Drama | Deutschland 2020 | 213 (vier Folgen) Minuten

Regie: Maria Schrader

Eine junge Jüdin aus der chassidischen Gemeinschaft der Satmarer in Williamsburg, New York, bricht mit der ultraorthodoxen Welt und flieht nach Berlin, wo sie ein neues, freieres Leben beginnen möchte. Doch die Gemeinde schickt ihren Ehemann und dessen Cousin hinterher, um sie zurückzuholen. Die vierteilige Serie fußt auf der Autobiografie von Deborah Feldman und erzählt mit märchenhaftem Optimismus von einer Selbstwerdung aus weiblicher Perspektive, wobei vor allem die Rückerinnerungen ans jiddische Städel enorm plastisch ausformuliert sind. Eine glänzende Hauptdarstellerin, kluge inszenatorische Entscheidungen und eine filigrane Rückblendenstruktur gleichen manche Serien-Konfektionen aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Real Film Berlin/Studio Airlift
Regie
Maria Schrader
Buch
Deborah Feldman · Daniel Hendler · Alexa Karolinski · Anna Winger · Eli Rosen
Kamera
Wolfgang Thaler
Musik
Antonio Gambale
Schnitt
Hansjörg Weissbrich · Gesa Jäger
Darsteller
Shira Haas (Esther Shapiro) · Amit Rahav (Yakov Shapiro) · Jeff Wilbusch (Moische Lefkovitch) · Aaron Altaras (Robert) · Tamar Amit-Joseph (Yael Roubeni)
Länge
213 (vier Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Serie

Vierteilige Mini-Serie um eine junge Jüdin aus der chassidischen Gemeinschaft der Satmarer, die mit ihrer ultraorthodoxen Welt im New Yorker Stadtteil Williamsburg bricht und in Berlin einen Neuanfang versucht.

Diskussion

So kann das ja nicht klappen, mit dem Sex und der erwarteten Kinderflut. Die Betten in der dunklen Wohnung im New Yorker Stadtteil Williamsburg keusch auseinandergerückt, Mann und Frau bis unter die Nasenspitze in altertümlich-rituellen Nachtgewändern eingeschnürt, ohne Kenntnis des eigenen Körpers, geschweige denn des anderen Geschlechts. Umso mehr aber lasten die Erwartungen auf dem jungen Ehepaar Esty und Yanki. In der Welt der chassidischen Satmarer gelten Nachkommen als das Allerwichtigste, sollen sie doch die Millionen Toten des Holocausts kompensieren.

Doch wenn Yanki in den beiden Wochen, in denen Esty in Folge der Menstruation nicht „unrein“ ist, aufgeregt in ihr Bett hüpft und seinen Unterleib unter dichten Lagen von Stoff irgendwie gegen den seiner Frau drängt, stöhnt Esty mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Dabei soll sich Yanki doch wie ein König fühlen, hat ihr die dominante Schwiegermutter mit auf den Weg gegeben, die über die ehelichen Schwierigkeiten genauestens informiert ist. Sie hat auch gleich eine Helferin parat, die Esty über die „zwei Löcher“ untenrum aufklärt und einen Satz Dilatatoren da lässt, Plastikstäbe zum Dehnen des entsprechenden Kanals.

„Ich bin anders“

In immer neuen Rückblenden wird Estys befremdliche Existenz inmitten der ultraorthodoxen Chassidim entfaltet, die zwar mitten in Brooklyn, aber dennoch wie in einem osteuropäischen Städel aus dem 19. Jahrhundert leben, ohne Fernsehen, Internet oder Telekommunikation, in strikter, ultrapatriarchaler Trennung der Geschlechter, penibel darauf bedacht, ja keine Zugeständnisse an die Moderne zu machen. Denn immer dann, wenn sie sich wie ihre Nachbarn gekleidet und deren Gepflogenheiten angenommen hätten, erklärt ein Altvorderer einmal, hätte Gott sie bestraft, zuletzt mit der Shoah.

Doch Esty hält das auf Dauer nicht aus. Nicht nur die abschätzenden Blicke, „Ein Jahr – und kein Kind?“, das Alleinsein tagsüber, die Fremdheit des scheuen, meist abwesenden Ehemanns. „Ich bin anders“, hatte sie ihm im besten Jiddisch erklärt, als sie verkuppelt wurden, aber dennoch alles getan, um die Erwartung zu erfüllen: sich die Haare scheren lassen, die Perücke einer verheirateten Frau übergestülpt, sogar den geliebten Klavierunterricht aufgegeben. Doch die Einsamkeit und die Leere, mehr aber noch die Lieblosigkeit der penibel durchreglementierten Welt zeichnen einen immer härteren Zug um ihren Mund und passen immer weniger zu ihren Absichten.

