Wie so viele Liebespaare auf der Welt haben auch Nina und Madeleine ein Lied, das ihre gemeinsame Geschichte verkörpert wie kein anderes. Es ist die italienische Version von dem berühmten Popsong „I Will Follow Him“: Sul Mio Carro. Wahrscheinlich haben die beiden Frauen ihn zusammen gehört, als sie sich vor vielen Jahren in Rom kennenlernten und ineinander verliebten. Und wahrscheinlich haben sie dazu eng umschlungen getanzt, so wie sie es auch heute immer noch gerne tun.
Sentimentale Schlager werden ja gerne als besonders verlogen gescholten, doch nicht selten sprechen sie auch etwas Wahrhaftiges aus. „Du wirst mit mir zusammenleben auf einer fantastischen Insel. Und dort wirst du eine Welt sehen... so wird unsere Zukunft sein, wenn du mich liebst“, trällert Petula Clark beschwingt. Besungen wird ein gemeinsames Leben, das in schönen Bildern ausgemalt wird. Alle Sehnsüchte richten sich auf die Zukunft.
Geliebte, getarnt als Nachbarinnen
Nina und Madeleine, von ihr Mado genannt, sind Lesbierinnen in ihren frühen Siebzigern. Ihre Beziehung tarnen sie hinter der Fassade einer guten Nachbarschaft. Sie leben in gegenüberliegenden Wohnungen, die bei fast immer geöffneter Tür wie durch einen langen Flur miteinander verbunden sind. Nun wollen sie gemeinsam nach Rom ziehen.
Doch Mado kann sich einfach nicht dazu durchringen, ihren beiden erwachsenen Kindern von ihrer lesbischen Verbindung zu erzählen. Für diese ist Nina einfach nur Madame Dorn, die Nachbarin, und ihre Mutter eine Witwe, die es nach dem Tod ihres geliebten Mannes nicht schaffte, noch mal etwas Neues aufzubauen und, von alten Fotos und antiquierten Erinnerungsstücken umgeben, in der Vergangenheit lebt. Dabei hatten die beiden Frauen schon während der Ehe für viele Jahre ein Liebesverhältnis.
Doppelungen und Spiegelungen
„Deux“ heißt das französischsprachige Debut des aus Padua stammenden Italieners Filippo Meneghetti etwas nüchterner im Original. Der Film arbeitet von Beginn an mit Motiven der Doppelung. Im etwas mysteriösen Intro spielen zwei kleine Mädchen im Park, eines ist unversehens verschwunden. Die beiden Frauenfiguren wiederum werden in Form einer eleganten Spiegelung eingeführt. Der Verlust dieser Zweisamkeit hängt als Bedrohung stetig im Raum, und das mit gutem Grund. Als Mado einen Schlaganfall erleidet, ist für Nina der Weg zu der von der Krankheit verstummten Geliebten plötzlich versperrt. Allein in ihrer verwaisten Wohnung muss sie erst mal den leeren Kühlschrank anschalten und das Bett frisch beziehen. Zwischen ihrer und Mados Wohnung steht nun eine kaum zu durchdringende Wand. Die Kinder, vor allem Mados Tochter Anne, kümmern sich um die Mutter, eine etwas abgebrühte Pflegerin zieht ein. Zum Zeichen der Trennung wird die verschlossene Tür, der sich die Kamera wiederholt in bedrohlichen Zoombewegungen annähert.
Meneghetti treibt die Geschichte etwas ungelenk in Richtung Thriller, betreibt Spannungskino, wenn Nina nachts heimlich in die Nachbarswohnung schleicht und dabei fast entdeckt wird, und strickt auch noch eine Geschichte um Sabotageakte und Erpressung. Barbara Sukowa verleiht diesen wenig ergiebigen Genrespielen durch ihre wilde Entschlossenheit, die sie auch in ihren Rollen bei Fassbinder an den Tag legte, dennoch ein glaubwürdiges Gesicht. Während sie neue Pläne ausbrütet, dämmert die Freundin gegenüber vor sich hin und wartet auf „Erweckung“. Ein Coming out (of the closet) hat man selten buchstäblicher ersehnt.