The White Lotus
Komödie | USA 2021 |
Regie: Mike White
Filmdaten
- Originaltitel
- THE WHITE LOTUS
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- HBO
- Regie
- Mike White
- Buch
- Mike White
- Kamera
- Ben Kutchins
- Musik
- Cristobal Tapia de Veer
- Darsteller
- Jennifer Coolidge (Tanya) · Murray Bartlett (Hotelmanager Armond) · Jake Lacy (Shane) · Alexandra Daddario (Rachel) · Connie Britton (Nicole)
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Komödie | Satire | Serie
- Externe Links
- TMDB
Ärger im Paradies: Vor den Kulissen einer hawaiianischen Wellnessoase gelingt Regisseur und Drehbuchautor Mike White eine beißende Sozialsatire, in der er genüsslich die Neurosen und Selbsttäuschungen der amerikanischen Upperclass seziert.
Staffel 1
„Human remains“ – menschliche Überreste, das steht in gut lesbaren Lettern auf der Holzkiste, die gerade in den Laderaum eines Passagierflugzeugs verladen wird. Vom Panoramafenster eines Flughafenterminals aus beobachtet ein Mann, der schwer unter Strom steht, die Szenerie. Unter seiner Sonnenbrille verbirgt er einen Blick, der von einem Aufenthalt direkt in der Hölle zu zeugen scheint, dabei kehrt der Reisende doch eigentlich aus dem Paradies zurück. Es sollte der perfekte Honeymoon-Trip für Shane (Jake Lacy) und seine Neuangetraute werden, doch lief der Ausflug ins Paradies nicht gerade plangemäß. Davon werden wir später mehr erfahren.
Mit „Paradies“ ist zuerst einmal das Luxushotel „White Lotus“ auf Hawaii gemeint. Dessen Manager Armand (Murray Bartlett) legt gegenüber seinem Personal pedantischen Wert auf reibungslose Serviceabläufe. Die Wünsche der gutbetuchten Kundschaft sollen von den Bediensteten antizipiert werden, noch bevor einer der Luxusgäste auch nur ein Begehren äußern kann. Die Begrüßung neuer Besucherinnen und Besucher nimmt der Hotelmanager mit akkurat getrimmtem Schnauzbart selbst vor. Zur jüngsten Gästecharge, die ein Boot soeben am Bilderstrand ausgespuckt hat, gehört die Familie Mossbacher. CEO und Übermutter Nicole (Connie Britton) und Vater Mark (Steve Zahn) haben ihre Kids im Gepäck: Tochter Olivia (Sydney Sweeney) mitsamt bester Freundin Paula (Brittany O’Grady) sowie ihren Sohn Quinn (Fred Hechinger), der seine Sinnsuche mit dauerhafter Smartphone-Benutzung kompensiert. Mit von der Partie ist auch das eingangs erwähnte Flitterwochenpärchen Shane und Rachel (Alexandra Daddario) sowie die aufgrund des Todes ihrer Mutter in existenzielle Verzweiflung gestürzte Tanya (Jennifer Coolidge). Kaum hat sie festen Inselboden unter den Füßen, erkundigt sie sich bereits nach dem ersten Drink.
Das Begrüßungszeremoniell der drei Parteien, denen wir von nun an folgen, erinnert nicht zufällig an Konventionen einschlägiger Reality-TV-Formate. Serienschöpfer Mike White hat nicht erst seit seiner Teilnahme als Kandidat der US-Show „Surviver“ ein Faible für Entertainment-Vergnügen jener Prägung. Ein an das Realitätsfernsehen angelehntes Eliminationsprinzip durchwirkt auch seine Serienschöpfung „White Lotus“. Wen wird es am Ende erwischen? Wer landet in besagter Holzkiste am Flughafen? Und kehrt am Ende jemand aus ganz anderen Gründen nicht heim?
Postkoloniale Zwei-Klassen-Gesellschaft
Ungemach im Paradies unter Palmen droht schon früh. Denn unser Honeymoon-Paar landet aufgrund eines Buchungsfehlers in der falschen Suite. Was objektiv betrachtet keine große Sache zu sein scheint, wird für den hochprivilegierten Shane aus betuchtem Haus zur Grundsatzfrage. Er besteht auf sein Recht, samt seiner Gattin die prestigeträchtigste Unterkunft der Anlage zu bewohnen. Dafür scheut Shane auch nicht den fintenreichen Kleinkrieg mit Hotelmanager Armand, der zum Erzählmotor der sechsteiligen Miniserie wird. So amüsant dieser für Außenstehende sein mag, so verweist der Konflikt auch auf ein eklatantes Kräftemissverhältnis. Nichts scheint dem Inbegriff eines Fraternity-Ekelpakets, Shane, mehr Vergnügen zu bereiten als die Demütigung des Chefbediensteten Armand.
