Die zauberhafte Begegnung der in Menschengestalt auftretenden weißen Schlange Bai Suzhen mit dem Menschenmann Xu Xian auf der Duanqiao-Brücke am Westsee bei der Stadt Hangzhou ist der Auftakt zu einer der populärsten Liebesgeschichten der chinesischen Folklore: ein Romeo-und-Julia-Stoff um zwei, die füreinander entbrennen, aber unterschiedlichen Spezies angehören und deswegen nicht zusammen sein dürfen. In „White Snake – Die Legende der weißen Schlange“ kommt die schöne Szene auf der Brücke auch vor – aber erst ganz am Ende: Der Animationsfilm ist eine Art Prequel zu der alten Sage, das die Romanze der beiden großen Liebenden in einem früheren Leben beginnen lässt.
Chinesische Mythologie trifft auf Wuxia-Action und einen Hauch Disney
Damit verschaffen sich die Macher die Freiheit, die Legende nach eigenem Gusto zu verändern. Und die nutzen sie: Das Thema der Liebenden, deren Beziehung durch die Feindschaft zwischen ihren Arten gefährdet wird, fungiert auch hier als roter Faden; um ihn herum webt der Film aber einen ganz eigenen, schillernden Erzählteppich. Motive der chinesischen Mythologie – etwa die Begegnung mit einer undurchschaubaren Fuchs-Frau als Revitalisierung der chinesischen Mythen um Füchse als Wandler zwischen Lebenden und Toten, zwischen Göttern, Menschen und Dämonen – werden nahtlos verquickt mit der eleganten Action des Wuxia-Kinos. Und wenn Xu Xian, der hier Ah Xuan heißt, als komischen Sidekick einen Hund zur Seite gestellt bekommt, der nach einer magischen Prozedur plötzlich sprechen kann, dann blitzt auch noch ein Stück typische Disney-Dramaturgie durch und sorgt für humoristische Auflockerungen der ansonsten dramatischen Story.
„Fempowerment“ der weiblichen Hauptfigur
Die Begegnung der Liebenden steht hier von Anfang an unter einem nicht nur romantischen, sondern dezidiert abenteuerlichen Stern, der mit einem „fempowerment“ der weiblichen Hauptfigur einhergeht: Die Dämonen-Schlange Bai wird hier in Frauengestalt als kriegerische Agentin ihrer Königin unter die Menschen geschickt, um mittels einer magischen Jade-Haarnadel einem Potentaten das Handwerk zu legen, der Schlangen jagen lässt, um sich deren Mächte anzueignen und letztlich unbesiegbar und unsterblich zu werden. Nach einer ersten Auseinandersetzung im Palast des Herrschers, bei der sie unterliegt, landet Bai geschwächt und ohne Erinnerung daran, wer sie ist, in einem Dorf, das von dem Tyrannen zum Schlangenjagen gezwungen wird. Dort trifft sie auf den Heiler Ah Xuan, und die beiden entwickeln schnell Sympathie zueinander.
Kurzentschlossen hilft Ah Xuan der schönen Fremden, als Truppen des Herrschers im Dorf auftauchen, und wird zu ihrem Begleiter auf der Suche nach ihrer verlorenen Erinnerung. Doch kann die erwachende Liebe bestehen, wenn Bai ihre Schlangennatur wiederentdeckt? Und wie wird sie sich mit ihrer Mission vertragen? Die anderen Dämonen sehen nämlich nicht nur den Herrscher, sondern alle Menschen als Gegner an und stehen schon in den Startlöchern, um einen großangelegten Angriff zu starten.
Atemberaubende Raumfantasien sorgen für einen poetischen Grundton
Visuell glänzt „White Snake“ vor allem durch eine atemberaubende Raumpoetik: Die Gestaltung von Landschaften, die teils an klassische chinesische Tuschezeichnungen erinnert, ist eine wahre Augenweide und trägt viel zu dem poetischen Grundton des Films bei, den er bei aller rasanten Action stets beibehält. Dass die Animation der Figuren im Vergleich dazu etwas texturarm daherkommt, fällt nicht allzu sehr ins Gewicht, zumal die Charaktere vom Drehbuch her durchaus interessant interpretiert werden. So erfährt etwa Ah Xuan gegenüber der Vorlage eine schöne Modernisierung: Während er dort vor Schreck tot umfällt, als ein böswilliger Mönch ihn listig dazu gebracht hat, Suzhen betrunken zu machen und so ihre wahre Schlangengestalt zu enthüllen, reagiert er hier ebenso cool wie zeitgemäß-tolerant auf die Entdeckung der Andersartigkeit seiner Liebsten: diese ist ein gewaltiger Lindwurm – na und?? Von solchen Oberflächlichkeiten lässt sich ein wahrer Liebender nicht stören; vielmehr versucht Ah Xuan, seiner Geliebten entgegenzukommen und selbst ein Dämon zu werden – Angst vor dem Fremden scheint dieser Held nicht zu kennen!
Eine tragische Angelegenheit von Liebe und Tod
Geerdet durch dieses Plädoyer wider die Xenophobie entfesselt der Film rund um das Liebespaar einen märchenhaften Reigen an magischen Figuren und Begebenheiten, bis hin zu einem wahrhaft infernalischen Showdown, wenn Bai, Ah Xuan und sein Dorf zwischen der Armee der Dämonen und den Schergen des Herrschers aufgerieben zu werden drohen. Nicht nur dieses Finale, sondern auch die Liebesgeschichte – das sollte man in Deutschland, wo Animationsfilme immer noch primär als Kinderkino wahrgenommen werden, vielleicht ausdrücklich dazusagen – entfalten sich auf eine Weise, die eher auf ein etwas älteres Publikum abzielt: Ah Xuan Hund mag bis kurz vor Schluss den ein oder anderen flapsigen Spruch einflechten; nichtsdestotrotz bleibt auch hier die Legende der weißen Schlange eine durchaus tragische Angelegenheit von Liebe und Tod.