Be Natural - Sei du selbst

Dokumentarfilm | USA 2018 | 103 Minuten

Regie: Pamela B. Green

Die Französin Alice Guy-Blaché (1873-1968) war als Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin eine Filmpionierin der allerersten Stunde. Sie drehte den mutmaßlich ersten fiktionalen Film in der Geschichte des Kinos und galt auch auf dem Gebiet der Filmtechniken als Vorreiterin, wurde von der Filmgeschichtsschreibung aber lange ignoriert und verdrängt. Der mit viel Aufwand umgesetzte Dokumentarfilm versucht verdienstvoll, Alice Guy-Blaché wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das eigentliche Werk der Filmemacherin droht dabei allerdings in der Fülle an Informationen über ihre Person und an Effekten etwas unterzugehen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BE NATURAL: THE UNTOLD STORY OF ALICE GUY-BLACHÉ
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Be Natural Prod./Wildwood Enterprises
Regie
Pamela B. Green
Buch
Pamela B. Green · Joan Simon
Musik
Peter G. Adams
Schnitt
Pamela B. Green
Länge
103 Minuten
Kinostart
05.08.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Aufwändiger Dokumentarfilm über die von der Filmgeschichtsschreibung lange ignorierte französische Filmpionierin Alice Guy-Blaché.

Diskussion

„Das ist eine alte Geschichte“, sagt Alice Guy-Blaché in einem der raren Interviews, das von ihr existiert, über ihren Beitrag zum Kino. Vom Hollywood der Gegenwart, wo die Erzählung mit einer animierten Sequenz überquellender Bildornamente und Schriftzüge beginnt, geht die Kinoreise zurück in die Vergangenheit: das klassische Hollywoodkino, der Stummfilm, dann schwingt sich die Kamera empor, rast über den Ozean, um in Paris zu landen, mitten hinein in die Geburtsstunde des Kinos. Am 28. Dezember 1895 findet dort die erste öffentliche Vorstellung des Kinemathographen statt. Dabei hatten schon Monate zuvor die Brüder Lumière ihren Cinématographe in der Société d’encouragement pour l’industrie im Rahmen einer geschlossenen Vorführung vorgestellt.

Anwesend ist auch die 21-jährige Alice Guy-Blaché, die als Stenotypistin für Léon Gaumont arbeitet. Kurz darauf dreht sie mit dem Fantasyfilm „La Fée aux Choux“ (Die Kohlfee) ihren ersten Film in eigener Regie, nach einem eigenen Drehbuch. Der Plot: Eine Fee findet neugeborene Babys in einem Beet überdimensionierter Kohlköpfe. Das rund eine Minute lange Werk gilt als mutmaßlich erster fiktionaler Film in der Geschichte des Kinos. Noch Jahrzehnte später wurde „La Fée aux Choux“ wie zahlreiche ihrer Regiearbeiten von männlichen Filmhistorikern fälschlicherweise anderen Regisseuren zugeschrieben, Alice Guy-Blaché geriet in Vergessenheit.

Mit Pauken und Trompeten gegen das Vergessen

Pamela B. Green setzt diesem Vergessen mit Pauken und Trompeten ihr Filmdebut „Be Natural“ entgegen. Als Produzentin von Titel-Sequenzen und als Marketingexpertin ist Green um eine effektvolle PR nicht verlegen. Jodie Foster, zusammen mit Robert Redford ausführende Produzentin, fungiert als Erzählerin aus dem Off, zudem hat Green eine ganze Heerschar von Prominenten aus der Filmwelt vor die Kamera geholt: Patty Jenkins, Ava DuVernay, Julie Delpy, Catherine Hardwicke, Peter Farrelly, Tacita Dean, Peter Bogdanovich, um nur einige zu nennen. Auf die Frage, ob ihnen Alice Guy-Blaché ein Begriff sei, bekommt sie immer die gleiche Antwort: „No idea“.

Im Laufe ihrer fünfundzwanzig Jahre andauernden Laufbahn schuf Guy-Blaché, die zunächst als Produktionsleiterin bei Gaumont arbeitete, in wechselnden Rollen (Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin) über 700 Filme. Eine Pionierin war sie gleichfalls auf dem Gebiet der Filmtechniken. Sie arbeitete mit Nahaufnahmen, Handkolorierungen, Doppelbelichtungen und synchron laufendem Ton, auch die Produktion von Tonaufnahmen auf Phonographenwalzen, die die Filme begleiteten, trieb sie entscheidend voran. 1906 entstand mit „La vie du Christ“ ihr erster langer Spielfilm, mit über 300 Statisten eine Großproduktion, gemessen an damaligen Verhältnissen. Mit „La Fée Printemps“ drehte sie außerdem einen der ersten Filme in Farbe, bei der Komödie „A Fool and his Money“ (1912) arbeitete sie als eine der ersten ausschließlich mit einer schwarzen Besetzung.

Von der erfolgreichen Firma zur Mittellosigkeit

Nach ihrer Heirat mit dem Kameramann Herbert Blaché und der Übersiedelung in die USA gründete Alice Guy-Blaché mit „Solax“ ihre eigene Produktionsfirma. Als die Firma nach vielen erfolgreichen Jahren bankrottging und die Ehe zerbrach, kehrte sie weitgehend mittellos mit ihren beiden Kindern nach Frankreich zurück. Spätere Bemühungen, ihre eigenen Filme zu finden und die Auslassungen und Fehler in der Geschichtsschreibung zu korrigieren, blieben weitgehend erfolglos, auch für ihre Memoiren fand sich Zeit ihres Lebens kein Verlag.

„Be Natural“ – der Titel bezieht sich auf ein in Guy-Blachés Studio hängendes Schild, das als Aufforderung an einen natürlichen Schauspielstil zu verstehen war – kommt das große Verdienst zu, die von der Filmgeschichtsschreibung fahrlässig ignorierte Filmpionierin wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Durch das regelrechte Bombardement an Material schwirrt einem allerdings schon nach kürzester Zeit der Kopf. Animierte Stammbäume, Landkarten, Fotos, Filmschnipsel, Zeitungsartikel, dazu Interviews und Skype-Gespräche etc., bündeln sich zu einem hypertextuellen Infotainment-Exzess, in dem das eigentliche Werk oft untergeht.

Eine längere Sequenz aus einem von Guy-Blachés Filmen ist praktisch nicht zu sehen, jeder Ausschnitt ist dick mit O-Tönen und Musik unterlegt. Dafür konstruiert Green Suspense-Plots um die Überspielung eines alten Umatic-Bands, konsultiert einen „Face Guy“ (Gesichtserkenner) zur Identifizierung einer weiblichen Figur auf einer Bewegtbildaufnahme und begibt sich nach Art der investigativen Reporterin auf die Suche nach verbliebenen Verwandten und Bekannten. Stellenweise wirkt der Film fast wie eine Desktop-Documentary, nur ohne das selbstreflexive Moment.

Mit Superlativen wird nicht gespart

Im Eifer der Revision wird mit Superlativen nicht gespart – Guy-Blaché als Erfinderin des Musikvideos, des Filmmusicals etc. –, ihre Verdienste um den Spielfilm von manchem Filmhistoriker ressentimenthaft („Im Grunde langweilige Themen... Diese Art von Kino hätte niemand vermisst“) gegen die dokumentarischen Ansichten des frühen Kinos ausgespielt. Eine Geschichtsschreibung, die sich als feministisch versteht, könnte auf einen solch sportlichen Ansatz eigentlich gut verzichten.

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