Auf Godot ist Verlass. Zumindest darauf, dass er niemals kommt. Unzählige Male, seitdem das Theaterstück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett 1953 Premiere feierte, haben die Vagabunden Vladimir und Estragon im Niemandsland vergeblich dieses Phantom herbeigesehnt und währenddessen zum Vergnügen des Publikums die Zeit totgeschlagen. Doch stets erhalten sie nur eine neue Nachricht, dass Godot an diesem Tag nicht mehr kommt und sie ihr drückendes Dasein weiter verlängern müssen. Womit sich auch das Paradox dieses sogenannten „absurden Theaters“ offenbart, denn inmitten der Absurdität des Lebens, die das Stück an sich so pointiert vor Augen führt, liegt in Godots Fernbleiben doch eine durchaus beruhigende Konstante.
Auch das macht die Attraktivität von „Warten auf Godot“ aus, sogar für einen Mann wie den Schauspieler Etienne, dessen Leben seine eigene Form von Absurdität kennt. Sein Daseinszweck ist das Spielen. Doch zu Beginn der Komödie „Ein Triumph“ von Emmanuel Courcol hat Etienne bereits drei Jahre nicht mehr auf einer Bühne gestanden. Aus Zeiten, in denen es besser lief, sind ihm zwar noch Kontakte zu erfolgreicheren Kollegen geblieben, doch auch bei denen ist kaum etwas zu holen. Er wird lediglich für Aushilfsarbeiten empfohlen, etwa eine Vertretung beim Theaterkurs in einem Gefängnis.
Für große Ego-Shows fehlt es an Begabung
Der erste Kontakt in der Haftanstalt ist wenig ermutigend. Die paar Insassen, die überhaupt auftauchen, sind undiszipliniert und überwiegend unmotiviert fürs klassische Theaterspiel oder gar fürs Auswendiglernen der Fabeln von Jean de la Fontaine. Ihnen steht der Sinn eher nach großen Ego-Shows; doch für ein Stand-up-Programm fehlt es ihnen ebenfalls an Begabung.
So scheint der Kurs für alle Beteiligten auf verschwendete Zeit hinauszulaufen, als Etienne einen Geistesblitz hat. Was könnte ein idealerer Text für die Kursteilnehmer sein als „Warten auf Godot“, wo diese doch das fruchtlose Warten aus eigener Erfahrung zur Genüge kennen?
Mit seiner Begeisterung setzt Etienne das Projekt bei den Verantwortlichen durch, auch wenn ihm allenthalben Skepsis entgegenschlägt, nicht zuletzt von seinen Darstellern in spe. Denn auch wenn ihnen ein Szenario über die Absurdität des Lebens naheliegt, sind sie deswegen noch lange nicht bereit, sich auf etwas womöglich Sinnfreies einzulassen.
Bei unwilligen oder zumindest gleichgültigen Menschen verborgene künstlerische Talente zu wecken, ist ein beliebter erzählerischer Kniff im Kino. Mitunter entwickeln sich solche Szenarien mit recht viel Optimismus, wenn Gruppen wie der Provinzchor in „Wie im Himmel“ in vergleichsweise kurzer Zeit zu Weltniveau aufsteigen. Im Fall von „Ein Triumph“ steht solchen Erfolgsgeschichten aber von Anfang an eine bodenständige Inszenierung entgegen. Ihr kommt auch die spezielle Gabe des Hauptdarstellers Kad Merad zugute, gleichzeitig melancholisch und enthusiastisch wirken zu können.
Stets führt der Weg zurück
Etienne ist nie nur der selbstlose Mentor, der seinem Knast-Ensemble den Weg zu einem unvermuteten Erfolg weist, sondern immer wieder auch ein zweifelnder Anleiter, den mehr als einmal die Verzweiflung über ausbleibende Fortschritte und die Eigenwilligkeit seiner Darsteller packt. Und der sich dennoch ein ums andere Mal überwindet, um sein Projekt zu verteidigen, und der vor Stolz strahlt, als sich Erfolge einstellen, die er nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte: Aufführungen nicht nur im Gefängnis, sondern auch „draußen“ in renommierten Theatern, wo sich durch immer weitere Einladungen eine veritable Tournee ergibt.
