1994 (Serie)
Politthriller | Italien/Deutschland 2019 | 390 (8 Folgen) Minuten
Regie: Giuseppe Gagliardi
Filmdaten
- Originaltitel
- 1994
- Produktionsland
- Italien/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Wildside/Sky
- Regie
- Giuseppe Gagliardi · Claudio Noce
- Buch
- Alessandro Fabbri · Ludovica Rampoldi · Stefano Sardo · Gianluca Bernardini · Mirko Cetrangolo
- Kamera
- Timoty Aliprandi · Marco Graziaplena
- Schnitt
- Chiara Vullo
- Darsteller
- Stefano Accorsi (Leonardo Notte) · Paolo Pierobon (Silvio Berlusconi) · Guido Caprino (Pietro Bosco) · Miriam Leone (Veronica Castello) · Paolo Mazzarelli (Umberto Bossi)
- Länge
- 390 (8 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Politthriller | Serie
Heimkino
The Big B oder vom rücksichtslosen Wandel des „Cavaliere“ zum gefräßigen „Caimano“: Der Aufstieg Silvio Berlusconis zum italienischen Ministerpräsidenten dominiert in „1994“ den Abschluss des dreiteiligen Polit-Serienzyklus.
Italien im März 1994: Wenige Tage vor den entscheidenden Parlamentswahlen haben sich zwei neue politische Blöcke herauskristallisiert, die die politischen Geschicke des Landes bis 2013 entscheidend bestimmen werden. An der Spitze eines Mitte-Rechts-Blocks („cento-destra“) steht der ebenso schillernde wie milliardenschwere Mailänder Unternehmer Silvio Berlusconi (Pablo Pierobon), der erst vor zehn Wochen seine rechtspopulistische Partei „Forza Italia“ (deutsch: „Vorwärts, Italien“) als politischer Quereinsteiger gegründet hat.
Dubioser Heilsbringer von rechts
Während ihm die einen von vornherein lediglich Machtgier und Skrupellosigkeit attestieren, um durch den plötzlichen Einstieg in die Politik drohenden Steuerprozessen und neuen Kartellprüfungen zu entgehen, sehen breitere Bevölkerungsschichten gerade in dem aalglatten Karrieristen und Präsidenten des AC Mailand eine Art Heilsbringer gegen das am Boden liegende Politsystem Italiens zu Beginn der 1990er-Jahre.
Dagegen stemmt sich ein Mitte-Links-Bündnis aus (Ex-)Kommunisten, Demokraten und Liberalen („centro-sinistra“), das sich nach dem Beginn der innenpolitisch alles umwälzenden „Mani pulite“-Ermittlungen, die die frühen 1990er-Jahre in Italien wie kein anderes Ereignis dominierten, als politisches Sturmgeschütz gegen Korruption, Amtsmissbrauch, illegale Parteienfinanzierung und mafiöse Verbindungen in höchste Politzirkel inszeniert.
Politrookie im Brioni-Anzug
Noch ist nichts entschieden, und doch führt in den jüngsten Umfragen bereits Silvio Berlusconi, der Mann, der zu Beginn der ersten Episode von „1994“ im hauseigenen Mediaset-Fernsehstudio mit seinem engsten Vertrauten gerade über Mode- wie Frisurtrends schwadroniert, bevor es zum TV-Duell mit seinem linken PDS-Kontrahenten kommt. Fein frisiert, im teuren Brioni-Anzug und mit blendend weißen Zähnen tänzelt der Politrookie siegessicher zwischen Fernsehballerinas, Maskenbildnerinnen, Studiotechnikern und Garderobieren umher. Immer an seiner Seite: Leonardo Notte (Stefano Accorsi), Ex-Werbeprofi und janusköpfiger Intimus des „Cavaliere“, den Berlusconi zumindest vor laufenden Fernsehkameras so gerne mimt.
Obwohl der reale wie der fiktionalisierte Mailänder Immobilien- und Medienzampano sicherlich schon 1994 kein tugendhaft weißer Ritter war, steht er gleich in der brillanten Auftaktepisode der Politserie, die nach „1992“ und „1993“ mit „1994“ nun ihr Panorama der 1990er-Jahre in Italien abschließt, sowohl visuell wie dramaturgisch derart im Fokus, dass es eine wahre Freude ist, ihm bei seinen letzten Schritten zum Ministerpräsidenten-Thron und den ersten Amtsmonaten zuzusehen.
