Ein Polizei-Film

Dokumentarfilm | Mexiko 2021 | 107 Minuten

Regie: Alonso Ruizpalacios

Ein Polizist und eine Polizistin aus Mexiko-Stadt sind ein Paar. Beide stammen aus einfachen indigenen Verhältnissen und haben diesen Job wegen familiärer Traditionen und aus Idealismus gewählt, aber auch, um ein festes Einkommen zu haben. Doch dann geraten sie mit einflussreichen Menschen in Konflikt und verlieren alle Illusionen. Ein semidokumentarischer Einblick in Alltag und Strukturen der Polizei von Mexiko-Stadt, bei dem Schauspieler in die Rollen der Protagonisten schlüpfen, sich ausbilden lassen und mehrere Monate mit auf den Straßen unterwegs sind. Der komplexe Film vermittelt darüber hinaus auch viel über die Widersprüche der mexikanischen Gesellschaft. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
UNA PELÍCULA DE POLICÍAS
Produktionsland
Mexiko
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
No Ficción
Regie
Alonso Ruizpalacios
Buch
Alonso Ruizpalacios · David Gaitán
Kamera
Emiliano Villanueva
Schnitt
Yibran Asuad
Darsteller
Mónica Del Carmen (Teresa) · Raúl Briones (Montoya)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Semidokumentarischer Einblick in den Polizeiapparat von Mexiko-Stadt, in dem ein Schauspieler und eine Schauspielerin in die Rollen von Streifenpolizisten schlüpfen und mehrere Monate lang mit auf den Straßen unterwegs sind.

Diskussion

Die schwangere Frau presst und schreit, presst und schreit, bis endlich das verschmierte Köpfchen und die Nachgeburt aus ihr herauskommen. So hatte sich Teresa ihren nächtlichen Streifendienst zur Weihnachtszeit in Mexiko-Stadt nicht vorgestellt. In einer armseligen Wohnung wird sie zur Geburtshelferin, weil der Notarzt nicht kommt. Sie ist 34 Jahre alt und schon 17 Jahre im Polizeidienst. Ihr Vater war Polizist, einer von der alten Schule, der nichts davon hielt, dass seine Tochter Polizistin werden wollte, denn Frauen sollen heiraten und Kinder bekommen. Doch Teresa setzte sich gegen alle Widerstände und sexistischen Vorurteile durch.

Dicke Pesos-Bündel wandern über den Tisch

Der harte Polizeialltag in der mexikanischen Hauptstadt trägt manchmal fast surrealistische Züge, wenn es nur eine völlig verdreckte Toilette gibt oder die Sekretärin der Verwaltung – und auch sonst fast jeder – für die kleinste Erleichterung des täglichen Arbeitslebens bestochen werden muss. Für eine bessere Schicht, oder einen vorgezogenen Dienstschluss wandern mehr oder weniger dicke Peso-Bündel über den Tisch. Dabei gerät das Leben der Polizisten bei den oft schlecht vorbereiteten Einsätzen schnell in Gefahr. Wenn der Rettungswagen nach einer Schießerei nicht kommt, müssen sie den schwerverletzten Kollegen eben im Dienstauto zum Krankenhaus fahren, auch wenn das streng verboten ist.

Der Bruder von Montoya war auch bei der Polizei. Dass er selbst auch dort landete, obwohl er in einem verarmten Innenstadtbezirk mit hoher Kriminalität aufwuchs, verdankt er seiner Mutter, die ihn davor bewahrte, ein Drogenhändler zu werden. Teresa und Montoya sind ein Paar. Sie sitzen in ihrem Wohnzimmer und erinnern sich an ihre ersten Begegnungen: „Ich fand ihn arrogant, einen Clown, der seine Arbeit nicht macht“, sagt Teresa. Doch dann verliebten sie sich ineinander. „Wir bestachen unsere Vorgesetzten, dass sie uns gemeinsam auf Streife schickten.“ Von Kollegen und im Dienstplan wurden sie nur noch „La patrulla de amor“, die Liebespatrouille, genannt.

