Die Meute (Serie)
Drama | Chile 2019 | 368 (8 Folgen) (Staffel 1) Minuten
Regie: Sergio Castro San Martín
Filmdaten
- Originaltitel
- LA JAURÍA
- Produktionsland
- Chile
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Fabula/Fremantle
- Regie
- Sergio Castro San Martín · Sergio Castro · Lucía Puenzo · Nicolás Puenzo · Marialy Rivas
- Buch
- Sergio Castro · Enrique Videla · Sergio Castro San Martín · Paula del Fierro · Lucía Puenzo
- Kamera
- Arnaldo Rodríguez
- Musik
- Andrés Goldstein · Daniel Tarrab
- Schnitt
- Misael Bustos · Javier Estévez
- Darsteller
- Antonia Zegers (Olivia Fernández) · María Gracia Omegna (Carla Farías) · Daniela Vega (Elisa Murillo) · Paula Luchsinger (Celeste Ibarra) · Mariana Di Girólamo (Sofía)
- Länge
- 368 (8 Folgen) (Staffel 1) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Krimi | Serie | Thriller
Heimkino
Das Patriarchat schlägt zurück: In der chilenischen Krimiserie protestieren Schülerinnen gegen sexuellen Missbrauch und geraten ins Visier eines Netzwerks, das sich emanzipierende Frauen brutalst in ihre Schranken weisen will.
Nervös und hilflos starrt Sofía (Mariana Di Girólamo) in die Kamera. Die Anweisungen, mit denen der Schauspiellehrer Ossandón sie während eines dubiosen Privatcastings schnappatmend bombardiert, sind ihr offensichtlich sehr unangenehm. Und obwohl das Mädchen in diesem Moment keinem direkten Zwang ausgesetzt ist und die Aufforderungen nicht explizit sexuell sind, spürt man auf beklemmende Weise, dass hier eine Grenze überschritten wird.
Die chilenische Serie „Die Meute“ beginnt an einem katholischen Gymnasium in Santiago, an dem besagter Schauspiellehrer zahlreiche solcher Videos gedreht hat. Weil Ossandón zwar suspendiert wurde, Lehrer und Eltern die Übergriffe aber konsequent verharmlosen, besetzen Sofía und einige Freundinnen aus Protest die Schule. Einige sehen auch in diesem weiblichen Aufbegehren eine Grenzüberschreitung. Als Blanca (Antonia Giesen), die Anführerin der Mädchen, spurlos verschwindet und kurz darauf ein Video auftaucht, in dem sie von einer Gruppe Maskierter vergewaltigt wird, ist klar, dass es sich hier um eine Disziplinierungsmaßnahme handelt.
Ein brutaler Versuch, alte Rollenbilder wieder herzustellen
„Die Meute“ erzählt von einer gewalttätigen Umbruchszeit, in der Männer ihre Vormachtsstellung schwinden sehen und Frauen sich nicht mehr alles gefallen lassen wollen. Was mit einem in wackeligen Amateuraufnamen festgehaltenen Einzelfall beginnt, erweist sich immer mehr als große, sämtliche gesellschaftliche Sphären durchdringende Verschwörung. Im Mittelpunkt steht dabei das virtuelle „Spiel des Wolfs“, mit dem viele Jungs aus der Schule von einem Unbekannten zunächst mit Mutproben gefügig gemacht werden, um schließlich selbstbewusste Frauen mit psychischem Druck und körperlichen Übergriffen in ihre Schranken zu verweisen.
Wer sich hinter diesem Spiel verbirgt und wo sich die entführte Blanca verbirgt, sind die beiden Fragen, die zum Motor der Serie werden. Ihnen gehen nicht nur die hartnäckigen Ermittlerinnen Olivia (Antonia Zegers), Elisa (Daniela Vega) und Carla (María Gracia Omegna) auf den Grund, sondern auch Blancas Schwester Celeste (Paula Luchsinger), die schließlich mit dem mysteriösen „Wolf“ Kontakt aufnimmt und es bald mit seinem aggresiven Rudel zu tun bekommt. Ihre Suche folgt einer Krimilogik, nach der jeder, sogar die vermeintlich Guten, ein dunkles Geheimnis hat.
