Drama | Frankreich/Deutschland/Schweiz/Luxemburg 2019 | 89 Minuten

Regie: Massoud Bakhshi

Eine junge iranische Frau, die ihren viel älteren Ehemann erschlagen hat und zum Tode verurteilt wurde, erhält die Chance, am Yalda-Fest in einer Reality-TV-Show die Tochter des Toten um Vergebung zu bitten; die Zuschauer stimmen dann für oder gegen ihre Hinrichtung ab. Das kammerspielartige Drama begnügt sich nicht mit der Kritik an patriarchalen Machtstrukturen zwischen Eheleuten im Iran, sondern weitet den Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und wirft überdies ein irritierendes Licht auf Soziale Medien, die sich bestens mit antidemokratischen Tendenzen und autoritären Systemen vertragen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
YALDA, LA NUIT DU PARDON
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Schweiz/Luxemburg
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
JBA Production
Regie
Massoud Bakhshi
Buch
Massoud Bakhshi
Kamera
Julian Atanassov
Schnitt
Jacques Comets
Darsteller
Sadaf Asgari (Maryam) · Behnaz Jafari (Mona) · Babak Karimi (Ayat) · Fereshteh Sadr Orafaee (Mutter) · Forough Ghajebeglou (Keshavarz)
Länge
89 Minuten
Kinostart
27.08.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse
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Drama um eine zum Tode verurteilte Frau, die in einer Reality-Show des iranischen Fernsehens die Angehörigen des Opfers wie auch die Zuschauer um Gnade anfleht.

Diskussion

Ein Fernsehturm erstrahlt vor der leuchtenden Nachtkulisse einer Metropole und ihren mehrspurigen Autobahnen. Die Überblendungen auf den belebten Verkehr und die ihn säumenden kühlen Glasbauten erschaffen eine Atmosphäre globalisierter Gesichtslosigkeit. Aus dem anonymen Stadtbild gerät ein Polizeifahrzeug in den Fokus der Kamera, dessen Fahrt vor einem modernistischen Gebäude endet. Es stellt sich als Fernsehstudio heraus, in das drei verschleierte Frauen eilen, eine von ihnen in Handschellen.

Von Beginn an spielt Regisseur Massoud Bakhshi mit den Anklängen seines Gesellschaftsdramas und macht „Yalda“ so zu einer dystopischen Vision, deren Kritik über die politische Situation des heutigen Irans hinausreicht. Der Film zeigt, dass eine liberale, westlich konnotierte Wirtschaftsordnung und autoritäre, religiöse Sozialstrukturen keinen Widerspruch darstellen. Im Gegenteil: Beides scheint sich gegenseitig zu stützen, wenn die Bürger über soziale Medien eingebunden werden.

Vergebung als Reality TV-Format

Das persische Yalda-Fest feiert mit der Wintersonnenwende am 21. Dezember die längste und dunkelste Nacht des Jahres. Die Hoffnung auf das Licht und das soziale Miteinander stehen dabei im Mittelpunkt. Für die beliebte Live-Sendung „Freude der Vergebung“ fällt die Ausstrahlung somit auf ein symbolträchtiges Datum: Das Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten wird wie immer mit einer zum Tode verurteilten Person konfrontiert, die bei Angehörigen der Geschädigten um ihr Leben flehen muss.

Das Ergebnis kann dabei ebenso düster ausfallen wie die ausgebreiteten Verbrechen. Aus hunderten Fällen besitzt diesmal die junge Mariam (Sadaf Asgari) das zweifelhafte Privileg, sich vor laufender Kamera mit einer demütigen Performance retten zu können, während die Zuschauer mit ihren Mobiltelefonen für oder gegen ihre Hinrichtung abstimmen.