Die Flucht führt sie nach Berlin, wo ihre Mutter lebt, die ihrerseits mit den Chassidim gebrochen hat. Doch Esty scheut den Kontakt und strandet bei einer Gruppe junger Musikstudenten. Ein neues, freieres Leben scheint möglich, auch wenn sie nachts heimlich im Konservatorium schlafen muss. Doch die Chassidim schicken ihr Yanki und seinen dubiosen Cousin Moishe hinterher, um sie zurückzuholen.

Die Geschichte einer Selbstwerdung

Die vierteilige Serie „Unorthodox“, die von Alexa Karolinski und Anna Winger konzipiert und von Maria Schrader inszeniert wurde, fußt lose auf der gleichnamigen Autobiografie von Deborah Feldman (Jahrgang 1986), was sich in vielen erzählerischen Details und einer enormen Plastizität des „jiddischen“ Lebens in Williamsburg niederschlägt. Die durchgängige Verschränkung von Flucht und Vorgeschichte beziehungsweise von Neuanfang und alternierenden Erfahrungen in New York trägt nachhaltig dazu bei, dass sich Estys Geschichte als die einer Selbstwerdung und Selbstfindung entfaltet. Nicht zu übersehen ist die Perspektivierung der Erzählung durch eine junge Frau, die davon weiß, dass der Talmud auch von weiblicher Lust spricht, obwohl die Lektüre der heiligen Schriften ausschließlich Männern vorbehalten ist.

Wie filigran die Dramaturgie die Fäden weiblicher Entmündigung und der Befreiung daraus spinnt, wird zur Gänze erst im fulminanten Finale des vierten Teil sichtbar, in dem Esty über ihre zeitlebens unterdrückte Stimme bei sich ankommt; dennoch sind sehr viele Szenen in den ersten Teilen, insbesondere die nicht weniger eindrückliche Hochzeitssequenz, in der die festlich gekleideten Männer freudetrunken singen und tanzen, während die Frauen hinter einem Gaze-Vorhang stumm warten, bis Yanki die Braut in seinen Besitzstand überführt, schon kunstvoll und bis in die Kameraeinstellungen darauf bezogen. Sehr klar wird dabei auch der Anteil der Frauen an ihrer Unterordnung herausgearbeitet, da sie mit matriarchaler Unerbittlichkeit die ehernen Gesetze der Männer am Leben erhalten.

Nicht alles ist so gelungen; die Handlung in Berlin fällt merklich ab und greift auf allzu naheliegende Klischees zurück, vielleicht auch, weil dieser Teil nicht mehr durch Feldmans Autobiografie gedeckt ist. Das gilt auch für den Erzählstrang um die „Verfolger“, wobei allerdings der Part des Ehemanns dramaturgisch geschickt als Resonanzraum entwickelt ist, da Yanki auf seine Weise ebenfalls eine Form nachholender Reifung durchläuft. Am schwersten wiegt der märchenhafte Optimismus, der keinen Raum für Ambivalenzen lässt, sondern Esty als entschlossene Kämpferin erscheinen lässt, die selbst die Verleugnung durch ihre wichtigste Bezugsperson, ihre Großmutter Babby, tapfer wegsteckt, ohne an ihrem Handeln zu zweifeln oder in tiefste Depressionen zu versinken.

Über Generationen hinweg

Diese vor allem im dritten Teil dominierenden Schwächen werden jedoch durch inszenatorische Eigenheiten und insbesondere die Hauptdarstellerin Shira Haas aufgefangen. Immer wieder gönnt der Film der Protagonistin stille Momente, Blicke und Gesten, die der Kameramann Wolfgang Thaler mit konzentrierter Neugier einfängt und die sich wohltuend in den Gang der Dinge schieben; wie überhaupt der optische Stil sich unaufgeregt und eher am Alltäglichen orientiert als an stilisierter Pointierung.

Getragen und beglaubigt aber wird Estys Emanzipation von der israelischen Schauspielerin Shira Haas, die in der Verkleidung des Williamsburger Ghettos die innere Stärke und Klarheit, nach der Verwandlung in Berlin aber andererseits die Zartheit und Zerbrechlichkeit ihrer Figur stets mitklingen lässt. Wie sie mit mädchenhaftem Körper und kurz geschnittenen Haaren dann im Finale auf einer Bühne die Augen schließt und tief in sich hineinhört, um nach einer Stimme zu suchen, die über Generationen hinweg in ihr verborgen liegt, ist ein so magischer Moment, dass darüber alle Serien-Konfektionen verblassen.

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