Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel
Komödie | Italien 2020 | 117 Minuten
Regie: Sydney Sibilia
Filmdaten
- Originaltitel
- L' INCREDIBILE STORIA DELL'ISOLA DELLE ROSE
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Groenlandia
- Regie
- Sydney Sibilia
- Buch
- Francesca Manieri · Sydney Sibilia
- Kamera
- Valerio Azzali
- Musik
- Michele Braga
- Schnitt
- Gianni Vezzosi
- Darsteller
- Elio Germano (Giorgio Rosa) · Fabrizio Bentivoglio (Franco Restivo) · Tom Wlaschiha (W.R. Neumann) · Luca Zingaretti (Giovanni Leone) · François Cluzet (Jean Baptiste Toma)
- Länge
- 117 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Eine auf realen Ereignissen basierende Aussteiger-Geschichte über eine künstliche Insel vor der Küste von Rimini, die die Obrigkeit provoziert.
Man stelle sich vor, dies wäre eine US-amerikanische Produktion. Wie würde wohl der Protagonist eingeführt werden, immerhin der Erbauer eines eigenen Eilandes, für den Unabhängigkeit und Freiheit die höchsten Werte überhaupt darstellen? Auf keinen Fall würde er gleich in der allerersten Szene veräppelt werden. Genau das aber passiert in „Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel“: Da sitzt Giorgio Rosa (Elio Germano) seit Tagen verfroren im Foyer des Europarats herum; doch der hochrangige Beamte, der sich seiner Sache annehmen soll, führt zusammen mit dem Pförtner ein überzeugendes kleines Schauspiel auf, um die Nervensäge endlich loszuwerden. Es ist dieser leicht respektlose Ton gegenüber allen und jedem, der den Film von Sydney Sibilia grundiert – und der auch nicht vor den Helden Halt macht. Doch es ist eine Respektlosigkeit, die von großer Sympathie geprägt ist.
Etwas anders verhält es sich bei den Gegenspielern, sei es der ins Groteske überzeichnete italienische Innenminister Franco Restivo, von Fabrizio Bentivoglio genüsslich als eitlem und kontrollwütigem Greis dargestellt. Oder der hohe Kleriker, der sich angesichts des liberalen Geistes auf der Roseninsel vermeintlich Sorgen um die öffentliche Moral macht, tatsächlich aber höchst anspielungsreich davon faselt, ob jeder mit dem eigenen Hintern machen sollen dürfe, was er oder sie wolle. Doch selbst solche heuchlerischen, rückwärtsgewandten Figuren werden nicht ohne Zuneigung gezeichnet, die sich in der Liebe zum Detail und sorgsam ausgemalten Marotten niederschlägt.
Ein eigenes Reich jenseits staatlicher Kontrolle
Alles beginnt Ende der 1960er-Jahre in Bologna. Giorgio Rosa hat gerade seinen Uniabschluss als Ingenieur gemacht. Der Einstieg in ein „normales“ Berufsleben gestaltet sich schwierig, da Rosa nicht innerhalb der üblichen Normen denken mag und kann. Da er mit seinen Erfindungen immer wieder an den Gesetzen der bestehenden Zivilisation scheitert, beschließt er eines Tages, sich eine Insel, ein wahres eigenes Reich zu erbauen, jenseits der Zuständigkeit irgendeines Staates.
Zusammen mit seinem Freund Maurizio, dem Sohn eines Werftbesitzers, errichtet er eine Plattform im Meer – knapp außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer vor Rimini. Auf der landet bald ein Schiffbrüchiger und wird der erste Bewohner der „Roseninsel“. Der nächste Neuzugang, Rudy Neumann, ein im Zweiten Weltkrieg desertierter und deshalb staatenloser Deutscher, macht sich an die Vermarktung der Plattform. Und so strömen mit feierfreudigen und sich nach Aufbruch sehnenden Menschen gefüllte Boote zur Insel, wo sie von der jungen Franca, einer weiteren Inselbewohnerin, an der Bar versorgt werden. Rosa schreibt derweil der UNO; er will die Roseninsel als Staat anerkennen lassen. Die italienische Regierung in Gestalt ihres Innenministers Restivo aber möchte die Plattform schnellstmöglich wieder loswerden und versucht es zunächst mit Drohung und Bestechung.
Rosa macht sich schließlich auf den Weg zum Europarat, um seinen „Staat“ rechtlich abzusichern. Den Vorwurf seiner (Ex-)Geliebten, er habe keine neue Welt, sondern lediglich eine „Diskothek“ erschaffen, will er nicht auf sich sitzen lassen…
Absurde Vignetten und skurrile Porträts
Regisseur Sydney Sibilia (der zusammen mit Francesca Manieri auch das Drehbuch schrieb) erzählt diese wilde, aber in der Realität fußende Geschichte mit der Verve, dem Witz und der Lust an der Überzeichnung, die man schon aus seiner „Morgen ist Schluss“-Trilogie kennt. Hier zeigt er, dass er auch die leiseren Töne beherrscht: Wenn Rosa bei seinen Eltern mal wieder auf Unverständnis stößt, dann ist das sensibel und anrührend erzählt. Zu wahrer Hochform aber läuft der Film in den zahlreichen absurden Vignetten und skurrilen Porträts auf: Wenn Rosa mit seiner Tagträumerei einen heftigen Unfall verursacht und den gigantischen Feuerball in seinem Rücken nicht einmal bemerkt. Wenn Rudy von seinem Chef im Strandclub einen Vortrag über Büffelmozzarella zu hören bekommt – und der dabei selbst wie ein Büffel aussieht. Jedes Mal, wenn Franco Restivo zu sehen und zu hören ist. Oder wenn Maurizio in schwafelnd-pathetischem Duktus wider besseres Wissen zwei kalabrische Arbeiter des Diebstahls bezichtigt – und auch später immer wieder so dreist-rassistisch über die „Calabresi“ herzieht, dass daraus urkomische Szenen entstehen.
Es ist Siblias große Kunst, mit den Elementen der Farce sowie extremer Überzeichnung stets den Witz herauszukitzeln und dabei auch noch scheinbar Widersprüchliches zu vereinen. Das Lachen über Maurizios absurd selbstgerechten Rassismus geht nicht auf Kosten der armen Arbeiter aus dem italienischen Süden – und es verhindert auch nicht, dass man Maurizio trotz seiner Abgründe wirklich mag. Einzig die Liebesgeschichte zwischen Giorgio und Gabriella ist ein bisschen zu konventionell geraten; ihre Vorhersehbarkeit fällt in diesem von Schabernack getriebenen Umfeld umso mehr auf.
Hauptdarsteller Elio Germano in Bestform
Dazu kommen die durchweg hochkarätigen Schauspieler – Elio Germano ist schlicht grandios als sympathisch-kindlicher Träumer und penetranter Sturkopf –, eine stimmige Kamera und schnelle, präzise, witzige Dialoge mit feinen Spitzen gegen italienische Klüngelei, Politik und Klerus. Die Welt der alten weißen Männer wird hier mit größtem Genuss dekonstruiert. Allerdings, und das ist der einzige Wermutstropfen an diesem Film: Die Welt, die Sibilia den Mumien im Palazzo Chigi und der Vatikanstadt entgegenstellt, ist ebenfalls extrem männlich dominiert, und das nicht nur aufgrund der zugrundeliegenden Historie – zu seinen (zwei) weiblichen Figuren fällt dem Film außer Klischees wenig ein.