Unter einem rötlichen Schleier, der ihre verletzlichen Gesichtszüge rahmt, tritt immer wieder Mariams entschlossener Blick hervor, dem Kameramann Julian Atanassov in nahen Einstellungen Raum gibt, während um sie herum Enge herrscht. Aufnahmeleiterinnen, Wärter oder Miriams aufdringliche Mutter bilden mit ihren Körpern regelrechte Mauern um die junge Frau herum und entfalten ihre tragische Geschichte in einem Kammerspiel, wie man es aus den Filmen von Asghar Farhadi kennt.

Doch im Unterschied zu Farhadis eher theatralen, zurückgenommenen Szenen mischen sich in „Yalda“ ständig Fernseh- und Handybildschirme in die Choreografien der aufgestachelten Protagonisten – so sehr, dass der Film selbst stellenweise seine äußere Rahmung zu verlieren droht: Als Mariam schließlich auf Sendung geht, scheint es nur noch das Reality TV zu geben, so eifrig geben die Filmbilder sich dem Pathos der weinenden Figuren hin.

Vielschichtige Ausbeutungsverhältnisse

Der kritische Blick verbirgt sich in der Konstruktion der Geschichte und deren unerwarteter Fokus-Verschiebung von einem jungen, weiblichen Opfer patriarchaler Machtstrukturen hin zu einer sehr viel ambivalenteren Betrachtung von gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnissen. Mariams Verurteilung gründet in einer aus einer impulsiven Handlung heraus verübten Notwehr gegenüber ihrem 40 Jahre älteren Ehemann, der zuvor ihr Arbeitgeber war. Anstatt diese Konstellation auf den sexuellen Übergriff zwischen zwei Personen zu reduzieren, tritt der Film einen Schritt zurück und nimmt vor allem Klassenunterschiede in den Blick, die zu Ohnmacht und Gewalt führen. Dazu kommt eine fundamentalistische Sozialisation, die Bedürfnisse nach Individualität und Autonomie im Keim erstickt.

Das zeigt sich insbesondere im Fehlen weiblicher Solidarität. Als Mariam in der Sendung der fast gleichalten Tochter ihres toten Mannes gegenübertritt, schlägt ihr nichts als Verachtung entgegen. Auch die Komplizenschaft ihrer eigenen Mutter mit der Ausbeutung durch ihren toten Ehemann gibt zu denken und zeichnet die ungern betrachtete strukturelle Einbindung von Frauen in patriarchale Gewaltverhältnisse nach.

Autoritarismus und soziale Medien

In solchen Momenten erinnert „Yalda“ an das genau beobachtete Drama „Die perfekte Kandidatin“ von Haifa Al Mansour. Dort werden Gegensätze zwischen fortschrittlicher Moderne und religiösem Archaismus in ähnlicher Weise durch strikte Geschlechtertrennung und glänzende Shopping Malls aufgelöst. „Yalda“ entfaltet darüber einen beträchtlichen Sog und weist in seiner Medienkritik zugleich über den islamischen Kontext hinaus. Ähnlich wie der Gewinner des „Goldenen Bären“ bei der Berlinale 2020, „There is no evil“ von Mohammad Rasoulof, steht gleichwohl die Kritik an der exzessiv verhängten Todesstrafe durch das iranische Regime im Fokus.

„Yalda“ zeichnet sich dadurch aus, dass er die zentrifugale Kraft der Medien in seine politische Kritik miteinbezieht und damit einen globaleren Punkt von großer Dringlichkeit anspricht: die antidemokratischen Tendenzen, welche sich aus der Kopplung von Affektpolitik und sozialen Medien ergeben. Die grenzauflösenden Technologien scheinen in der Wiederkehr des Autoritären nicht ihr Ende, sondern vielmehr ihre Balance gefunden zu haben. „Yalda“ zeigt dies eindrücklich und entwirft damit eine düstere Zukunftsprognose, nicht nur für den Iran. Dem setzt der Film durch das nuancierte Spiel seiner Protagonistin Würde und Widerständigkeit des Einzelnen entgegen, in der Unaufdringlichkeit ihres präsenten Blicks.

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