Victoria (2020)

Dokumentarfilm | Belgien 2020 | 71 Minuten

Regie: Sofie Benoot

California City ist eine gescheiterte Großstadtvision eines Investors aus den 1950er-Jahren. Sie bildet die Bühne für den Neustart einer afroamerikanischen Familie aus Los Angeles. Auf den Spuren des jungen Vaters Lashay Warren folgt der experimentelle Dokumentarfilm mit spielfilmartigen Momenten dessen Wanderungen durch das unwirtliche Areal. Seine tagebuchartigen Aufzeichnungen über sich, das Land und die Zukunft treten dabei auch in einen überraschenden Dialog mit dem absurden Wüstenort. Im Beharren auf eine subjektive Perspektive schöpft der Film aus dem Nichts gegen alle Erwartungen neue Hoffnungen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VICTORIA
Produktionsland
Belgien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Bo De Group
Regie
Sofie Benoot · Liesbeth De Ceulaer · Isabelle Tollenaere
Kamera
Isabelle Tollenaere
Musik
Lashay Warren · Annelies Van Dinter
Schnitt
Liesbeth De Ceulaer · Sofie Benoot · Isabelle Tollenaere
Länge
71 Minuten
Kinostart
02.09.2021
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Klug erzählter Dokumentarfilm, der Erkundungen in einer gespensterhaften Stadt in der kalifornischen Wüste mit den Erlebnissen eines ihrer Bewohner zu einem Sinnbild der USA verdichtet.

Diskussion

California City sollte Ende der 1950er-Jahre aus dem Sand der Mojave-Wüste gestampft werden. Doch daraus wurde nichts. Der Bau der Planstadt versandete. Unfertige Straßen auf einem riesigen Areal prägen heute das Stadtbild. Hier lebt Lashay T. Warren. Er ist mit seiner Familie aus Los Angeles hierhergekommen. Die jungen belgischen Filmemacherinnen Sofie Benoot, Liesbeth De Ceulaer und Isabelle Tollenaere lassen den jungen Afroamerikaner seine Geschichte und die der gescheiterten Stadt erzählen.

In den Straßen von California City

Warum Lashay Los Angeles verlassen hat und sich in California City niederließ, bleibt unklar. Deutlich wird, dass er seine Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen will. Das gilt anscheinend auch für andere, die nach California City kommen, eine Stadt, mit deren Bau 1958 begonnen wurde. Doch nach der Fertigstellung des Ortskerns mit einem großen künstlichen See kam das Projekt zum Stillstand. Zusammen mit anderen jungen Männern ist Lashay damit beschäftigt, die unzähligen nie fertiggestellten Straßen der Stadt instand und erkennbar zu halten, damit sich niemand verirrt. Sie entfernen Büsche und bearbeiten den Boden mit einem Rechen.

Die Darstellung und die Kommentare Lashays zu dieser Tätigkeit, einer kuriosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, sind von köstlicher Ironie. Die Filmemacherinnen haben ihn ermuntert, seine Geschichte zu erzählen; seine Sentenzen tragen wesentlich zu dem Film bei.

Der (US-)amerikanische Traum

Die besondere Qualität des Films besteht in der ungezwungenen und in die Erzählung des Protagonisten eingewebten und reflektierten Narrative vom US-amerikanischen Traum und der Pionierarbeit, die vermutlich auch der Investor von California City im Sinn hatte. Aus der Wüste eine Stadt zu machen, ist wahrer US-amerikanischer Pioniergeist, der heute noch durch die Köpfe so mancher Investoren und selbst durchs Weiße Haus geistert. Dort sitzt immerhin einer der Stars der US-amerikanischen Investitionsdebakel am Ruder.

Ein Blick zurück in die US-Pioniergeschichte kommt im Film in einer Schulstunde zur Sprache. Es war ja nicht nur das gelobte Land, das sich die Siedler erhofften, als sie im 19. Jahrhundert nach Kalifornien zogen. Es ging um das Gold und darum, das Unmögliche möglich zu machen. Sich gegen die Natur durchzusetzen, auf Teufel komm raus. Selbst im Death Valley gab es eine Siedlung. Wenn kein Wasser vor Ort ist, dann wird es eben aus großer Entfernung hergeschafft. Das ist ja auch in Las Vegas so. Schon früh sieht man in „Victoria“ diesen absurden und verschwenderischen Umgang mit Ressourcen, wenn eine Wasserleitung bricht und das Wasser ungenutzt in die Gegend spritzt. Immerhin hat es einen Regenbogen zur Folge, der sich über einen Berg erstreckt, freut sich Lashay. Später wird er dem Berg diesen Namen geben: Rainbow Mountain.

Virtuell und zu Fuß

Die Erschließung des Landes hat niemals aufgehört. Sie findet heute im virtuellen Raum statt. Der Konzern Google macht die Welt online erfahrbar und erobert sie damit zugleich, angetrieben von einem neuerlichen Pioniergeist. Auch dies wird ganz unaufgeregt erzählt, wenn Lashay mit seinem Smartphone zeigt, wo er in Los Angeles gelebt hat, oder wenn er Google Street View nutzt, um die Straßen und die Topographie von California City zu erfassen.

Lashay bleibt indes nicht bei der virtuellen Erfahrung stehen. Neben der Arbeit als Landschaftsgärtner der besonderen Art sieht man ihn immer wieder zu Fuß unterwegs, auch zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern, die aber auffallend selten zu sehen sind, was auch damit zu tun hat, dass Lashays Auto kaputt ist. Er will es reparieren, erweckt aber den Eindruck, dass er daran gar nicht so sehr interessiert ist. Lashay läuft gerne, auch wenn er die Abkürzung über den Golfplatz sehr zu schätzen weiß. So erschließt er sich seine neue Heimat eher entschleunigt. Genauso wie die Schildkröte, der er einmal begegnet und ein Wettrennen vorschlägt. Behutsam streichelt Lashay den Panzer des Tieres. Was ist sein Panzer, der ihm das Überleben ermöglicht?

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