Die Serie baut auf genretypische Zuspitzungen
Mit Sergio Castro San Martín als Serienschöpfer und unter anderem der Argentinierin Lucía Puenzo („XXY“) als Regisseurin, interessiert sich „Die Meute“ weniger für alltäglichen oder subtilen Sexismus als für seine bösartigsten und aggressivsten Ausprägungen. Bezeichnend für die Serie ist das, weil sie, anders etwa als die meist doppelbödigen Regiearbeiten von Co-Produzent Pablo Larraín, sehr geradlinig und auf genretypischen Zuspitzungen aufgebaut ist. Die chilenische Gesellschaft wird dabei mit dickem Pinsel als von starken Hierarchien und grellen Kontrasten durchzogen gemalt. Selbstgerechte Geistliche, die sich für Gott halten, und zwielichtige Vertreter der Oberschicht, die Sexpartys mit Minderjährigen feiern, tauchen dabei ebenso auf wie „Incels“ (das Kürzel aus „involuntary“ und „celibate“ bezeichnet eine Internet-Subkultur heterosexueller Männer, die im Netz teils hochaggressiv-misogyn ihrem Frust über den eigenen Misserfolg bei Frauen Ausdruck verleihen) und Neonazis. Seinem Thema nähert sich „Die Meute“ nicht analytisch, sondern beschwört mit den Mitteln eines Thrillers ein patriarchales Schreckensszenario herauf.
Die Jagd nach dem Wolf führt in immer neue Macho-Abgründe
Spannend bleibt die Serie weitgehend, weil sie konsequent auf Eskalationen setzt. Während die Suche nach dem Wolf in immer neue gesellschaftliche Sphären führt, dringt der scheinbar allwissende Gegner auch zunehmend ins Privatleben seiner Widersacherinnen. Wenn die Identität des Wolfs schließlich in der letzten Folge gelüftet wird, erweist sich das nicht als befriedigender Abschluss, sondern als Ausblick auf die kommende zweite Staffel. Allerdings passt das offene Ende zu der von Misstrauen und Angst geprägten Atmosphäre der Serie, ebenso wie es auch eine konsequente Weiterführung des auf immer neuen Enthüllungen (Rachepornos, Ehebruch, Kinderraub, Selbstjustiz usw.) basierenden Antriebs der Serie ist.
Gelegentlich lässt sich die Handlung dabei zu sehr von dramaturgischen Tricks lenken. Nachdem Olivias introvertierter und gemobbter Sohn Gonzalo (Clemente Rodríguez) sich etwa heimlich ebenfalls dem Spiel des Wolfs anschließt, folgen einige Wendungen, die sich weniger aus der inneren Motivation des Jungen entwickeln als aus dem äußeren Druck, die Spannungskurve bloß nicht abflauen zu lassen.
Heldinnen mit Ecken und Kanten
Zugleich ist eine Figur wie Gonzalo aber auch wichtig für die ambivalente Darstellung des überwiegend weiblichen Figurenensembles. Die häufig etwas schlecht gelaunten Ermittlerinnen sind aufopferungsvolle Mütter und liebesbedürftige Frauen, aber auch klassische Hardboiled Detectives, die in ihrem Leben einiges falsch gemacht haben und es mit dem Gesetz nicht immer so genau nehmen. Ihre Ecken und Kanten machen sie nicht nur als Charaktere interessanter, es wird dadurch auch immer wieder klar, dass ihr Kampf keinem einzelnen, übermächtigen Gegner gilt, sondern einem diffusen gesamtgesellschaftlichen Problem, bei dem auch eine bedingungslos liebende Mutter wie Olivia zur Komplizin wird.