Vor allem bei Computeranimationsfilmen trennt sich schnell die Spreu vom Weizen: Auf der einen Seite die hochbudgetierten Hollywoodproduktionen aus Studios wie Pixar oder Dreamworks Animation, die von Jahr zu Jahr noch mehr Details in die Bilder zaubern und einfach unglaublich lebendig wirken, auf der anderen die geradezu peinlichen TV-Schnellschüsse, die mit ihren hampeligen Protagonisten und statischen Hintergründen vielmehr an die Welt eines in die Jahre gekommenen schlechten Computerspiels erinnern. Umso erstaunlicher ist es, wie es dem vergleichsweise kleinen dänischen Animationsfilm „Mina und die Traumzauberer“ gelingt, sich inmitten dieses Spektrums zu positionieren. Wenngleich das Design der Figuren recht konventionell ausgefallen ist, überzeugt er durch die Texturen und die flüssigen Bewegungen und taucht die Welt von Anfang an in ein besonderes Licht.
Visuell ehrgeiziges Animationskino aus Dänemark
Schon in der ersten Szene ist der ausgeprägte visuelle Gestaltungswille von Kim Hagen Jensen zu spüren, der bislang als Storyboardzeichner an mehreren europäischen Animationsfilmen mitgearbeitet hat und nun mit „Mina und die Traumzauberer“ sein Langfilmdebüt gibt. Von Nahaufnahmen riesiger Figuren auf einem Schachbrett bewegt sich die Kamera allmählich zu den Spielern, einem jungen Mädchen und seinem Vater. Das Mädchen setzt den Vater schachmatt – und die Szenerie löst sich auf. Vater und Tochter sitzen selbst auf einem großen Schachbrett, das kreisend im Himmel schwebt und schließlich in einen düsteren, surrealen Sog gerät, zerbricht und Tochter und Vater voneinander trennt.
Ein Traum, na klar. Aber auch eine Szene, die nicht nur den Ton setzt, sondern auch ein Kernthema des Films in Bilder übersetzt. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Mina und ihrem Vater John, die zu einem perfekten Team geworden sind, nachdem Minas Mutter die Familie verlassen hat. Doch diese Harmonie steht auf dem Spiel, als Johns Freundin Helene mit ihrer Tochter Jenny zu Mina zieht.
Eine Patchwork-Familie mit Konfliktpotenzial
Die eitle Jenny legt ihr Smartphone nie aus der Hand, hasst Minas Art, sich zu kleiden, und noch mehr Minas Hamster. Als Mina in einem Traum durch Zufall einen Blick hinter die Kulissen werfen kann und die Welt und die Wesen entdeckt, die die Träume der Menschen auf bühnenähnlichen Inseln im All inszenieren, entdeckt sie neue Möglichkeiten. Erst beginnt sie, mit der Hilfe eines Traumbauers Jennys Unterbewusstsein zu manipulieren, weckt so erst eine neue Liebe zu Hamstern und danach zu altmodischen gelben Strickpullis.
Doch als Mina beobachtet, wie vertraut ihr Vater plötzlich mit Jenny umgeht, ist eine Grenze überschritten. Mit Albträumen will Mina Jenny vergraulen. Aber dabei stürzt Jenny im Traum versehentlich auf die Traummüllhalde, und es liegt an Mina, ihre verhasste Stiefschwester zu retten.
Ein Film, der seine junge Heldin und ihre Probleme ernst nimmt
Je weiter „Mina und die Traumzauberer‟ voranschreitet, desto bekannter wirken die Versatzstücke: Die Fahrt auf den kleinen Loren über schwebende Schienen in die Traumwelt erinnert an die Welt hinter den Türen aus „Die Monster AG“, die Traummüllhalde an die Erinnerungsmüllhalde aus „Alles steht Kopf“. Auch wenn dies die Eigenständigkeit der Geschichte schwächt, stellt diese doch eigene Themen in den Mittelpunkt und wirkt nicht nur wie ein Plagiat. Ernsthaft erzählt der Film von dem großen Wunsch von Minas Vater, wieder „eine richtige Familie“ zu haben – und von den Fallstricken, in denen er sich damit verheddert. John merkt zunächst gar nicht, wie er damit unbeabsichtigt das bisherige Zusammenleben mit seiner Tochter degradiert. Waren Mina und John denn nicht auch auf ihre Weise eine richtige Familie? Es ist ein wenig schade, dass der Film es sich im Finale mit der Lösung der Konflikte etwas zu leicht macht und die Unstimmigkeiten zwischen Jenny und Mina zu schnell in Wohlgefallen auflöst, waren die beiden Figuren doch zu konträr angelegt.
Dafür gewinnt Mina von Anfang an die Sympathie des Publikums. Unmissverständlich wird auch visuell deutlich, dass dieses Mädchen wirklich etwas zu verlieren hat. Charmant sind Minas Versuche, das Problem erst einmal mit freundlichen Tricksereien zu lösen. Aber ebenso nachvollziehbar ist, wie eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und Verlustangst sie dazu bringt, schließlich zu bösartigeren Mitteln zu greifen. Gerade diese Widersprüchlichkeit macht Mina so interessant – und hebt diesen Film deutlich über das Mittelmaß hinaus.