Johanna - Eine (un)typische Heldin

Coming-of-Age-Film | Großbritannien 2020 | 102 Minuten

Regie: Coky Giedroyc

Der Werdegang einer Engländerin aus ärmlichen Verhältnissen, die es mit Beharrlichkeit, Energie und Talent schafft, sich als Musikkritikerin einen Namen zu machen. Doch als sie erkennt, dass sie trotz ihres Erfolges für ihre zynischen Kollegen immer das Mädchen aus der Unterschicht bleiben wird, wirft sie alles hin und erfindet sich neu. Ein Coming-of-Age-Film nach einem semi-autobiografischen Roman, der in hohem Maße von seiner Hauptdarstellerin lebt. Sie bildet das charismatische Zentrum einer ebenso witzigen wie fantasievollen feministischen Komödie, die mit bewussten Überzeichnungen und märchenhaften Elementen für sich einnimmt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HOW TO BUILD A GIRL
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Film4/Lionsgate UK/Monumental Pict./Tango Ent.
Regie
Coky Giedroyc
Buch
Caitlin Moran
Kamera
Hubert Taczanowski
Musik
Oli Julian
Schnitt
Gary Dollner · Gareth C. Scales
Darsteller
Beanie Feldstein (Johanna Morrigan) · Dónal Finn (Karl Boden) · Paddy Considine (Pat Morrigan) · Laurie Kynaston (Krissi Morrigan) · Stellan Powell (Lupin Morrigan)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film | Komödie
Externe Links
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Sprühende feministische Komödie um ein übergewichtiges Mädchen, das als zynische Nachwuchskritikerin glänzt, sich dann aber besinnt und neu erfindet.

Diskussion

Ins Deutsche übersetzte Verleihtitel sind selten ein Grund zur Freude. Oft spiegelt sich darin Fantasielosigkeit oder Marketingsprech. Bei dem unsäglich biederen Titel „Johanna – eine (un-)typische Heldin“ trifft das in beiden Fällen zu. Verdient hat dies der Film, der im Original schillernd-schön „How to build a girl“ heißt, gewiss nicht. Ganz im Gegenteil. Denn die feministische Komödie nach dem semi-autobiografischen Roman der britischen Journalistin Caitlin Moran ist ganz und gar zauberhaft geraten. Es ist ein Feuerwerk an Witz, Fantasie und Selbstermächtigung – in jeder einzelnen Minute.

Zwiesprache mit Marx, Cleopatra & Co.

Johanna Morrigan alias Caitlin Moran, fulminant gespielt von Beanie Feldstein, sprüht nur so vor Originalität, Intelligenz und Lust an Sprache und Ausdruck. Das bringt ihr in ihrem Alltag als übergewichtige Tochter einer ärmlichen Familie im britischen Wolverhampton der 1990er-Jahre zunächst wenig. Ihre ausschweifenden Schulaufsätze und die echte Begeisterung für Bücher und Literatur zementieren ihr „uncooles“ Image. Ihre Gedanken, Fragen, Sehnsüchte und Nöte muss sie so primär mit der Zimmerwand teilen, auf der sie all ihre Heldinnen und Helden in Form von Fotos und Zeitungsausschnitten versammelt hat: Die Bronte-Schwestern hängen dort, Elizabeth Taylor, Karl Marx, Cleopatra, Sigmund Freud, Maria von Trapp aus „Sound of Music“ oder Jo March aus „Little Women“. Diese antworten auch – freilich mit teils etwas antiquierten Tipps. Die animierte Legenden-Galerie ist ein wunderbares filmisches Element, um Johannas Geist und Wesen in Bilder zu gießen.

Eine Zeitungsannonce ändert alles. Ein Musikmagazin sucht Nachwuchsautoren. Johanna bewirbt sich und bekommt eine Chance, denn ihre ungewöhnlichen, subjektiven Konzertkritiken gefallen. Die 16-Jährige verpasst sich einen Imagewandel und wird zu „Dolly Wilde“, einer Diva mit knallroten Locken, knappen Hotpants und Zylinder. Als ihr in der Redaktion aber ein verliebter Fan-Text um die Ohren geschlagen wird, den sie über den (fiktiven) Rockstar John Kite geschrieben hat, beschließt Johanna, „auf die dunkle Seite“ zu wechseln. Fortan pflegt sie ihr Image als eiskalte, wortakrobatische, pointensichere Verrisse-Schreiberin. Tori Amos habe „die Haare und auch die Zukunft eines Mammuts“, und Paul Simon sehe aus „wie ein Zeh, auf den jemand ein Gesicht gemalt hat“: Das ist Dolly Wilde – unfassbar begnadet und unfassbar fies. Schließlich wird sie sogar ihren Seelenverwandten John Kite verraten, indem sie dessen Geheimnisse an die Öffentlichkeit zerrt.

Mitspielen im Club der zynischen Kritiker

Zeitgleich dazu ereilt Johanna aber die bittere Erkenntnis, dass sie trotz alldem niemals wirklich zum „coolen“ Jungs-Club der zynischen Musikkritiker gehören wird, in deren Applaus sie sich so suhlt. In einem großartigen Auftritt haut sie den Kollegen deren Arroganz und Borniertheit um die Ohren. Sie wirft Dolly Wilde auf den Müllhaufen der Geschichte und versucht sich erfolglos umzubringen. Schließlich geht sie zurück auf Los und baut sich Stück für Stück neu auf. Dazu gehört, eine lange Liste an Bands abzutelefonieren, um sich zu entschuldigen. Den schwersten Gang hebt sie sich bis zuletzt auf: die Abbitte bei John Kite. Am Ende steht eine neue Kolumne, veröffentlicht unter dem Namen Johanna Morrigan, mit dem Titel: „How to build a girl“.

Es ist schwer vorstellbar, wer außer Beanie Feldstein dieses rasend witzige, intelligente und energiegeladene Wesen hätte spielen können. Die US-amerikanische Schauspielerin verkörpert das Mädchen aus der britischen Working Class mit vollem (Körper-)Einsatz, umwerfendem Charisma und einer Stimme, die im Original erstaunlich überzeugend nach dem „Brummie accent“ der Gegend von Birmingham klingt. Egal, was sie tut (und schreibt), diese Johanna Morrigan muss man einfach lieben.

Rasend witzig: Beanie Feldstein

Ebenso liebevoll, amüsant und zugleich sensibel zeichnen Drehbuchautorin Caitlin Moran und Regisseurin Coky Giedroyc Johannas Umfeld: ihren sympathischen Loser-Vater, ihre depressive Mutter, ihren schwulen Bruder. Sogar die selbstverliebten Musikkritiker werden mit detailreicher Zuneigung skizziert. Sie alle sind Teil eines bestechenden Tableaus, das weit entfernt ist vom für seine Sozialkritik bekannten britischen Kino eines Ken Loach. Der Coming-of-Age-Film wartet mit bewussten Überzeichnungen, fantastischen und märchenhaften Elementen auf – und verleugnet doch ganz und gar nicht die Realität, aus der Johanna kommt. Es ist eine Realität, die ärmlich und hart ist, in der es aber auch Loyalität geben kann, Beharrlichkeit und Talent – sowie günstige Umstände, die es dann auch noch braucht für den Weg raus aus dem prekären Leben. Caitlin Moran hat das geschafft, zu ihrem und unserem Glück.

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