeneinander auszuspielen.

So steht Risako, die es allen recht zu machen versucht, zunehmend als hysterische „Versagerin“ da: Eine Hausfrau und Mutter, die es weder schafft, den Mann zu bekochen, noch das Kind im Griff hat. Und die dazu womöglich auch noch ein Alkoholproblem entwickelt. Risako fühlt sich zunehmend isoliert und unverstanden – und beginnt, Parallelen zwischen ihrem und Mizuhos Leben zu sehen, sich in der Mörderin wiederzuerkennen, die eigene Auffassung von Mutterschaft zu hinterfragen.

Eine für Frauen und erst recht für junge Mütter sehr kalte Welt

Es ist eine für Frauen und erst recht für junge Mütter sehr kalte Welt, die diese Serie nach einem Roman der Schriftstellerin Mitsuyo Kakuta zeichnet. Eine patriarchalische, aufs Geldverdienen ausgerichtete Gesellschaft, in der die Männer spät von der Arbeit kommen, den Fernseher einschalten und allen Ernstes nach „Bier!“ oder auch „Mehr Bier!“ verlangen. In der Sätze fallen wie: „Der Herr des Hauses verdient Respekt!“ – ausgesprochen von einer Frau, Risakos Schwiegermutter. Von Respekt für die Dame des Hauses ist selbstverständlich nie die Rede.

Auch die Mutter von Mizuhos Mann bestätigt den herrschenden männlichen Chauvinismus: Die Fronten aus Schwiegermüttern und ihren Söhnen erscheinen hier besonders undurchdringlich. Denn auch den Alten gegenüber sind Hochachtung und Gehorsam an den Tag zu legen. Und die in dieser fiktionalen Serie, aber auch in der japanischen Realität oft ohne Geschwister aufwachsenden Kinder ziehen alle Aufmerksamkeit der vorgeborenen Generationen auf sich. Die junge Mutter hingegen steht abgeschlagen weit unten auf der sozialen Leiter. Zwar gibt es in „Das Haus am Hang“ ein wenig Solidarität zwischen den jüngeren Frauen, aber nur vorsichtig, zögerlich, wie um ja niemanden aus seinem konservativen (Alb-)Traum aufzuschrecken.
Damit gibt die Serie einen so interessanten wie erschütternden Einblick in die japanische Gesellschaft, in der der Schein offenbar mehr zählt als das Sein.

Die Inszenierung lässt die Figuren zunächst blasser erscheinen, als sie sind

Schade, dass sie in ihrer Machart ein bisschen altbacken daherkommt; so ist einiges recht plakativ und wenig nuanciert dargestellt. Ob das nun die mit Dauerlächeln präsentierte Glückseligkeit Risakos zu Beginn der Story ist oder die unsäglich vorgestrigen, unsympathischen Männerfiguren, die etwas Monolithisches, Uniformes haben. Auch die Kameraarbeit wirkt altmodisch, was besonders in den optisch recht einfallslosen Szenen vor Gericht auffällt. Bis auf die Szenen, in denen sich Perspektiven übereinander- oder auseinanderschieben, wird wenig über die Bilder erzählt. Auch Dialoge und Inszenierung sind eher konventionell und behäbig, lassen die Figuren zunächst blasser erscheinen, als diese sind.

So entpuppt sich die von Kou Shibasaki überzeugend gespielte Risako als interessante Figur, deren Facetten und Brüche Stück für Stück aufgeblättert werden. Ohnehin gewinnt die Serie mit zunehmendem Fortgang, entwickelt von Folge zu Folge mehr Tiefe und Komplexität. Am spannendsten aber, gerade für westliche Augen, ist die kaleidoskopartige, perspektivisch vielfältige Einsichtnahme in japanisches Familien- und Arbeitsleben, ins fein gesponnene und umso festere Netz gesellschaftlicher Erwartungen.

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