Im Schatten der Seraphim
Coming-of-Age-Film | Rumänien 2017 | 141 Minuten
Regie: Daniel Sandu
Filmdaten
- Originaltitel
- UN PAS IN URMA SERAFIMILOR
- Produktionsland
- Rumänien
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Indie Sales/HI Film
- Regie
- Daniel Sandu
- Buch
- Daniel Sandu
- Kamera
- George Dascalescu
- Schnitt
- Mircea Olteanu
- Darsteller
- Stefan Iancu (Gabriel) · Vlad Ivanov (Pater Ivan) · Toto Dumitrescu (Olah) · Cristian Bota (Voinea) · Iulia Alexandra Dinu (Bianca)
- Länge
- 141 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Coming-of-Age-Film | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein autobiografisch gefärbter Debütfilm aus Rumänien um einen jungen Mann, der in ein christlich-orthodoxes Priesterseminar aufgenommen wird.
Es kommt in Regisseur-Biographien gar nicht so selten vor, dass sich die Liebe zum Kino dann doch stärker erweist als die Berufung zum Priesteramt. Hitchcock, Scorsese, Wenders zählen zu den Filmemachern, die in ihrer Jugend Priester werden wollten/sollten, dann aber das Kino der Kanzel vorzogen, und sich auf der Leinwand als bildkräftige Erzähler zeigten. Auch der Rumäne Daniel Sandu, Jahrgang 1977, der fünf Jahre in einem Priesterseminar der Rumänisch-Orthodoxen Kirche zubrachte, bevor er sich fürs Filmemachen entschied, kann bildkräftig erzählen. In seinem Spielfilmdebüt verarbeitet er Erfahrungen der Seminarjahre, mixt Autobiographisches und Genrehaftes, will als Regiedebütant vorführen, dass er den verschiedensten Motiven inszenatorisch gewachsen ist: der provokanten Zeichnung pikanter Sexszenen ebenso wie der Darstellung abgründiger Bösartigkeit.
Allerlei cineastische Reminiszenzen fügt er ein, zeigt zum Beispiel die Kissenschlacht im Schlafzimmer der Seminaristen mit ihren in Zeitlupe umherfliegenden Federn als Traumbild kindlich-anarchistischer Unschuld wie einst Jean Vigo seine Kissenschlacht in „Betragen ungenügend“ („Zéro de conduite“, 1933). „Im Schatten der Seraphim“, wurde mit zahlreichen rumänischen Filmpreisen ausgezeichnet, kann aber nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Das größte Manko des zweieinhalbstündigen, 1990 spielenden Epos besteht in der Unfähigkeit, sich für eine Erzählperspektive zu entscheiden. Die Geschichte schlingert zwischen Coming-of-Age-Story, Internat-Thriller und Ausflügen in gesellschaftssatirische Gefilde.
„Ihr gehört nicht mehr euch selbst!“
Zuerst sieht es also nach Coming-of-Age aus. Die Eltern liefern den fünfzehnjährigen Gabriel (Stefan Iancu) im Priesterseminar ab. Der Studienleiter, Pater Ivan (Vlad Ivanov), erklärt sogleich beim Appell die strengen Seminarregeln und zitiert den 1. Korintherbrief 6:19: „Ihr gehört nicht mehr euch selbst!“ Ein Beginn, wie man ihn aus all den High-School- oder Internatfilmen kennt, die ihre jugendlichen Helden mit ersten Liebeserfahrungen und bitteren Wirklichkeiten konfrontieren werden. Schon tauchen im Speisesaal ältere Seminaristen auf, die sich dreist über die Regeln hinwegsetzen und den Neulingen zeigen, wie man sich durchsetzt, wie man nachts ausbüchst, in die Kneipe geht, raucht, Alkohol trinkt, Billiard spielt und Mädchen küsst.