Der dokumentarische Diskurs bricht auf

In drei Kapiteln entfaltet der Film diese Geschichte einer Polizistin und eines Polizisten aus der unteren Mittelschicht, die wie viele mexikanische Streifenpolizisten indigener Herkunft sind. Doch dann bricht der dokumentarische Diskurs plötzlich ab, das Wohnzimmer entpuppt sich als Filmset. Teresa und Montoya sind hier in Wirklichkeit von den Schauspielern Mónica del Carmen und Raúl Briones dargestellt worden, die ab März 2019 über hundert Tage an der Polizeiakademie eingeschrieben waren und auf Patrouillen mitgefahren sind. Die Ausbildung umfasste Schießübungen, Verhaftungen und Mutproben, etwa im Dunkeln vom Zehn-Meter-Brett ins eiskalte Schwimmbad springen.

Raúl Briones’ Haltung gegenüber den Polizisten ist distanziert: „Mir machen die Polizisten Angst. Sie bilden eine seltsame Grenze zwischen den Machteliten und der Gesellschaft.“ Mónica del Carmen ist offener, aber man merkt, dass beide aus einer wohlhabenderen sozialen Schicht stammen; Schauspieler gehören einer aufgeklärten bürgerlichen Sphäre an, Polizisten eher nicht.

Die Geschichte der „Liebespatrouille“ aber geht weiter. Teresa gerät zwischen die Mühlsteine von Macht und Korruption. Als sie wiederholt falschparkenden Motorrädern vor einer Kneipe Strafzettel verpassen will, sticht sie in ein Wespennest. Der Wirt ist der Strohmann eines Parlamentsabgeordneten, der hohe Polizeioffiziere bestochen hat. Teresa fällt in Ungnade, wird schikaniert und strafversetzt; weder ihre Kollegen noch die Vorgesetzten stehen ihr bei oder bieten Unterstützung an.

Raffinierter Einblick in den Polizeiapparat

Die Polizei ist in Mexiko sehr umstritten, weil sie in hohem Maße in jene kriminellen Machenschaften verstrickt ist, die sie offiziell bekämpfen soll. Der Streamingdienst Netflix gab deshalb eine Dokumentation über Korruption, Gewalt und Straflosigkeit innerhalb der mexikanischen Polizei in Auftrag. Doch unter der Regie von Alonso Ruizpalacios entstand daraus etwas ganz anderes. Zwar handelt „Una película de policías“ durchaus von Macht und Ohnmacht, Korruption, Kriminalität und Elend, doch der Film schildert am Beispiel einer Streifenpolizistin und eines Streifenpolizisten exemplarisch, wie diese immer auf alles vorbereitet sind, weil sie auf nichts vorbereitet wurden. Ruizpalacios demontiert den traditionellen dokumentarischen Duktus einer authentischen Fallgeschichte, indem er inszenierte Actionszenen mit der Off-Stimme der Protagonisten unterlegt und den authentischen Figuren ein Schauspielerduo als Identifikationsfiguren zur Seite stellte, die quasi stellvertretend für die Zuschauenden in den Polizeidienst eindringen.

„Una película de policías“ ist ein komplexer Film voller sich widersprechender und ergänzender Erzähl- und Erkenntnisebenen. Für die filmische Montage sehr unterschiedlicher Materialien wurde der Editor Yibrán Asuad bei der „Berlinale“ 2021 mit dem „Silbernen Bären“ für eine herausragende filmische Einzelleistung ausgezeichnet. Der intelligent erzählte Film gerät dabei aber nie zum strukturellen Vexierspiel, sondern wahrt die emotionale Authentizität seiner Protagonisten und erzählt durch den Einblick in den Polizeiapparat viel über die Widersprüche der mexikanischen Gesellschaft.

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