Die Revolution des ein wenig in die Jahre gekommenen Superhelden-Blockbusters kam 2018 nicht durch einen Realfilm. Frischer, spielerischer, wagemutiger – und dabei trotzdem absolut den Genrevorgaben treu – war ausgerechnet die mit Comic-Stilmitteln angereicherte CGI-Animation „Spider-Man: A New Universe‟. Die Produzenten Phil Lord und Christopher Miller, die schon als Regisseure von „The Lego Movie‟ für Aufsehen gesorgt hatten, standen hinter diesem „Oscar“-gekrönten Film. Nun schmückt sich die neueste Sony-Animation mit ihrem Namen. Und auch „Die Mitchells gegen die Maschinen‟ ist ein hochgradig unterhaltsamer, animationstechnisch wilder, experimenteller und verspielter Film geworden, der stilistisch wegweisend sein könnte.
Familienkonflikte und Maschinen-Apokalypse
Im Mittelpunkt steht eine vierköpfige Familie, deren Mitglieder sich voneinander entfremdet haben. Am deutlichsten kommt dieser Konflikt in der Beziehung zwischen Katie und ihrem Vater Rick zu tragen. Früher einmal waren Vater und Tochter ein Herz und eine Seele, haben zu schrecklichen Popsongs gemeinsam getanzt und gesungen und all die schönen kleinen Verrücktheiten gemacht, in denen sich die große Liebe zwischen Eltern und Kindern zeigt. Nun ist aus Katie eine Jugendliche geworden – und im Laufe der Jahre sind die Unterschiede zwischen Katie und Rick immer deutlicher geworden. Rick ist der Naturbursche, der für die Familie seinen Traum vom Leben im naturnahen Holzhaus aufgegeben hat und für den YouTube ein Fremdwort ist, Katie die aufstrebende Filmemacherin, die schon seit Kindertagen einen Film nach dem anderen dreht und nun sogar an einer Filmschule angenommen wurde. Katies Talent bleibt dem Vater fremd. Was für Katie umso schwerer wiegt, weil der Tag des Umzugs zum Studium naht.
In einem letzten verzweifelten Versuch, die Einheit der Familie zu retten, storniert der Vater kurzerhand Katies Flugticket nach Kalifornien und beschließt, dass die Familie sie höchstpersönlich mit dem Auto zur Uni bringt. Ein langer Roadtrip, der die Mitchells wieder zusammenbringen soll. Womit aber niemand gerechnet hat, ist der Aufstand der Maschinen, der zur gleichen Zeit beginnt. Bald sind es nur noch die Mitchells, die den künstlichen Intelligenzen die Stirn bieten und die Menschheit retten können.
Ein feines Gespür fürs Zwischenmenschliche
Es steckt eine ganze Menge Herz in diesem Film, der zunehmend epischer und abgedrehter wird und doch nie den Fokus auf die Familie und deren kompliziertes Gefüge verliert. Immer wieder findet „Die Mitchells gegen die Maschinen‟ schöne Szenen, um über Enttäuschungen und Verrat zu erzählen, über kränkende Sätze, die gar nicht so gemeint waren, über die Einsicht, jemandem nicht die Sicherheit und den Rückhalt gegeben zu haben, den er eigentlich gebraucht hätte, über kleine Gesten und Rituale, durch die sich eine tiefe Verbundenheit auch ohne große Worte zeigt. All dies sind genau die Bestandteile, die auch die bedeutenden Pixar-Filme immer weit über das Mittelmaß gehoben und zu etwas Besonderem gemacht haben.
Eine Filmsprache, um Social Media als Teil des Alltags zu visualisieren
„Die Mitchells gegen die Maschinen‟ variiert diese Versatzstücke jedoch, entwickelt schon im Design der Figuren einen eigenen, ungewöhnlich flächigen Look und setzt dabei konsequent auf Übertreibungen und Überhöhungen. Was in anderen Animationsfilmen oft nervtötend ist, passt sich hier stimmig in die Geschichte ein. Immer wieder poppen kleine 2D-Animationen auf, die der Comic-Ästhetik entlehnt sind, und legen sich über die plastischen 3D-Bilder. Gezeichnete Herzchen, die auch mal zerbersten dürfen, kleine Speedlines, bunte Regenbogen hier und dort – weil Katie die Welt so sieht, darf der Film sie auch so zeigen. Überhaupt befinden wir uns hier mitten in einer Welt, in der die Codes, Memes und Gepflogenheit der Social Media längst kein Paralleluniversum, sondern integraler Bestandteil des Alltags sind. Das Lachen des Papas erinnert Katie an ein viral gegangenes Video eines Affen? Dann wird dieses Realbild eben auch in den Animationsfilm eingebunden. So schreitet der Film voran, mischt fröhlich Stile und kreiert daraus ein Mash-up, das viel zum Schauen bietet, sich vor Klamauk nicht scheut, manchmal schlicht überwältigt, durch die Vielzahl der Anspielungen aber auch sehr witzig ist.
Das Worst-Case-Szenario: kein WLAN!
Zu dieser zitatenreichen Erzählebene gehört auch der Plot rund um den an Steve Jobs erinnernden Tech-Guru Mark, der mit seinen gefeierten Produktpräsentationen zu einem Helden geworden ist. Sein Konzern ist eine Mischung aus Google, Facebook, Apple und Amazon, und der Film lässt es sich nicht nehmen, die Technikhörigkeit der Konsumenten ordentlich aufs Korn zu nehmen. Damit hält er dem Publikum humorvoll den Spiegel vor. Als eine der verheerendsten Waffen erweist es sich, das WLAN abzuschalten. Und weil auch Künstliche Intelligenzen mittlerweile Gefühle haben, können sie auch aus enttäuschter Liebe und Demütigungen durch zu viele „Pinch & Zooms“ zu Racheengeln werden.
Wenngleich etwas zu lang geraten, gelingt dem Film stets der Wechsel zwischen hemmungsloser, absurder Übertreibung, zu Herzen gehenden Familienkonflikten und ausufernden Actionszenen. Die Basis für die Geschichte wird unterdessen im Abspann sichtbar, wenn neben den Namen der Filmemacher auch private Fotos zu sehen sind, die sie im Kreise ihrer Familien zeigen. Man kann diese Bilder auch als Kampfansage gegen all die geschönten dauerglücklichen Instagram-Familien verstehen. Familie ist auch Chaos und Konflikt. Und im besten Fall die Erkenntnis, trotzdem zusammenzugehören.