Die Beteiligten kommen dabei freilich stets unter Aufsicht aus dem Gefängnis angereist und kehren nach dem Verklingen des Beifalls auch dorthin wieder zurück. Die von diesen Extratouren alles andere als begeisterten Wärter durchsuchen sie dann besonders streng und konfiszieren augenblicklich Stofftiere, Blumensträuße und andere Gaben des Publikums „aus Sicherheitsgründen“. Die Haft ist in „Ein Triumph“ nichts, was durch das Theaterspiel überwunden wird, und auch die kriminellen Vergehen der Beckett-Interpreten bleiben stets präsent, ohne dass der Film sie ausbuchstabieren müsste.
In ihrem Verhalten während der Proben oder auf der Bühne tritt dieser Hintergrund beredt genug hervor, um jede Annahme auszuschließen, sie seien alle Bagatellverbrecher oder Opfer von Justizirrtümern. Da werden Zeilen aus dem Text, eine Betonung oder ein Blick schon mal als Beleidigung aufgefasst, weshalb die Männer kurz vor einer Schlägerei stehen. Im Disput um den Text wird auch Etienne im Affekt einmal angegriffen; ein anderes Mal präsentiert sich ihm ein neuer Hauptdarsteller, der die ursprüngliche Besetzung offenbar mit Drohungen aus dem Kurs getrieben hat.
Das Drehbuch von Emmanuel Courcol und Thierry de Carbonnières bezieht aus den ungeschliffenen Charakteren der Häftlinge, denen jedes schöngeistige Verständnis von Theater fremd ist, einen Großteil des Witzes. Hinzu kommt das theatereigene Drama hinter den Kulissen, von dem auch diese Laiendarsteller nicht gefeit sind: Eifersucht, Selbstzweifel, Lampenfieber, Texthänger, eigenmächtige Improvisationen, wodurch die ganze Inszenierung zusammenzufallen droht.
Sorgfältig gezeichnete Figuren
Die sorgfältig skizzierten Persönlichkeiten der Verurteilten gewinnen dabei mehr und mehr an Profil. Der angeberische Jordan, der an den Herausforderungen der rätselhaften Lucky-Figur zu scheitern droht; der ältere Patrick, für den das Theater am ehesten seine Berufung zu sein scheint; der ungestüme Kamel, der hinter seinem Psychopathen-Gestus den Wunsch verbirgt, seinen kleinen Sohn im Publikum zu sehen; der dem Theatererlebnis gegenüber besonders skeptische Alex; der nur gebrochen französisch sprechende Senegalese Moussa; schließlich der wortkarge Bojko, der anfangs nur als Putzmann Zeuge der Proben wird, bevor er aus Faszination als Etiennes Assistent mitmacht.
Aus diesem Ensemble formt nicht nur Etienne in der Filmhandlung eine effektvolle Truppe; die Reibungen zwischen ihnen sind auch Garanten für den sprudelnden Humor der Charakterkomödie. Für französische Verhältnisse verzichtet die Inszenierung bei allem Tempo und Spielwitz bemerkenswert konsequent auf Überzeichnungen, sondern behält ihre Realitätsnähe bei, worin sich Courcols Ursprünge als mehrfacher Co-Autor des französischen Filmhumanisten Philippe Lioret widerspiegeln. Auch seine zweite Regiearbeit prägt der Respekt vor den Figuren, die in ihren Schwächen ebenso ernst genommen werden wie in ihren Sehnsüchten. Was ihre Leidenschaft umso herzlicher macht und ihren Erfolg umso hinreißender. Wenn die Männer in „Ein Triumph“ erst zögerlich, dann immer selbstsicherer die Theaterbühnen für sich erobern, versteht man intuitiv, warum man auch von den Brettern spricht, die die Welt bedeuten. Für diese Männer ist das keine bloße Metapher.