Sweet Tooth
Comicverfilmung | USA 2021 | 364 (8 Folgen, Staffel 1) Minuten
Regie: Toa Fraser
Filmdaten
- Originaltitel
- SWEET TOOTH
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- DC Entertainment/Netflix/Team Downey/Warner Bros. Television
- Regie
- Toa Fraser · Jim Mickle · Robyn Grace · Carol Banker · Ciarán Foy
- Buch
- Jim Mickle · Beth Schwartz · Christina Ham · Noah Griffith · Daniel Stewart
- Kamera
- Aaron Morton · Rob Marsh · Dave Garbett · John Cavill · Andrew Stroud
- Musik
- Jeff Grace
- Schnitt
- Michael Berenbaum · Shawn Paper · David Bilow · Nathan Gunn · John Dietrick
- Darsteller
- Christian Convery (Gus) · Nonso Anozie (Jepperd) · Dania Ramirez (Aimee) · Stefania LaVie Owen (Bear) · Adeel Akhtar (Dr. Singh)
- Länge
- 364 (8 Folgen, Staffel 1) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Comicverfilmung | Serie
Die filmische oder serielle Postapokalypse kennt oft nur die stets gleiche, monochrome Farbpalette: Egal ob „Mad Max: Fury Road“, „The Book of Eli“, „The Road“ oder „Mortal Engines“, ja selbst in Pixars „Wall-E“ wird die Welt nach dem Untergang der menschlichen Zivilisation beziehungsweise ihrer globalen Vorherrschaft in tristes Grau-Braun getunkt, Wüsten und Steppen dominieren das Landschaftsbild, die Fauna ist kaum noch existent. Eine neue Netflix-Serie schickt sich nun an, diese Ästhetik in eine andere Richtung zu lenken: In „Sweet Tooth“ ist der Niedergang der Menschheit mit dem Wiedererstarken der Natur verknüpft, die den Planeten zurückerobert. Der Schauplatz für ein Coming-of-Age-Abenteuer, das zwar mit gelungenem Worldbuilding und vielschichtigen Charakteren aufwartet, aber eine klare Zielgruppe vermissen lässt.
„Jede Geschichte beginnt am Anfang“, verkündet ein brummiger Off-Erzähler zu Beginn der ersten Episode von „Sweet Tooth“. Und das gleich mehrfach. Eine Binsenweisheit, so scheint es, die aber deutlich macht, wie wichtig der ausführliche anfängliche Rückblick auf die Geschehnisse vor der Haupterzählung der Serie ist. Der beginnt mit dem Ausbruch eines tödlichen Virus, das weite Teile der Menschheit dahinrafft. Zeitgleich kommen nur noch sogenannte Hybride zur Welt, Mensch-Tier-Mischungen, von denen vermutet wird, dass sie mit dem Virus zusammenhängen und die auch nicht an ihm erkranken. Und die deshalb fortan zu Sündenböcken erklärt werden.
Zuhause im Nationalpark
Eines dieser Kinder ist Gus (Christian Convery, „Chaos auf der Feuerwache“), ein Mensch-Hirsch-Hybrid, dessen Vater – noch bevor das große Chaos ausbricht und die Gesellschaft implodiert – ihn in den Yellowstone Nationalpark bringt, einen Zaun zieht und den Jungen dort großzieht. Niemals dürfe er das Gelände verlassen, beteuert er dem Kind, und eigentlich geben die grüne Idylle, der kleine Fluss und das gemütlich eingerichtete Häuschen auch keinerlei Anlass, das zu tun. Doch es kommt, wie es kommen muss: Der Junge muss den Tod seines Vaters miterleben und begegnet wenig später dem Überlebenskünstler Jepperd (Nonso Anozie, „Game of Thrones“), der den Jungen vor zwei Plünderern rettet und sich doppelt überrascht zeigt: einerseits darüber, dass er hier draußen überhaupt einen Hybriden entdeckt hat. Und andererseits darüber, dass der Junge imstande ist zu sprechen.
Ein großer Cliffhanger
Da Gus' Heim nicht mehr sicher ist und er ohnehin seine Mutter finden will, brechen beide auf und begeben sich in eine Welt, in der an jeder Ecke Bedrohungen lauern – die für einen Hybriden allerdings noch gefährlicher ist, denn die Mensch-Tier-Wesen stehen hier draußen auf der Abschussliste der militanten „Last Men“, angeführt vom abgeklärten General Steven Abbot (Neil Sandilands). Der ist mit seinem massiven Rauschebart und seiner blutroten Sonnenbrille noch der deutlichste visuelle Verweis auf die Graphic-Novel-Reihe, die der Serie als Grundlage diente.
