Irgendetwas stimmt mit diesem Mann nicht, das sieht man sofort. Viel zu angestrengt ist er über das Lenkrad seines Autos gebeugt, die Augen weit aufgerissen, die struppigen Haare ungeordnet auf die Stirn verteilt. Es geht vorbei am Hamburger Hafen, durch den Elbtunnel, dessen Ende viel zu hell aufleuchtet. Ein Güterzug rattert viel zu laut vorbei. Später setzt der Mann mit der Fähre über die Elbe – bis sich die Anspannung entlädt und sich der Autofahrer am Straßenrand übergibt, während ihm ein Tramper entgeistert dabei zuschaut. Erst dann kommt Sörensen, dessen Vornamen man nie erfährt, endlich in Katenbüll an (der Ort ist fiktiv; gedreht wurde im niedersächsischen Varel, das am Jadebusen liegt). Dort tritt er eine Stelle als Kriminalhauptkommissar an.
Hamburg war Sörensen zu groß und stressig geworden. Zu viel Mord und Totschlag. Denn Sörensen leidet an einer Angststörung. Jetzt will er ein ruhiges und beschauliches Leben führen. Doch kaum hat er seine neuen Kollegen Jennifer Holstenbeck (Katrin Wichmann) und den Polizeischüler Malte Schuster (Leo Meier) kennengelernt, gibt es den ersten Toten. Bürgermeister Hinrichs sitzt erschossen in seinem Pferdestall. Seine Ehefrau Hilda (Anne Ratte-Polle) ist keine große Hilfe – sie trinkt zu viel. Ein Foto, auf dem Hinrichs mit zwei anderen Männern zu sehen ist, führt Sörensen zunächst zu Jens Schäffler (Peter Kurth), der eine Fleischfabrik namens „Fleischeslust“ betreibt. In seiner großspurigen Art lässt er Sörensens Fragen an sich abprallen. Frieder Marek (Matthias Brandt) hingegen ist ein Wrack. Früher einmal war er Kurdirektor des Städtchens. Dann wurde er geschasst. Eine Schmach, die er nie verwunden hat. Was verschweigen die beiden? Plötzlich verschwindet der Nachbarsjunge, der mit Sörensen so dringend hatte reden wollen.
Komik und Gewalt, Skurrilität und Düsternis
Der Schauspieler Bjarne Mädel (Jahrgang 1968) ist Fernsehzuschauern vor allem als Heiko „Schotty“ Schotte aus der Serie „Der Tatortreiniger“ (2011-2018) bekannt. Im Kino war er zuletzt in „24 Wochen“ (2016), „Es war einmal Indianerland“ (2017) oder „25 km/h“ (2018) zu sehen. Jetzt führte er zum ersten Mal Regie und übernahm in „Sörensen hat Angst“ auch die Titelrolle.
Es ist schon erstaunlich, wie es Mädel und dem Autor Sven Stricker, der seinen Roman zum Drehbuch adaptierte, gelingt, Komik und Gewalt, Witz und psychische Erkrankung, Skurrilität und Düsternis geschickt auszutarieren. Mädel ist ein kaputter Kommissar, dessen Angststörung im Gegensatz zu seinen beruflichen Anforderungen steht. Immer wieder wird er von Panikattacken gepackt. Seine Verwirrtheit, seine Langsamkeit, seine geistige Abwesenheit führen gelegentlich zu dramaturgischen Pausen, die seine Gesprächspartner veranlassen, ihn gehörig zu unterschätzen. Doch mit lakonischen, auf den Punkt geschriebenen Dialogen gelingt es ihm stets, Situationen für sich zu entscheiden. Köstlich seine viel zu komplizierte Kaffee-Bestellung in Schäfflers Büro, auch die schlechte Aussicht auf ein vegetarisches Mahl in einer gutbürgerlichen Kneipe endet mit einer gelungenen Pointe, die am Schluss noch einmal aufgenommen wird.
Bjarne Mädel findet dabei sowohl optisch als auch akustisch überzeugende Entsprechungen für die Erkrankung des Titelhelden. So scheinen Schäfflers klinisch weiße Büroflure, die eher an eine Psychiatrie als an eine Fleischfabrik erinnern, immer enger zu werden, während das Radio der Witwe des Bürgermeisters immer lauter zu werden droht. Ausmachen will sie es nicht: „Ne, das Radio bleibt an; das Radio ist immer an.“ Schon allein diese Unfreundlichkeit gegenüber einer Respektsperson hat etwas Skurril-Befremdliches. Einmal glaubt Sörensen an einem Deich, das Rauschen des Meeres zu hören. Doch kaum hat er ihn erklommen, schaut er auf eine öde Ebene.
Grausames hinter bürgerlichen Fassaden
Mädel nimmt die Angststörung ernst, verliert darüber aber nicht die Krimihandlung aus den Augen, die immer beklemmender, auch gesellschaftskritischer wird. Wie in einem Krimi von Claude Chabrol geht es hier um bürgerliche Fassaden, hinter denen sich Grausames abspielt, um den Horror in der Provinz, bei dem bislang zu viele weggeschaut haben.
Zum Gelingen des Films tragen auch die Nebendarsteller bei. Katrin Wichmann, Leo Meier, Anne Ratte-Polle, vor allem aber Peter Kurth und Matthias Brandt füllen ihre Figuren mit wenigen Sätzen und Gesten aus. Das Bild, wie Matthias Brandt vor seiner Garage in Unterhosen seine nackten Beine im strömenden Regen badet, vergisst man nicht so schnell. Und so ganz nebenbei wird auch das Thema Heimat verhandelt, das Gefühl, einen Platz im Leben gefunden zu haben. „Irgendwo muss man ja sein“, sagt Sörensen einmal zu seiner Kollegin. Hamburg ist plötzlich sehr weit weg.