Reale Geschichte, Fiktion & Gegenwartsbezüge
Diese betont unparteiische und jederzeit hyperrealistische Herangehensweise der Serienmacher um Giuseppe Gagliardi und Claudio Noce (Regie) sowie Alessandro Fabbri, Ludovica Rampoldi und Stefano Sardo (Drehbuch), die bereits die beiden vorherigen Serienzyklen „1992“ und „1993“ verantworteten, setzt weiterhin Maßstäbe, wenn es darum geht, Realgeschichte mit Fiktion auf kluge Weise zu durchmengen. Und gleichzeitig zahlreiche Brücken bis in die gegenwärtige EU-Politik zu schlagen, in der Italien außen- wie finanzpolitisch weiterhin vielen Mitgliedsstaaten scheinbar aussichtslos hinterherhechelt, was gerade im fulminanten Serienfinale dramaturgisch noch einmal auf die Spitze getrieben wird.
Das liegt en gros an den spitzzüngigen Dialogen des Autorenteams genauso wie an der zeitgeschichtlichen Akkuratesse, die bereits „1992“ auszeichnete und in der Verbindung von Pop, Sex, Macht und Gier vor allem „1993“ zu einem Serienhighlight der vergangenen Jahre werden ließ, was sich in „1994“ nahtlos fortsetzt. Denn in dieser manchmal durchaus Shakespeareschen Typengroteske wird Folge um Folge der Finger in die Wunde des obskuren italienischen Politbetriebs gelegt, was bei den Nachbarstaaten bis heute nicht selten zu Kopfschütteln und bösen „Mamma mia!“-Kommentaren in der Tagespresse führt.
Zusammenspiel aus Rechtspopulismus und „Medienkratie“
Schließlich liegt im Zusammenspiel aus wachsendem Rechtspopulismus und gleichzeitiger „Medienkratie“ der Schlüssel zum Verständnis des „Berlusconismus“, der von 1994 bis 2013 den südeuropäischen Staat nachhaltig prägte und dessen Spuren und Methoden sich seither in vielen EU-Staaten auf unheilvolle Weise weiterverfolgen lassen.
Regiert wurde im „System Berlusconi“ vor allem mit Populismen und Nationalismen. „Friseure wählen Forza Italia“, lautet nicht umsonst das politische Credo des Ex-Staubsaugervertreters und Nachtclubsängers Silvio Berlusconi gleich in der Auftaktfolge, den Paolo Pierobon fabelhaft anschmiegsam wie hinterlistig, mit enormer Verve und noch mehr Hintersinn bis zum Ende dieser acht kurzweiligen Episoden ideal verkörpert.
In der jederzeit souveränen Schauspiel-Regie Giuseppe Gagliardis und Claudio Noces taucht zudem das Gros der bereits in „1992“ und „1993“ etablierten Serienfiguren von Neuem auf: Vom rüpelhaften „Lega Nord“-Pitbull-Politiker Pietro Bosco (Guido Caprino), der bald zum Staatssekretär aufsteigt und trotzdem im Gefängnis landet, bis zum Ex-Fernsehstarlet Veronica Castello (schurkenhaft-divenhaft: Miriam Leone) reicht die ausgesprochen diverse Personenkonstellation: Mafia und Transvestiten inklusive. Und immer wieder mittendrin: Stefano Accorsi als rechte Hand des Instant-Partei-Leaders Berlusconi, der wortwörtlich über Leichen geht und vor keiner Zweckehe zurückschreckt. Hauptsache, es bringt Geld und befördert seinen eigenen Aufstieg.
Ignoranz und Arroganz
Alle soziologischen Ingredienzien des „Berlusconismo“ vereinen sich prototypisch in dieser heimlichen Hauptfigur der Serientrilogie: Von Ignoranz bis Arroganz, von Gerissenheit bis Aggressivität und von Widersprüchlichkeit bis Unberechenbarkeit reicht sein Waffenarsenal als engster Politberater des neuen Ministerpräsidenten. Scheinbar alles und jeder ist hier auf Konfrontation aus, keine Bösartigkeit wird vermieden und kein (Parteien-)Bündnis gilt für die Ewigkeit...
In der Realpolitik Berlusconis hieß das: Den eigenen Staat im Grunde verachten, die Gesetze ignorieren oder sie zu seinen eigenen Gunsten novellieren. Einzig darum ging es dem „Il Caimano“ (Nanni Moretti): Zubeißen, bevor es die anderen tun. Feilschen, kungeln oder gleich den politischen Gegner schmieren. Nie aus den Massenmedien verschwinden und stets die große Bühne suchen. Von all diesem rechtspopulistischen Irrsinn, der in den frühen 1990ern begann und im Grunde seitdem nie mehr aus der Welt verschwunden ist, erzählt „1994“ so meisterhaft wie derzeit keine andere Serie.