Ergänzt wird das Geschehen durch zwei Nebenhandlungen: Da ist einerseits der über Dr. Singh (Adeel Akhtar), der in einer der letzten beschaulichen US-Klischee-Nachbarschaften samt Einfamilienhäusern und Vorgärten lebt und sich an der Erforschung eines Gegenmittels versucht, dafür aber meterhohe moralische Hürden in Sachen Lebendversuche überwinden muss. Und da ist ein Erzählstrang rund um Aimee (Dania Ramírez), eine Frau, die ein Reservat für Hybridkinder leitet, sie dort großzieht und ihnen ein stabiles soziales Umfeld bildet. Erst in der finalen Folge werden diese drei parallelen Stränge gekonnt zusammengeführt, um schlussendlich im einzigen Cliffhanger der gesamten Staffel zu münden.
Deer outta Forest
Und der funktioniert – zumindest im Hinblick darauf, dass er Lust macht auf das, was da noch (hoffentlich) in Staffel zwei kommen mag: Die dramaturgische Umsetzung des Graphic Novel-Stoffs fürs Serienformat und die Inszenierung sind weitestgehend gelungen. Die „Fish outta Water“-, oder in diesem Fall eher die „Deer outta Forest“-Situation rund um Gus, der in eine Welt geworfen wird, über die er kaum etwas weiß und wenn, dann fast nur Falsches, ist packend umgesetzt. Über diese Perspektive lernen Protagonist und Publikum diese Welt und ihre Regeln gleichermaßen Stück für Stück kennen. Eine absolut faszinierende Welt, in der es zu Begegnungen mit unterschiedlichsten Figuren und Gruppierungen kommt, etwa mit einer gutherzigen Familie, die seit Jahren in einer abgeschotteten Hütte lebt, oder einer Gruppe von jugendlichen Öko-Kriegern, die sich dem Schutz der Hybride verschrieben, aber zum Teil radikalisiert haben. Es sind Begegnungen voller Konflikte, bei denen aber auch Freundschaften entstehen, kurz- wie langfristige. Vor allem jedoch ist dies eine Welt der satten Wiesen und grünen Wälder, der frei herumstreunenden Tiere, in der der Mensch nur noch als kleiner Störfaktor eine Rolle spielt.
Mit seiner farb- und lebensfrohen Inszenierung, seinen naturbelassenen Schauplätzen – Drehort war Neuseeland – wendet sich „Sweet Tooth“ bewusst von der Ästhetik der Vorlage ab, schafft sich damit seine eigene Serien-Identität und bildet ein visuelles Gegengewicht zur sonstigen Postapokalypse-Tristesse. Auch die Figurenzeichnung verdient viel Lob; „Sweet Tooth“ mengt seinen zentralen Charakteren stets eine große Portion Ambivalenz bei: Der erste Eindruck täuscht immer, unter der Oberfläche haben alle mit Konflikten zwischen ihren Idealen und den teils unmenschlichen Taten, die zum Überleben notwendig sind, zu kämpfen. Das gelingt mit simplen narrativen Pinselstrichen und Rückblenden (wie gesagt: jede Geschichte beginnt am Anfang!), macht die Figuren greifbar und sympathisch. Mit einer bedauerlichen Ausnahme: der Hauptfigur selbst, deren grundgute Naivität zwar ihr definierendes Charaktermerkmal ist und die sich damit vom übrigen Cast abgrenzt; die sich durch genau diese Naivität aber auch immer wieder selbstverschuldet in Gefahr bringt und damit mitunter in die Nervensäge-Falle vieler Film- und Serienkinder tappt.
Viel Gewalt, aber nur angedeutet
„Sweet Tooth“ verweilt - auch das eine Qualität dieser Serie – niemals lange an einem Ort; der Hauptplot ist stets in Bewegung, in jeder Episode werden weitere Stationen bewältigt und neue Facetten der Welt offengelegt. Es ist eine klassische Abenteuerreise ins Unbekannte, und das in einer Welt, die deutlich macht, wie wichtige soziale Bündnisse sind, egal ob sie nun Familie, Freunde oder Nachbarn heißen. Die aber auch zeigt, wie labil diese Bündnisse sind, wenn es zu Krisen oder Regelverstößen kommt, und zu welch schrecklichen Taten die Menschen dann fähig sind.
Gewalt ist in dieser Gesellschaft omnipräsent. Auch wenn die Serie das nicht in plastischer Grausamkeit zeigt – Schüsse und tödliche Messerhiebe etwa werden zwar angedeutet, aber nie explizit vorgeführt – ist die Serie mit diesem Thema trotz ihres kindlichen Protagonisten nicht unbedingt auch Stoff für (jüngere) Kinder; „Sweet Tooth“ peilt eher die älteren Teens und die „Young Adult“-Zielgruppe mit einem Hang zu fantastischen Geschichten an, an die sich auch Netflix-Erfolgsstoffe wie „Stranger Things“ oder „Chilling Adventures of Sabrina“ richten. Deren Publikum dürfte mit „Sweet Tooth“ einmal mehr eine sehr gute Zeit haben.