Komödie | Frankreich 2020 | 91 Minuten

Regie: Bruno Podalydès

Ein Mann in den Fünfzigern, der sich in erster Linie um seine zwei kleinen Kinder kümmert, sucht auf Druck seiner beruflich erfolgreichen Frau nach Arbeit und kommt überraschend bei einer hippen Start-up-Firma unter. Diese fordert allerdings Arbeitsbereitschaft rund um die Uhr und untersagt ihren Mitarbeitern Kinder, sodass der neue Angestellte zu einem aufwändigen Versteckspiel gezwungen ist. Eine einfallsreiche satirische Komödie um eine durchdigitalisierte (Arbeits-)Welt, in der hinter schicken Fassaden identitätsverzehrende Praktiken vorherrschen. Dabei ist der Film keineswegs fortschrittsfeindlich, vielmehr sucht er mit liebevoller Detailfülle und schelmischer Haltung nach humanen Gesten und poetischen Momenten im überfordernden Alltag. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LES DEUX ALFRED | LES 2 ALFRED
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Why Not Prod./Arte France Cinéma
Regie
Bruno Podalydès
Buch
Bruno Podalydès · Denis Podalydès
Kamera
Patrick Blossier
Musik
Frédéric Junqua
Schnitt
Christel Dewynter
Darsteller
Denis Podalydès (Alexandre) · Sandrine Kiberlain (Séverine) · Bruno Podalydès (Arcimboldo) · Yann Frisch (Aymeric) · Vanessa Paradis (Albane Duveteux)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Einfallsreiche satirische Komödie um eine durchdigitalisierte (Arbeits-)Welt, in der ein zweifacher Vater zu einem Versteckspiel gezwungen wird, weil sein Arbeitgeber auf kinderlosen Mitarbeitern besteht.

Diskussion

Albane ist untergetaucht. Die Marine-Soldatin hat sich mit ihrer U-Boot-Mannschaft auf eine mehrmonatige Mission begeben und ihren Ehemann Alexandre (Denis Podalydès) mit der Aufgabe zurückgelassen, in dieser Zeit für die beiden gemeinsamen Kinder zu sorgen. Sowie mit einer klaren Ansage: Der bereits über 50-Jährige soll sich endlich wieder eine Arbeit suchen und zum Unterhalt der Familie beitragen, ansonsten sind ihre gemeinsamen Tage gezählt. Mit geringen Erwartungen bewirbt sich Alexandre, der sich als Hausmann und Kinderbetreuer im Grunde ganz wohlfühlt, bei dem hippen Start-up-Unternehmen mit dem Namen „The Box“ und gerät beim Bewerbungsbesuch völlig aus der Fassung.

Umgeben von bunten Schemeln, Liegestühlen, Pflanzenwänden, Bonbonspendern, Trampolinen und allerlei weiterem Firlefanz modisch-schicker Bürokultur, fühlt er sich sichtlich immer unwohler, als der junge Firmenchef Aymeric (Yann Frisch) mit reichlich „Franglais“ und nebulösen Phrasen die offene Stelle beschreibt. Zumal der Großteil der anderen Angestellten nur halb so alt zu sein scheint wie Alexandre, das eigentliche Jobinterview recht kurz ausfällt, und er anschließend in einer Tischtennis-Partie gegen Aymeric auch keine sonderlich gute Figur macht. Doch wider Erwarten ist Platz für Alexandre bei „The Box“, und als Teil der Firmenpolitik darf er sogar selbst die Höhe seines Gehalts bestimmen. Weniger günstig fügt sich, dass seine neue Arbeitsstelle über das Leben ihrer Angestellten zu verfügen gedenkt und vor allem eines fordert: Kinderlosigkeit.

Windmühlenkampf gegen die Absurditäten des Alltags

Als der französische Filmemacher Bruno Podalydès, gemeinsam mit seinem Bruder Denis Podalydès als Co-Autor und bevorzugtem Hauptdarsteller, in den 1990er-Jahren Komödien zu drehen begann, kristallisierte sich bald ein bevorzugtes Thema des Duos heraus: die Überforderung durch die Absurditäten des modernen Alltags. Auf dieses Sujet kommen sie trotz einiger Abstecher in andere Gefilde (wie zwei Kriminalkomödien nach Gaston Leroux) immer wieder zurück. Hinzu sind mit der Zeit immer stärker satirische Perspektiven auf bestimmte Auswüchse der Gegenwart getreten, so wie in ihrem Blick auf die Bestattungskultur in „Adieu Berthe“ (2012) und auf das Camping und andere Formen des moderaten Aussteigens in „Nur Fliegen ist schöner“ (2015). In „Der doppelte Alfred“ steht nun die durchdigitalisierte (Arbeits-)Welt im Zentrum, wie sie sich in den Widersprüchen des Start-up-Unternehmens äußert – nach außen hin betont zugänglich, kreativ und um das Wohlsein ihrer Mitarbeiter bemüht, hinter der Fassade aber nicht weniger leistungsorientiert und identitätsschluckend als im konservativsten Kapitalismus.

