Krimi | Großbritannien 2020 | Minuten
Regie: Lewis Arnold
Filmdaten
- Originaltitel
- DES
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- New Pictures
- Regie
- Lewis Arnold
- Buch
- Luke Neal
- Kamera
- Mark Wolf
- Musik
- Sarah Warne
- Schnitt
- Sacha Szwarc
- Darsteller
- David Tennant (Dennis Nilsen) · Daniel Mays (Peter Jay) · Jason Watkins (Brian Masters) · Ron Cook (Geoff Chambers) · Barry Ward (Steve McCusker)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Krimi | Serie
Mit David Tennant in der Hauptrolle erzählt die True-Crime-Miniserie "Des" von der Verhaftung des berüchtigten britischen Serienmörders Dennis Nilsen und der sich anschließenden Suche von Polizei und Presse nach seinen Opfern und Motiven.
„Ich trage Verantwortung.“ Das unterstreicht Dennis „Des“ Nilsen (David Tennant) leicht abgewandelt immer wieder in den Verhören und Interviews nach seiner Festnahme. Verantwortung gegenüber den Opfern und ihren Geschichten, (Selbst-)Verantwortung aber auch für seine Taten. Offenbar muss und will er das betonen angesichts der zumeist hilflosen Deutungsversuche der Behörden und seines „Biografen“ Brian Masters (Jason Watkins). „Eigenverantwortung“: Das ist auch eines der zentralen Schlagworte der in Großbritannien damals etablierten Thatcher-Regierung, ja des neoliberalen gesellschaftlichen Zeitgeists der 1980er-Jahre überhaupt. Lewis Arnolds dreiteilige True-Crime-Miniserie „Des“ über Vergehen und Verurteilung eines Serienmörders, die 1983 hohe mediale Aufmerksamkeit erregten, lässt sich daher untergründig auch sehen als eine kritische Studie über Politik und Öffentlichkeit am Limit.
Ein mörderischer Gastgeber
Dennis Nilsens Geschichte ist an der Oberfläche schnell erzählt: Des, ehemaliger Polizist und nun zurückgezogen lebender Kleinbürger, gabelt in der Nähe seines Wohnorts über einige Jahre hinweg immer wieder junge Männer in Notlagen auf, spendiert ihnen ordentlich zu trinken, nimmt sie mit nach Hause und erstickt oder stranguliert sie auf seinem Bett. Zu explizitem Verkehr kommt es offenbar nicht. Manchmal lebt er noch einige Tage mit den Leichen, betrachtet sie wohlgefällig, konversiert gar mit ihnen. Wenige Knaben verschont er; sie kommen mit großer Verwirrung oder einem Schock davon. Die Körper der Toten entsorgt Nilsen, nicht gerade fachmännisch, über das Abwassersystem seiner Wohnung. Er selbst beschwert sich beim Vermieter über Verstopfung, und so kommt man ihm auf die Schliche…
Detective Chief Inspector Peter Jay (Daniel Mays) leitet nun sehr umsichtig und ambitioniert die Ermittlungen. Es gelingt ihm, das prekäre Verhältnis von Polizei, Presse und Öffentlichkeit in einem solchen Fall professionell zu moderieren (Lob für die glaubwürdig-realistische Schilderung von Polizeiarbeit!), obwohl er sich darüber hinaus mit familiären und amtsinternen Schwierigkeiten herumzuplagen hat. Er versucht sich sogar, wenn auch etwas ungeschickt, im modernen Täter-Opfer-Ausgleich und in polizeilicher Psychotherapie der Hinterbliebenen. Und dann tritt auch noch der leicht exzentrische Schriftsteller Masters auf den Plan, der hartnäckig bestrebt ist, eine Rolle in diesem Skandalstück zu spielen (es wird nie so ganz klar, welche genau). Beachtlich und selten, mit welchem Maß an selbstkritischem Wahrhaftigkeitsfuror hier ans Werk gegangen wird, wenn man bedenkt, dass der mittlerweile 81-jährige Masters als Berater am Drehbuch mitgewirkt hat. Jason Watkins legt seine Figur komplex und erratisch an; die Rolle und ihre Verkörperung gemahnen hier wohl bewusst an den Typus, den Philip Seymour Hoffman in „Capote“ so großartig gab: ein sensibler, doch letztlich eitler und schwacher Intellektueller.
David Tennant gelingt es, die Aufmerksamkeit zu bannen
In allem ist jedoch Des das dunkle Zentrum des Geschehens und Interesses. Obwohl er gar nicht einmal so viele Szenen hat, die meisten von ihnen im Sitzen hinter billigen Resopaltischen und endlosen Rauchschwaden im Untersuchungsgefängnis, gelingt es David Tennant als Nilsen, die Aufmerksamkeit aller Figuren und der Zuschauer zu bannen, wie er dort mit kalter Logik eloquent über sein Leben und Werk räsoniert, sichtlich sich Masters und den anderen überlegen fühlend und immer wieder den Finger in die schwärende Wunde legend, die eine solche Tat menschlicher Empfindungsfähigkeit und Empathie stets zufügt. Die äußerliche Anverwandlung an den Rollencharakter gelingt ausnehmend gut, und Tennants ruhigen, aber stechenden Blick in eine im Grunde heuchlerische Welt wird man nicht so leicht vergessen (können). Auch wenn Des seinem Biografen gegen Ende selbstgefällig dankt für seine „Gesellschaft“ – vollständig lässt er sich nie in die Karten schauen, und immer bleibt ungewiss, ob er hier eine radikale Beichte (zwölf Morde? 17 Tote? Noch mehr?) ablegen möchte oder ob er sich als (postmodernen) Autor seiner Geschichte begreift, die jedes Mal, wenn sie erzählt wird, einen anderen Verlauf nehmen kann.
Als Zuschauer bleibt man aufgewühlt und ratlos zurück, ob sich solches Geschehen überhaupt künstlerisch fassen lässt, sei es im apollinischen Bestreben Masters’, ein klares Verhältnis von Täter (Objekt), Autor und Leser zu etablieren, sei es in Nilsens dionysischem „rambling nonsense“ über „the mystery of death“ – am Ende stehen alle Beteiligten erschüttert vor dem Unfassbaren der menschlichen Natur, das soeben unter ihnen erschienen ist und sichtlich von den mit Sinnsprüchen geschmückten Wänden des „Old Bailey“ nicht eingehegt werden kann. Und das ist gut so.