Ned Kelly, der Outlaw, der 1880 in Melbourne am Galgen endete, ist auch dank des Kinos längst ein popkultureller „rebel hero“; verkörpert wurde er unter anderem schon von Mick Jagger und Heath Ledger. Das Image eines „Robin Hood von Down Under“, in dessen Licht die Straftaten seiner Gang als Akt der Rebellion gegen ein verkommenes Machtsystem erscheinen, hat Kelly zu Lebzeiten selbst mit befeuert, durch einen Brief, den er vor seinem Tod der Öffentlichkeit hinterließ.
Seine kriminelle Karriere stellte er darin als Reaktion auf die Behandlung seiner (von irisch-katholischen Strafgefangenen abstammenden) Familie durch die Polizei der (englisch-protestantischen) Kolonialherrn dar: Gegen Gesetze, die keine Gerechtigkeit kennen, hilft, so Kelly, nur der gewaltsame Aufstand!
Dieser Brief spielt in abgewandelter Form als Erzählrahmen auch in der Filmbiografie von Justin Kurzel eine Rolle, die sich auf den Roman „True History of the Kelly Gang“ des australischen Schriftstellers Peter Carey stützt. „Outlaws - Die wahre Geschichte der Kelly Gang“ führt zwar den im Titel formulierten Wahrhaftigkeitsanspruch gleich zu Beginn ad absurdum und entwirft mit einer extrem stilisierten Bildsprache eine Welt, die mit ihrer postapokalyptischen Anmutung an einem historischen Realismus nicht interessiert ist; gleichzeitig sträubt sich der Film viel mehr als Tony Richardsons „Kelly, der Bandit“ (1969) oder „Gesetzlos – Die Geschichte des Ned Kelly“ von Gregor Jordan dagegen, am gängigen Mythos des Outlaws mitzustricken.
Machtmissbrauch und Abhängigkeit
Das geschieht nicht zuletzt dadurch, dass der Film die Schilderung von Kellys Kindheit, seinen ersten Konflikten mit dem Gesetz und den Aufstieg zum meistgesuchten Gesetzlosen des Landes motivisch ziemlich ungewöhnlich anlegt: Auf verstörend-gewalttätige Weise geht es immer wieder um Sexualität, um Gender- und vor allem Männerbilder. Und aus dieser Perspektive erscheinen die Machtstrukturen und Ausbeutungsverhältnisse, die Kellys kriminelle Karriere prägen, komplexer als in anderen Kelly-Filmen.
Das „toxische“ System, das Kelly ins Outlaw-Dasein treibt, ist hier jedenfalls nicht nur die britische Kolonialmacht als politische Institution; vielmehr scheinen sämtliche Beziehungen, selbst die familiärsten, von einem umfassenden Chauvinismus geprägt. Ein Gift, dem Ned Kelly sich nicht entziehen kann und dem er gerade dann erliegt, wenn er sich endgültig freistrampeln will und auf den Pfad der Gewalt begibt. Da helfen auch die Frauenkleider nichts, in die Kellys Gefährten sich hüllen, um ihre Gegner zu irritieren.
Vom Jungen zum „echten“ Mann
Vorgespurt wird dieser Pfad schon früh durch Kellys Mutter, die Essie Davis als kraftvolle, aber angesichts elender Lebensumstände in Bitterkeit gealterte Matriarchin spielt. Ellen Kelly prostituiert sich an Sergeant O’Neill (Charlie Hunnam) und erzieht ihre Söhne vielleicht gerade deshalb zu umso glühenderem Hass gegen die Briten und zu unbedingter Loyalität zur irisch-katholischen Familie. Und sie strebt mit einer Mischung aus Manipulation und Härte danach, „echte Männer“ aus ihnen zu machen – was beinhaltet, dass sie Ned irgendwann an den „Bushranger“ Harry Power (Russel Crowe) verkauft, damit der ihm das Raubmord-Handwerk beibringe und Kelly junior fähig werde, die Familie zu ernähren. Eine Zurichtung, der sich Ned, als Kind verletzlich-verschlossen gespielt von Orlando Schwerdt, zwar zu entziehen versucht, nichtsdestotrotz aber doch zeitweilig im Knast landet und damit die ersten Schritte Richtung Galgen geht.
Nach dem ersten Kapitel („Boy“) erzählt der Mittelteil („Man“) von Neds (George MacKay) zeitweiliger Distanzierung von der Familie, die ihn in den Kreis des britischen Constable Fitzpatrick (eine herrlich zugespitzte Verkörperung moralischer Dekadenz: Nicholas Hoult) und in dessen Bordell-mäßigen Haushalt führt – wo Kelly zwar ein Mädchen findet, in das er sich verliebt, aber bald merkt, dass sich hinter Fitzpatricks vordergründiger Freundlichkeit dieselbe Verachtung und Missbräuchlichkeit ihm und den seinen gegenüber verbirgt, die er von anderen Briten kennt. Das treibt ihn in die Arme seines Clans zurück und sorgt dafür, dass er zusammen mit seinem Bruder und einigen anderen zum Mörder wird – bis er schließlich in jenen legendären Showdown in Glenrowan hineingerät, bei dem er sich in metallener Rüstung einer ganzen Zugladung von Polizisten entgegenstellt.
Eine Disko des Grauens
Vor allem in diesem Showdown zelebriert Kurzel einmal mehr seine ganze Lust an der entfesselten Inszenierung, wie sie schon die Schlachtszenen in seiner „Macbeth“-Version prägte. Kellys letztes Gefecht, bei dem er gefangen genommen und später hingerichtet wird, löst sich durch eine Art Stroboskop-Effekt im schieren Wahnsinn auf. Als sich Ned und seine Kumpane mit Geiseln in einer Hütte verschanzen, bevor Kelly in der Rüstung seinen letzten Ausfall wagt, durchsieben die anrückenden Polizisten die Wände mit ihren Kugeln; die durch die Löcher fallenden grellweißen Lichteffekte verwandeln das Geschehen in eine Art irreale Disko des Grauens, in ein makabres Blitzlichtgewitter.
Die Geburt eines Images: „Monitor“ ist dieses letzte Kapitel betitelt, nach dem britischen Schlachtschiff MS Monitor, dessen Baupläne Kelly zuvor bei Fitzpatrick bewundert hatte und dessen Panzerung seine legendäre Rüstung inspirierte. In „Outlaw – Die wahre Geschichte der Kelly-Gang“ bleibt hinter dem Metallhelm, hinter dem Image stets der Mann sichtbar, der nicht wirklich zum Freiheitshelden taugt, weil sich die Unmenschlichkeit, die er seinen Gegnern vorwirft, unerbittlich in ihn selbst eingeschrieben hat.