Überhaupt, diese Privilegien! Regisseur Mike White projiziert seine Erzählung auf ein kolonialpolitisch hochaufgeladenes Terrain. Die US-amerikanische Annexion der hawaiianischen Inselkette im späten 19. Jahrhundert zeigt Auswirkungen bis heute. Auch in der fiktiven Luxusherberge herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aus wohlbetuchter weißer Upperclass und einer Dienstleistungsklasse, die sich nahezu vollständig aus einheimischen people of color rekrutiert. Am elterlichen Ausblenden der haarsträubenden Umstände nehmen vor allem die Tochter der Mossbachers, Olivia und deren beste Freundin Paula Anstoß. Gegen die ausgestellte Ignoranz der karrieristisch veranlagten Boomer-Generation, wappnen sich die beiden mithilfe von philosophischen und psychoanalytischen Theorietexten am Hotelpool und mit einer etwas speziellen Form des Aktivismus – wohlmeinend und dennoch gefährlich naiv –, die am Ende sogar die Existenz eines jungen Hotelangestellten bedroht.
Über die Selbsttäuschungen einer kommunikationsgestörten US-Elite
Mike White seziert an dieser Stelle geradezu genüsslich die Neurosen und Selbsttäuschungen einer überambitionierten, kommunikationsgestörten US-Elite, die vor allem mit sich selbst, aber auch mit allen anderen am Hadern zu sein scheint – maximal aggressiv und dünnhäutig-übersensibel zugleich. Richtig gut weg kommt in seinem Setting einer fiesen Sozialsatire niemand. Dass am Ende der fulminanten Schau nicht alles in den Zynismus abgleitet, verdankt sich dem erzählerischen Geschick des Drehbuchautors und Regisseurs. An einer moralischen Abqualifizierung seiner Figuren zeigt Mike White sich nicht interessiert. Ihn fasziniert, wie auch schon in seiner von der Kritik gelobten Vorgängerserie „Enlightened“, vielmehr die Möglichkeit eines Ausstiegs aus den Zwängen einer allzu erfolgsversessenen Gesellschaft. Einigen seiner Charaktere steht ein solcher Weg am Ende offen, anderen wiederum wird er versperrt bleiben. Mike Whites Empathie gilt der einen wie der anderen Gruppe – zum großen Glück seiner sensationell komischen und bitterbösen Serie „White Lotus“.
Staffel 3
Laut einer Meditationstrainerin, die in der dritten Staffel der Serie „The White Lotus“ gleich am Anfang ihren Auftritt hat, gilt es während der stillen Kontemplation ihrer zahlkräftigen Klienten vor allem, deren unruhigen Geist zur Ruhe zu bringen. Das „Äffchen Bewusstsein“, das unermüdlich zur Abschweifung verleite, soll durch positive Eigenschwingungen besänftigt werden. Diese Entspannungskur scheitert allerdings schnell, wenn Pistolenschüsse durch das Dschungel-Paradies hallen.
Was bisher geschah
Eingeweihten der „The White Lotus“-Serien dürfte das Prinzip der Show von Serienschöpfer Mike White mittlerweile vertraut sein. Im Setting luxuriöser High-End-Urlaubsdomizile führt die Serie getreu dem Motto „Eat the Rich“ betuchte Protagonisten genüsslich in existenzielle Sackgassen, an deren Ende nicht selten Mord und Totschlag warten. Jede Staffel funktioniert als eigenständige Story. Die erste Staffel spielte in einem noblen Resort auf Hawaii, wo das Leben der wohlhabenden Gäste und das der Angestellten auf komplexe Weise miteinander verwoben wurde. Im Zentrum der überdrehten schwarzen Komödie brillierten Murray Bartlett als pedantischer Hotelbetreiber sowie Jennifer Coolidge als emotional instabile, von ihrer Sehnsucht nach Liebe getriebene Frau, was beim Publikum für Lachsalven und Anteilnahme sorgte.
Im Zentrum der Handlung standen Machtspiele, persönliche Krisen und die gegenseitige Abhängigkeit zwischen privilegierten Urlaubern und den erschöpften Mitarbeitern. Während einige Gäste mit familiären und existenziellen Konflikten rangen, geriet das Personal unter dem Druck der anspruchsvollen Klientel zunehmend in einen selbstzerstörerischen Strudel. Die sich zuspitzenden Spannungen und enthüllten Geheimnisse führten zu hochtragischen Konsequenzen, was die satirische Kritik an ausgestelltem Reichtum und Klassenunterschieden unterstrich.