Gabriel lässt sich in dieses Treiben eigenartig widerstandslos hineinziehen, verwandelt sich in seiner äußeren Erscheinung rasch vom bebrillten braven Streber zum coolen Jugendlichen, der dann auch prompt von einem hübschen, koketten, zielstrebigen Mädchen erste praktische Liebeslektionen erhält. In der Rumänisch-Orthodoxen Kirche dürfen Priester heiraten, sollten jedoch bis zur Heirat „jungfräulich wie ein Seraphim“ leben. Merkwürdig, dass Gabriel all dies anscheinend ohne größere innere Anteilnahme absolviert, jedenfalls lässt uns der Regisseur Gabriels Gefühlsleben und seine inneren Haltungen nur vage erspüren. Merkwürdig auch, dass es bei ihm keinerlei inneres Ringen um die Berufung zum Priestersein gibt. Folgt er tatsächlich eigener Berufung, oder nur dem Wunsch der Eltern, die viel Geld für seine Ausbildung hinblättern mussten? Irgendwie bleibt auch das unentschieden.
Die Tricks, wie man an Geld kommen kann
Überhaupt finden an diesem Priesterseminar erstaunlicherweise niemals – weder im Unterricht, noch unter den Seminaristen – irgendwelche theologischen, philosophischen, existentiellen Diskussionen statt. Stattdessen reihen sich in zahllosen Anekdoten die Tricks, mit denen man an Geld kommen kann. Immerhin gibt es in der Mitte des Films, sozusagen als theologisches Herzstück, eine schöne Szene, wenn Gabriel ein Praktikum auf dem Land antreten muss. Er begegnet einem alten, liebenswerten Landpfarrer, der ihn fragt: „Wo ist Gott?“ Gabriel deutet auf die Kirche. Antwort: „Ach, das ist eher so eine Art Telefonhäuschen!“ Gabriel: „Überall um uns herum!“ Der Alte: „Wirklich? Dann versteckt er sich aber gut“, und dann deutet er mit dem Zeigefinger auf Gabriel Brust: „Dort musst du ihn suchen, in deinem Innern!“
Zurück im Priesterseminar schiebt sich die Figur des zum Seminardirektor avancierten Pater Ivan immer mehr ins Zentrum der Geschichte. Mit einem System von Spitzeleien, Erpressungen und Verleumdungen baut er als Inbild intriganter Bösartigkeit das System seiner Tyrannei aus, und die Versuche der Seminaristen, ihm das Handwerk zu legen, werden genutzt, um thrillerartige Spannungsbögen auszumalen. Vlad Ivanov spielt die diabolische Art des Paters hinreißend: wie er permanent manipuliert, Misstrauen sät, Intimsphären verletzt, und dabei immer so tut, als sei das die einzige Möglichkeit, die heilige Kirche vor dem Schmutz der bösen Welt draußen zu bewahren.
Vertrauensverrat und wahre Freundschaft
Hier wandelt sich der Film zur Charakterstudie und offenbart als sein innerstes Thema die Frage nach dem Vertrauenkönnen. Pater Ivans Verhalten ist ein einziger himmelschreiender Verrat an all dem, was ein vertrauensvolles Verhältnis unter Menschen ausmachen könnte. Auch unter den Seminaristen gibt es Vertrauensverrat, aber eben auch das Gegenteil: wahre Freundschaft, ehrenhaftes Verhalten, charakterliche Aufrichtigkeit.
„Im Schatten der Seraphim“ will, bei allen satirischen Seitenhieben auf die Heuchelei innerhalb der Institution, keine Kirchenkritik sein. Angeprangert wird Pater Ivans machtgeiler Charaktertypus, der in allen hierarchischen Systemen – sei es die Kirche oder der frühere kommunistische Staatsapparat – seine Entfaltungsmöglichkeiten findet. Im Vergleich zu den Skandalen sexuellen Missbrauchs, die heute die Katholische Kirche als Institution fundamental erschüttern, erscheint die Seraphim-Story mit ihrer Fokussierung auf Pater Ivan aber beinahe harmlos, folkloristisch und ein wenig verstaubt. Sie rennt offene Türen ein.