Space Dogs (2019)
Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2019 | 95 Minuten
Regie: Elsa Kremser
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- RAUMZEITFILM
- Regie
- Elsa Kremser · Levin Peter
- Buch
- Elsa Kremser · Levin Peter
- Kamera
- Yunus Roy Imer
- Musik
- John Gürtler
- Schnitt
- Stephan Bechinger · Jan Soldat
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- 24.09.2020
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- TMDB
Essayistischer Dokumentarfilm, der auf den Spuren der Weltraumhündin Laika dem Mythos ihres Ruhms und den mit ihm verknüpften Ideen der Menschen nachgeht.
Das entscheidende Ereignis der ersten Raumflüge war für den Philosophen Günther Anders nicht das Erreichen des Kosmos, sondern die Möglichkeit, dass die Erde sich selbst betrachtet. Laika, eine Straßenhündin aus Moskau, war das erste Lebewesen, das vom All aus auf die Erde zurückschaute. Auf diesen Blick in Richtung ihres Heimatplaneten folgte für Laika ein qualvoller Hitzetod. Ihre Raumkapsel umkreiste die Erde wie ein kosmisches Grab, bis es beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zusammen mit dem Körper der Hündin verglühte.
Der Legende nach, die in „Space Dogs“ in einem poetischen Voice Over anklingt, fand Laikas Geist den Weg zurück auf die Straßen von Moskau. Dort beobachtet der Film Laikas Nachfahren und die Menschen, die in deren unmittelbarer Umgebung leben. In gewisser Weise schaut „Space Dogs“ auf die Menschheit aus der Perspektive derer, die von ihren Abfällen leben, und ist damit weniger ein Film über jene Tiere, die für den politischen Wettlauf um wissenschaftlichen Vorsprung ins All entführt und getötet wurden, als vielmehr ein Film über jene, die über sie verfügen. Elsa Kremser und Levin Peter entwickeln einen anthropologischen Blick, der vom Kosmos hinab- und von der Straße hinaufschaut.
Auf Augenhöhe mit den Hunden
Die Kamera von Yunus Roy Imer bewegt sich auf Augenhöhe der Vierbeiner. Zwei von ihnen, eine Hündin mit lahmendem Vorderbein und ein größerer Rüde, finden die Welt der Menschen als einen Lebensraum vor, der sich ihrem Verständnis entzieht. Moskaus ist ein so gewohntes wie verwirrendes Durcheinander aus Lärm, Licht, Bewegung und eigentümlichen Gerüchen. Bereits die erste Szene von „Space Dogs“ zeugt vom rätselhaften Leben der Hunde im Habitat der Menschen. Der Geruch, der von einer Motorhaube aufsteigt, lockt einen der Streuner an. Seine Nase fährt am Radkasten entlang, seine Zunge versucht erfolglos dem unwiderstehlichen Duft unter die Haube zu folgen, bis die Alarmanlage des Autos ertönt und der Neugier vorerst Einhalt gebietet.
Die Straßen sind eine fremde Heimat. Mal wirft ein alter Mann den müden, von der Krätze angefressenen Hunden ein paar Fleisch- und Knochenreste zu. Mal werden sie bedroht und verjagt. Mal zeigt sich die Metropole als Feind, mal gibt sie sich zutraulich. Oft aber herrscht eine überwältigende Gleichgültigkeit. Von ihr zeugen auch die Archivbilder, die zwischen den Eindrücken aus dem Streunerleben montiert sind. Wissenschaftler und Veterinäre sedieren, verkabeln und testen die auf den Straßen eingefangenen Hunde. Festgeschnallt in der Zentrifuge und später im Weltall harren die Hunde panisch zitternd aus, während das Personal ihre Vitalwerte studiert. Ihr Leben ist auf ihren Herzschlag reduziert, der im Raumflug als einziges und oft letztes Zeichen aus der Schwerelosigkeit bis zur Erde dringt.
Die Leere wird mit Spektakel gefüllt
Was in ihnen vorgehen mag, was sie gesehen haben und wie die Berührung mit dem dunklen Vakuum des Kosmos sie verändert hat, fabuliert die Stimme von Alexej Serebrjakow aus dem Off dazu. Die Mythen, die er wie ein von Reue erdrückter Zeitzeuge erzählt, verbinden das Leben im Labor und mit dem Leben auf der Straße. Die ferne Welt des Fortschritts und das unerbittliche Naturgesetz der Straße produzieren gänzlich unterschiedliche Schreckensbilder, hinter denen die gleiche Erfahrung steht. Eine Katze, die von den Streunern gefangen und zwischen ihren Kiefern zerquetscht wird, macht mit bereits leerem Blick ihre letzten Atemzüge, als die Hunde kurz von ihr ablassen. Das gleiche Vakuum scheint der Kosmos in die Augen der „space dogs“ gebrannt zu haben, die man dabei beobachtet, wie sie hilflos stolpernd, aber lebendig das Gefängnis ihres Raumanzugs wieder verlassen.
Eine Leere, die der Mensch mit dem Spektakel füllt. Laika wird von der Propaganda zur Märtyrerin erklärt, die Moskauer „space dogs“ zu zähen sowjetischen Unikaten. Die Bilder des Films aber verweigern sich diesem in die Welt getragenen Heldenmythos. Die eigentliche Erfahrung von „Space Dogs“ ist nicht das Spektakel des Mythos, sondern seine Melancholie. Kremser und Peter füllen das Vakuum der Gleichgültigkeit, indem sie den Blick nicht auf, sondern am Spektakel vorbei lenken. Einmal trennt sich die Kamera von den Straßenhunden, um einen kleinen Schimpansen zu folgen. Der Affe, den seine Besitzer in einen Anzug mit goldenem Hut gesteckt haben, soll bei einem Kindergeburtstag auftreten. Die Kamera begleitet ihn auf seinem traurigen Weg zum tristen Hochhaus und verharrt vor dessen Tür, während die Kinder auf der Tonspur die Kunststücke des Affen beklatschen.
Inmitten einer verwilderten Wiese
Die Melancholie ist dort am eindrücklichsten zu spüren, wo die Tiere, die so tief im Lebensraum des Menschen gefangen sind, ein Refugium finden, fernab der Schwerelosigkeit und des Lärms der Stadt. Auf einer kleinen verwilderten Wiese tollen die Hunde umher, bis sie erschöpft nebeneinander liegenbleiben. Einer von beiden will die kurze Pause der Freiheit noch nicht aufgeben. Sehnsüchtig knabbert er am Bein des anderen, bis die Tiere auch im Liegen weiterspielen, auf ihrer kleinen Insel in der endlosen, gleichgültigen Dunkelheit des Kosmos.