In der zweiten Staffel entfaltete sich das aberwitzige Drama in einem exklusiven Sizilien-Resort, wo andere Gäste mit ihren Geheimnissen und Unsicherheiten aufeinandertreffen. Nach Taormina finden unter anderem von F. Murray Abraham, Michael Imperioli und Theo James gespielte Figuren – sowie abermals Jennifer Coolidge als Serienmaskottchen. Die Figuren bewegen sich zwischen hedonistischer Leichtigkeit und einer tiefen inneren Unruhe, die ihre Suche nach Identität und Zugehörigkeit prägt. Auch hier geht es um die Dynamik zwischen den Klassen und latente Spannungen zwischen den Gästen und dem Personal, was humorvoll und zugleich tragisch inszeniert wird – ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verwerfungen, ebenso charmant wie beunruhigend. Die zweite Staffel endete mit einem furchtbaren Drama, bei dem man sich fragte, wie die Serie noch sinnvoll weitergehen könnte.
Neue Gäste, neue Katastrophen
Nun folgt die dritte Staffel. Einmal mehr findet sich ein vortreffliches Darstellerensemble nach einer Bootsfahrt in einem Luxusresort ein, diesmal an der thailändischen Küste, deren tropisches Paradies vor Jahren von der Tsunami-Katastrophe heimgesucht wurde. Eine mutmaßlich unüberschaubare Anzahl handelnder Figuren sorgt anfangs für eine beabsichtigte Unübersichtlichkeit, die sich jedoch bald legt. Zur quirligen Schar zählt die Familie Ratliff. Jason Isaacs und Parker Posey spielen das Ehepaar, Patrick Schwarzenegger, Sarah Catherine Hook und Sam Nivola die Kinder Saxon, Piper und Lochlan. Jedes von ihnen ist auf seiner eigenen Sinnsuche. Saxon findet seine Erfüllung in Körperkult und Männlichkeitsritualen, Piper im Buddhismus. Nur Lochlan scheint sich in dieser Hinsicht noch nicht sicher zu sein und wirkt ziemlich verloren.
Als Rückkehrerin aus Staffel 1 kommt Belinda (Natasha Rothwell) hinzu. Sie träumt immer noch von einem eigenen Luxus-Spa. Ihre drei besten Freundinnen aus Kindheitstagen, Jaclyn (Michelle Monaghan), Laurie (Carrie Coon) und Kate (Leslie Bibb), haben sich allesamt super gehalten, worauf sie einigermaßen stolz sind. Sobald eine der drei jedoch den Raum verlässt, beginnen die beiden anderen über sie herzuziehen. Was das Paar Rick (Walton Goggins) und Chelsea (Aimee Lou Wood) zusammenhält, scheint zu Beginn äußerst rätselhaft. Die liebenswerte Schöne hat sich mit ihrem Freund einen vormaligen Rockstar angelacht, der mit seinem Aufenthalt aber ganz andere Zwecke als einen entspannten Pärchenurlaub zu verfolgen scheint.
Dies sind aber nur einige der Figuren, die sich die Klinke in die Hand geben. Durch den Anfang mitsamt seiner Gewehrsalven ist jedoch klar, dass Drastisches droht. Das Rätselraten nimmt damit seinen Lauf. Wie kann die Lage inmitten der meditativen Szenerie nur so eskalieren? Christian Friedel glänzt in einer tollen Performance als deutscher Resort-Leiter. Servil seiner Chefin (Patravadi Mejudhon) ergeben und obendrein ziemlich begriffsstutzig, scheint er den Ernst der eskalierenden Lage nicht zu verstehen.
Es ist aber auch zu vertrackt! Da wären ein betrügerisches Finanzschema, ein Mordfall, der Jahrzehnte zurückliegt, sowie die zweifelhafte Identität eines anderen Hotelgastes, der ebenso aus Staffel 1 stammt. Das alles kocht Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Mike White wie in einem Druckbehälter zu einer verhängnisvollen Mischung zusammen. Abermals pointenreich, gesellschaftskritisch und zugleich hoch unterhaltsam.
Wobei der satirische Biss diesmal nicht mehr ganz so heftig ausfällt. White folgt diesmal ein bisschen zu genüsslich dem Impuls, in grellen Farben zu zeichnen. Manche der Figuren, etwa die von Parker Posey verkörperte Texanerin, wirken allzu überzeichnet. Dabei hätte White allzu simple Gags eigentlich gar nicht nötig. Bisweilen wünscht man sich den alles durchdringenden, aber zugleich doch auch liebevoll auf die Figuren schauenden Blick der Staffel 1 zurück. An anderen Stellen funktioniert die Rezeptur dann aber wieder ganz famos. Etwa wenn der bittere, sich selbstverzehrende Rick auf einem heftigen Cannabis-Trip seine Zuneigung zu Giftschlangen entdeckt und die Tiere aus ihrem Terrarium entlässt: „Sie sollten in Freiheit leben“.