Mit süffisanten Details malen die Podalydès-Brüder diese fragwürdige Sphäre aus, in die ihr überforderter Protagonist geraten ist und die ihm bald ein nervenaufreibendes Versteckspiel abverlangt. Da er gegen die Firmendoktrin verstößt, weil er nun mal zwei kleine Kinder hat, muss er diese geheim halten, wenn er seine Probezeit nicht gefährden will. Doch das wird ihm nicht leicht gemacht, da „The Box“ ihn wie alle Mitarbeitenden auch schon mal für zwei Uhr morgens zu Meetings anfordert, zudem muss Alexandre bei heimischen Videositzungen jeden Hinweis auf die Existenz seiner Kinder vom Sichtfeld der Kamera fernhalten. Seine direkte Vorgesetzte Séverine (Sandrine Kiberlain) – offizieller Titel: „Chief Prospect Officer“ – macht obendrein den Eindruck eines Business-Monsters. Herablassend und humorlos behandelt sie Alexandre, dazu ist sie ständig genervt von Kunden oder den nicht funktionierenden technischen Geräten, die als Boten einer befremdlichen Zukunft das Bild des Films prägen: Séverines fahrerloses Auto etwa hat etliche Macken, die Bürgersteige sind ständig durch schlecht gelandete Drohnen blockiert.

Ein Hauch von Jacques Tati

In solchen satirischen Spitzen gegen die Tücken der digitalen Technik erinnert „Der doppelte Alfred“ an den fast zeitgleich entstandenen Film „Online für Anfänger“ von Benoît Delépine und Gustave Kervern (wo Denis Podalydès ebenfalls eine der Hauptrollen spielte), ist in seinem Konzept aber wesentlich durchdachter. Mit ausgesprochener Sorgfalt entwirft er eine bis in Kleinigkeiten überzeugende Welt mit dezentem futuristischem Touch, in der die Sympathie den überforderten Menschen gilt. Gewährsmann für die humanistische Ausrichtung des Films ist vor allem das vom Regisseur selbst gespielte Gegenstück zu Alexandre: Ein Individualist namens Arcimboldo, zu dessen Jobs Fahrdienste, Drohnen einsammeln und die stellvertretende Teilnahme an Demonstrationen für gerade Unabkömmliche gehören. Dieser drängt sich mit einer Absolutheit in Alexandres Leben, wie man sie von filmischen Vorbildern wie Jean Renoirs „Boudu“ kennt, doch anders als jener anarchische Störenfried erweist sich Arcimboldo als freundlich und hilfsbereit. Als Alexandre mit seinen Kindern von Séverine überrascht wird, gibt Arcimboldo sie als seine aus und kümmert sich auch sonst um die Kleinen, wenn Alexandre beschäftigt ist. Séverine wiederum taut in seiner Gegenwart auf und lässt sich sogar zu einem Tänzchen auf der Straße verlocken.

Es sind unverhoffte poetische Momente wie diese, die den Film noch mehr in die Tradition von Jacques Tati stellen, auch wenn Arcimboldo um einiges fülliger ist als der Erfinder von Monsieur Hulot. Wo Tati allerdings bei seinen Techniksatiren mitunter die sehr idealisierte Gegenwelt eines altmodischen Frankreichs erträumte, kommt in „Der doppelte Alfred“ kein Gedanke an eine etwaige verklärte Arbeitswelt früherer Zeiten auf. Nicht den Fortschritt an sich kritisieren die Podalydès-Brüder, und die kreative Ebene des Start-up-Unternehmens wird durchaus gewürdigt, während dessen heuchlerische Elemente unmissverständlich bloßgestellt werden. Immer aber in demselben liebevoll schelmischen Tonfall wie bei der Referenz auf den Renaissance-Maler Giuseppe Arcimboldo: Wie dieser mit seinen hintergründigen Porträts und Umkehrbildern, vermögen es auch Bruno und Denis Podalydès mit Bravour, die Erwartungen des Zuschauers immer wieder auf den Kopf zu stellen.

Kommentar verfassen

Kommentieren