Der Atem des Meeres
Dokumentarfilm | Deutschland/Niederlande 2020 | 106 Minuten
Regie: Pieter-Rim de Kroon
Filmdaten
- Originaltitel
- SILENCE OF THE TIDES
- Produktionsland
- Deutschland/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Windmill Film/Bildersturm Filmproduktion/NDR
- Regie
- Pieter-Rim de Kroon
- Buch
- Pieter-Rim de Kroon · Michiel Beishuizen
- Kamera
- Dick Harrewijn
- Musik
- Birgit Wildeman
- Schnitt
- Erik Disselhoff
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 29.07.2021
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Imposanter Dokumentarfilm über das Wattenmeer zwischen den Niederlanden und Dänemark, das visuell und auditiv überwältigend umspielt wird.
Dokumentarfilme über das Wattenmeer gab es schon viele. Und es soll auch noch immer Menschen geben, die dieser von den Gezeiten geprägten Küste zwischen den Niederlanden und Dänemark wenig abgewinnen können. Gewiss gibt es spektakulärere Landschaften als das Watt. Doch „Der Atem des Meeres“ ist entschieden anders. Schon weil er sehr viel zeigt, aber nichts erklärt.
Es gibt keinen Kommentar zu Flora und Fauna; auch wo die Bilder aufgenommen wurden, bleibt unerwähnt. Allenfalls an der Sprache der Menschen kann man hören, ob man sich gerade in Deutschland oder den Niederlanden befindet. Doch die wenigen Personen sprechen nicht für oder in die Kamera. Mal unterhält sich ein Mitarbeiter der holländischen Küstenwache mit einem Schiffskapitän, mal hört man die Kommandos eines Bauern beim Viehtrieb durchs Watt. Und ganz zu Beginn tuckert ein Mann mit imposantem Vollbart in einem selbstgebauten Gefährt über ein schnurgerades Gleis auf eine Hallig, wo er ein Paket abliefert. Der Postbote tritt noch öfter in Erscheinung, doch selbst, wenn er am Ende einen Weihnachtsbaum abliefert, hat er den ganzen Film über kein einziges Wort gesprochen.
Abrupte Wechsel, peitschende Stürme
Der Dokumentarfilm von Pieter-Rim de Kroon folgt dem Zyklus der Jahreszeiten und dem steten Wechsel von Ebbe und Flut. Wechsel, oft auch abrupte, sind ein wesentliches Stilmittel des Films. So wie die Bilder zwischen imposanten Totalen und extremen Naheinstellungen changieren oder der Himmel eben noch leuchtet blau war und plötzlich von Wolkengebirgen bedeckt ist, füllt sich der menschenleere Strand unvermittelt mit lärmenden Urlaubern oder lässt sich eine Blaskapelle beim Dorffest auf dem Planwagen durch die Gegend kutschieren. Und urplötzlich wird scharf geschossen. Eine niederländische Militärmaschine donnert im Tiefflug übers Watt und feuert mehrere Salven auf am Strand liegende Panzerwrack.
Der Film verklärt das Wattenmeer also keineswegs zur Idylle, so wie er sich generell fernab des Kitsches bewegt. Dazu gehört auch, dass die Schafe hier nicht nur geboren werden, um friedlich zu grasen, sondern auch, um zur Schlachtbank geführt werden.
Ähnlich intensiv wie durch die atemberaubenden Bilder wird der Film von seiner Tonspur geprägt. Peitschende Schneestürme, sich aneinander reibende Eisschollen, Priele, in denen das Wasser bei Ebbe sanft ins Meer plätschert, tosende Wellen. Wenn Muschelfischer ihrer anstrengenden Arbeit im hüfthohen Wasser nachgehen, hört man sie schnaufen, als ständen sie direkt neben einem. Und wo es eben noch absolut still war, erhebt sich plötzlich das Gekreische unzähliger Seevögel. In manchen Szenen schießen die Sounddesigner vielleicht etwas übers Ziel hinaus. Wenn zwei kleine Krabbeltiere unter Wasser ein Kampf austragen, klingt das nach Schlachtgetümmel, und als ein Falter Nektar aus einer Blüte saugt, glaubt man einen Menschen zu hören, der die letzten Tropfen mit einem Strohhalm aus einem Glas zieht. Aber womöglich sind diese Klänge auch Natur pur, aufgenommen mit hochempfindlichen Spezialmikrofonen?
Das rätselhafte Tun der Wattmänner
Natürlich ertappt man sich angesichts der teils prähistorisch anmutenden Tiere im Wasser bisweilen beim Wunsch nach Informationen, um welche seltsamen Kreaturen es sich hier handelt, doch die Inszenierung bleibt sich auch hier treu. Ebenso wenig wird das rätselhaften Tun von ein paar Männern erklärt, bei Ebbe im Gegenlicht lange Holzstangen in den Sand rammen. Womöglich dienen sie der Markierung. Aber welcher? Der „Mangel“ an Informationen verleiht diesen Bildern aber auch etwas Mystisches, ohne solche vermutlich alltäglichen Arbeiten zu Wundern zu überhöhen.
Bei aller Reduktion verzichtet der Film auch nahezu ganz auf Musik. Neben der Blaskapelle ist lediglich hin und wieder eine Organistin zu sehen und zu hören, die ihrem betagten Instrument in einer Dorfkirche zarte Töne entlockt; als ein Gewitter aufzieht, entlockt sie ihm dann doch mal alle Register.
„Der Atem des Meeres“ ist eine beeindruckende, souverän inszenierte, poetische Liebeserklärung an das Wattenmeer, deren Bilder zum Teil von geradezu unwirklicher Schönheit sind und dennoch nichts verklären. Ein Film, der unbedingt auf die große Leinwand gehört, wobei das Kino zudem über eine exzellente Tonanlage verfügen sollte.