Jugend (2019)
Coming-of-Age-Film | Frankreich 2019 | 129 Minuten
Regie: Sébastien Lifshitz
Filmdaten
- Originaltitel
- ADOLESCENTES
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Agat Films & Cie/Arte France Cinéma/Chaocorp
- Regie
- Sébastien Lifshitz
- Buch
- Sébastien Lifshitz
- Kamera
- Paul Guilhaume · Antoine Parouty
- Musik
- Tindersticks
- Schnitt
- Tina Baz
- Länge
- 129 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Coming-of-Age-Film | Dokumentarfilm
Eine Langzeitdokumentation über zwei befreundete junge Französinnen von ihrem 13. bis zum 18. Lebensjahr.
Eine Mutter lernt mit ihrer 13-jährigen Tochter am Küchentisch. Die Mutter ist ungehalten, weil die Tochter Fehler macht, die Tochter ist genervt von den ständigen Ermahnungen. Einen Lernerfolg gibt es nicht, dafür einen ordentlichen Streit. Die Szene könnte sich im Zuge von Corona-Lockdown und Homeschooling in vielen Familien abspielen, stammt in dem Dokumentarfilm von Sébastien Lifshitz aber schon aus dem Jahr 2013. In diesem Jahr hat Lifshitz begonnen, die beiden Freundinnen Emma und Anaïs zu begleiten.
Fünf Jahre zwischen Kindheit und Erwachsensein
Fünf Jahre bildet seine Langzeitdokumentation „Adolescentes‟ letztlich ab, fünf Jahre, im Laufe derer aus den jungen Teenagern aus Frankreich, die gerade ihre Kindheit hinter sich gelassen haben, junge Erwachsene werden, die ihre ersten Schritte ohne Eltern gehen. Lifshitz lässt sich Zeit und beobachtet ruhig und unaufgeregt. Er blendet das Spektakuläre aus und konzentriert sich auf viele Gespräche zwischen den beiden Freundinnen, im Freundeskreis und zwischen den Teenagerinnen und ihren Eltern.
Bemerkenswert ist, dass die Väter kaum eine Rolle spielen, mit den Müttern aber umso heftigere Konflikte ausgetragen werden. Es sind jene Momente, die zunächst nebensächlich erscheinen, am Ende aber doch all die Essenz des Erwachsenwerdens spiegeln: die Bedeutung von Freundschaft und Liebe, der Wunsch nach Unabhängigkeit, Alltags- und Zukunftsängste, die Entwicklung von Wertmaßstäben, die Auflehnung gegen Vorschriften.
Es muss ein immenes Vertrauen zwischen den Protagonistinnen und dem Filmteam geherrscht haben. Ansonsten wären eine Vielzahl der Aufnahmen nicht so unverstellt und ehrlich. Ganz nah ist die Kamera bei den Protagonistinnen, ohne diese zu stören oder gar voyeuristisch zu wirken. Lifshitz kommentiert nicht und führt keine Interviews, sondern bleibt Beobachter. Seine Kamera ist unmittelbar dabei, wenn Emma und Anaïs sich offen über Jungen unterhalten oder über das perfekte Alter für das erste Mal, wenn sie krank sind vor Liebeskummer oder sich immer wieder mit den Eltern streiten, deren Erwartungen sie nie gerecht zu werden scheinen.
Zeitgeschichte & persönliche Biografien
Insgesamt macht der Film immer wieder deutlich, wie belastend die Autoritäten für die Jugendlichen oft sind. In den Ansprachen der Lehrer geht es stets um Leistung, Fleiß und Disziplin, zu Hause ist es kaum anders. Vor allem Emma, die aus einer bildungsbürgerlichen Familie kommt, wird kaum Freiraum gelassen, ihren eigenen Weg zu gehen. Für sie ist es ein großer Kraftakt, ihren Willen gegen den ihrer Mutter durchzusetzen.
Lifshitz verzichtet auf Zeiteinblendungen. Die Jahre werden fließend zu einer großen Entwicklungsgeschichte verdichtet. Eine Orientierung bieten nur politische Ereignisse wie die Anschläge auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion 2015, die Pariser Terroranschläge vom 13. November im selben Jahr sowie die Wahl von Emmanuel Macron zum Präsidenten 2017. Wenn „Adolescentes‟ im Anschluss an diese Ereignisse auch die Reaktionen der Jugendlichen einfängt, verknüpft der Film Zeitgeschichte mit persönlichen Biografien. Es ist spannend, wie der Film das Aufwachsen der beiden Protagonistinnen so in einen konkreten geschichtlichen Kontext stellt und erahnen lässt, was in der Welt um sie herum geschieht.
Man merkt kaum, wie die Zeit vergeht
Manchmal würde man gerne mehr darüber erfahren, inwieweit diese politischen Ereignisse Emma und Anaïs tatsächlich beeinflusst haben. Aber die Reaktionen bleiben nur Momentaufnahmen. Emma ist eher unpolitisch, Anaïs zeigt Sympathien für Marine Le Pen – eine Bedeutung hat dies für den Film aber nicht. Vielleicht ist aber auch dies nur ehrlich. Während der Terrorismus in Frankreich wütet und der Rechtsextremismus erstarkt, stehen für die Teenagerinnen ihre ganz normalen Alltagsherausforderungen im Mittelpunkt. Relativierend ist das nicht.
Am Ende blicken Emma und Anaïs selbst zurück auf die vergangenen Jahre, staunen darüber, wie sich 13-Jährige mittlerweile verhalten und wie anders es noch bei ihnen war. Mit einer irgendwie einfachen, aber schönen Erkenntnis verabschiedet sich der Film von den beiden Protagonistinnen: Man merkt kaum, wie die Zeit vergeht. Irgendwann ist die Jugend vorbei – und die Zukunft ist da.